Claus Räfle hat mit »Die Unsichtbaren – Wir wollen leben« einen beeindruckenden Film über Widerstand und Überleben im Berlin des Nationalsozialismus gedreht. Von Volkhard Mosler
»Die Unsichtbaren – Wir wollen leben« erzählt die Geschichte des Überlebenskampfes von vier jungen Berliner Jüdinnen und Juden, die der Mordmaschine der Nazis mit Mut und Verzweiflung entkamen. Gleichzeitig ist unter demselben Titel das Buch bei Suhrkamp erschienen.
»Die Unsichtbaren« ist eigentlich ein Dokumentarfilm. Das Drehbuch schrieben die Überlebenden (Hanni Levy, Ruth Arndt, Cioma Schönhaus und Eugen Friede) gewissermaßen selbst, indem Regisseur Claus Räfle sie interviewte und so die wichtigsten Stationen ihrer Lebensgeschichten aufzeichnen konnte. Die Interviews schnitt Räfle in den Film, den er ansonsten als großes Kino-Drama anlegte.
Den Häschern entkommen
Der Film zeigt exemplarisch das Schicksal von etwa 7000 Berliner Jüdinnen und Juden, die 1942/43 in Berlin untergetaucht waren, die meisten nach der sogenannten Fabrikaktion vom Februar 1943, als die bis dahin noch in Berliner Rüstungsbetrieben tätigen 15.000 Juden verhaftet und deportiert werden sollten. In sein Tagebuch trug Josef Goebbels am 3. März ein, dass die Aktion »vorzeitig verraten« worden sei, »sodass uns eine Menge Juden durch die Hände gewischt sind. Aber wir werden ihrer doch noch habhaft werden.«
Etwa 1700 der 7000 konnten den Häschern entkommen. Der Film gibt einen sehr realistischen Eindruck davon, dass dies nur möglich war, weil Tausende nicht-jüdische Berlinerinnen und Berliner ihnen auf die eine oder andere Weise zu überleben halfen. Zwei der vier Überlebenden waren mir durch Nachforschungen anlässlich von Stolpersteinverlegungen bereits bekannt. Cioma Schönhaus, der gelernter Grafiker war, fälschte mehrere Monate mit drei anderen Untergetauchten in einer kleinen Werkstatt hunderte von Dokumenten. Er entkam mit dem Fahrrad im Herbst 1943 in die Schweiz.
Denkmal für den Widerstand gegen die Nazis
Eugen Friede war über mehrere Stationen in Luckenwalde in der Nähe von Berlin bei der Familie Winkler untergetaucht. Hans Winkler bildete zusammen mit dem jüdischen Elektriker Werner Scharff eine Widerstandszelle, die nicht nur Juden rettete, sondern mit groß angelegten Flugblatt-Aktionen zum Widerstand gegen die Nazis aufrief. Die Gruppe wurde verraten, Eugen Friede geriet in den letzten Kriegsmonaten 1945 in die Fänge der Gestapo und wurde gefoltert, überlebte aber. Scharff und Winkler wurden im März 1945 erschossen.
Genau genommen sind es also nicht vier Schicksale, sondern sechs – Scharff und Winkler mit eingerechnet –, die in dem Film einen wichtigen Platz einnehmen. Doch der Film ist weit mehr als die Geschichte von exemplarischen Einzelschicksalen. Er zeigt auch die Abneigung großer Teile der Berliner Bevölkerung gegen den Judenmord. »Die Unsichtbaren« ist zudem ein Denkmal für die beiden Widerstandskämpfer Winkler und Scharff, über deren Geschichte man auch im Museum »Stille Helden« in Berlin Genaueres erfahren kann.
Ein packendes Zeitdokument
Durch die enge Anbindung des Spielfilms an die Erzählung der vier Überlebenden ist ein packendes Zeitdokument über die Kriegsjahre in Berlin entstanden, jenseits der offiziellen Geschichtsschreibung: Berlin »von unten«, ein Film über den jüdischen und den nichtjüdischen Widerstand. Als Ergänzung zum Film möchte ich noch die Autobiografie von Cioma Schönhaus »Der Passfälscher« empfehlen, eines der Bücher, die ich nicht aus der Hand gelegt habe, bevor ich sie zu Ende gelesen hatte.
Der Film:
Die Unsichtbaren – Wir wollen leben
Regie: Claus Räfle
Deutschland 2017
Tobis Verleih
110 Minuten
Filmstart: 26. Oktober 2017
Foto: Tobis Film
Schlagwörter: DVD, film, Flucht, Juden, Kultur, Nazis, Widerstand