Regierungen und Konzerne investieren Milliarden in den professionellen Fußball. Geldwäsche, Korruption, organisierte Kriminalität, sind die Begleiterscheinungen des Fußball-Kapitalismus. Wenige werden dadurch reich, doch das Spiel geht immer weiter kaputt. Von Hans Krause
Das Jahr 2008 war für Manchester City eine gute Saison. Mit der besten Punktzahl seit 15 Jahren erreichte die Männer-Fußballmannschaft in der ersten englischen Liga den neunten Platz und hatte mit dem Abstiegskampf endlich mal wieder nichts zu tun. Trotzdem zogen kurz darauf dunkle Wolken über dem City of Manchester Stadium auf: Der Eigentümer und frühere thailändische Premierminister Thaksin Shinawatra wurde wegen Korruption angeklagt und sein Vermögen eingefroren. Er musste Manchester City verkaufen und die Zukunft schien ungewiss.
1,3 Milliarden in vier Jahren investiert
Doch gerade diese finanzielle Krise wurde für andere zu einer Investment-Chance, wie sie kein zweites Mal kommt. Mansour bin Zayed Al Nahyan, einer der Köpfe der Herrscherfamilie der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), deshalb stellvertretender Premierminister und deshalb Öl-Multimilliardär, kaufte Manchester City und investierte laut der Enthüllungsplattform »Football Leaks« allein in den folgenden vier Jahren umgerechnet 1,3 Milliarden Euro. Statt im Mittelfeld zu spielen, gewann die Mannschaft danach 2012, 2014 und 2018 die englische Meisterschaft und wurde noch zweimal Zweiter. Mit Sergio Aguero, Gabriel Jesus oder David Silva spielen heute einige der besten Fußballer der Welt bei City und es lag nur am Pech, dass die Mannschaft noch nicht die Champions League gewonnen hat. Auch diese Saison zählt sie zu den Favoriten.
Beziehungen nach Europa verbessern
Auch wenn der Verein mittlerweile Gewinne macht, werden diese Mansours Ausgaben voraussichtlich niemals ausgleichen. Manchester City ist auch nicht sein »Spielzeug«, das er aus Spaß zur weltbesten Mannschaft aufpäppelt, um sie sich anzuschauen. Bis heute war Mansour nur bei einem Spiel im Stadion und das war vor acht Jahren. Der Sinn seiner Investitionen ist vielmehr »ein Teil der Soft-Power-Strategie der Herrscherfamilie« der VAE, wie es Christopher Davidson, Professor für Nahostpolitik an der Universität Durham, bezeichnet. Die Staatsführung habe den englischen Fußball als Werkzeug ausgemacht, um das Land in der Welt zu bewerben und die Beziehungen zwischen dem Königreich und europäischen Regierungen zu verbessern, so Davidson.
Fußball wirbt am besten
Auf den Trikots wird für die Fluglinie »Etihad« aus Abu Dhabi geworben und die Spielstätte wurde in »Etihad Stadium« umbenannt. Weniger um Fluggäste anzulocken, sondern mehr um das positive Image der besten Fußballmannschaft der Welt in den Gefühlen der Menschen auf die VAE zu übertragen.
Weil heute Werbe-Videos und -Bilder immer mehr ignoriert werden, ist die Werbung mit Fußball-Mannschaften wertvoll wie nie. Denn in keiner anderen Show lässt sich ein Markenname über 90 Minuten ins Unterbewusstsein von dutzenden Millionen Menschen auf der ganzen Welt brennen und mit extrem positiven Gefühlen verknüpfen.
VAE-Armee kämpft in Jemen
Nicht etwa die USA oder China, sondern die VAE-Regierung nutzt diese Möglichkeit, weil ihr Staat weltweit noch weitgehend unbekannt ist. Was verbinden wir mit Iran? Diktatur, die ihre Einwohner unterdrückt. Saudi-Arabien? Führt Krieg und ermordet Journalisten. Aber Vereinigte Arabische Emirate? Eben. In Wirklichkeit handeln die VAE-Monarchen keinen Funken menschenfreundlicher als andere Diktatoren. Ihre Armee kämpft seit 2015 im jemenitischen Bürgerkrieg. Bisher etwa 100 VAE-Soldaten wurden in Jemen getötet.
Mit Image Politik machen
Innenpolitisch sind die VAE ein »brutaler, folternder Polizeistaat«, so Nicholas McGeehan, Nahost-Experte von Human Rights Watch. Es gebe im Land buchstäblich keinen einzigen Menschenrechtsaktivisten mehr. Wer nicht eingesperrt wurde, ist geflohen. Wer sich fragt, ob das Image eines Staates der Regierung tatsächlich hunderte Millionen Euro wert ist, sollte an die Ermordung des Journalisten Kashoggi denken. Obwohl die saudische Regierung schon in den Jahrzehnten zuvor viele Menschen ermordet hat, war es dieser medienwirksame Fall, der sogar Kanzlerin Merkel öffentlich erklären ließ, dass Waffenexporte nach Saudi-Arabien nicht mehr genehmigt werden sollen.
Fußball verdeckt Krieg und Folter
Würde die NATO tatsächlich ein Waffenembargo gegen Saudi-Arabien verhängen, wäre das für die Königsfamilie ein riesiges Problem. Schließlich steht Saudi-Arabien in der Liste der größten Waffenimporteure auf Platz zwei, einen Platz hinter Indien, einen Platz vor Ägypten und zwei Plätze vor – den Vereinigten Arabischen Emiraten. Deshalb versucht deren Herrscherfamilie ihre Kriege und Morde hinter strahlenden Bildern von Fußballern zu verstecken. Eine ähnliche Strategie betreiben die Monarchen von Katar mit der Austragung der Männer-Fußball-Weltmeisterschaft 2022, Trikot-Werbung von Qatar Airways bei FC Barcelona und AS Rom und dem Kauf des Fußballvereins Paris Saint-Germain, der wie Manchester City mit viel Geld zu einem der besten der Welt aufgebaut wurde.
Der Verband hilft beim Betrügen
Offiziell sollte die sogenannte »Financial Fairplay«-Regel des europäischen Fußballverbands Uefa solche riesigen Geldgeschenke von Eigentümern verhindern. Denn danach dürfen die Ausgaben eines Klubs nicht höher sein, als aus dem Spielbetrieb erzielte Einnahmen. Doch wie jetzt über »Football Leaks« veröffentlicht wurde, war es ausgerechnet der damalige Uefa-Generalsekretär und jetzige Präsident des Fußball-Weltverbandes Gianni Infantino, der 2014 ausgerechnet Manchester City und Paris Saint-Germain dazu verhalf, das Financial Fairplay mit illegalen Mitteln zu umgehen.
Der weltweite Sportkonzern
Paris kaufte 2017 die Stürmer Neymar und Kylian Mbappé für zusammen über 400 Millionen Euro. Man braucht weder Ahnung von Wirtschaft noch von Fußball haben, um zu verstehen, dass der Verein diese Kosten nicht aus seinen selbst erwirtschafteten Einnahmen decken kann. Doch bestraft hat die Uefa das französische Fußballunternehmen dafür bisher nicht. Denn wie in jeder Branche sind auch im Fußball die Vertreter von Staaten und Verbänden weniger Kontrolleure, sondern meist Unterstützer der internationalen Konzerne beim Erreichen ihrer wirtschaftlichen Ziele.
Dabei belassen es die schwerreichen Eigentümer nicht mehr beim bekannten Einkaufen von Spielern, sondern bauen Unternehmensstrukturen auf, um die üblichen Leistungsschwankungen von Mannschaften weitgehend zu reduzieren. So besitzt Mansour bin Zayed Al Nahyan nicht nur Manchester City, sondern auch die jeweiligen Erstligisten FC Girona aus Spanien, Club Atlético Torque aus Uruguay, New York City FC aus den USA, Melbourne City FC aus Australien und einen Minderheitenanteil an den Yokohama F. Marinos aus Japan Weitere Käufe in China und Indien sind geplant.
Fußballer sind keine Millionäre
All diese Mannschaften sind weitere Werbeträger für die VAE, sichten und kaufen Fußballer in ihrer Region. Vor allem aber können zwischen ihnen Spieler zu von oben festgelegten Preisen hin- und hergeschoben werden, um sie zu testen und bei Bedarf zur internationalen Marke nach Manchester zu schicken. Eine Stufe kleiner hat der Getränke-Konzern Red Bull eine ähnliche Struktur aufgebaut und kontrolliert neben der deutschen Spitzenmannschaft RB Leipzig auch den österreichischen Serienmeister Red Bull Salzburg, die New York Red Bulls aus den USA und Red Bull Brasil in der vierten brasilianischen Liga.
Während die großen Medien uns nur die wenigen Millionäre zeigen, die es ganz nach oben schaffen, muss die große Mehrheit der Fußballer in Ligen spielen, in denen Durchschnittsgehälter oder weniger gezahlt wird. Wer es trotzdem noch für ein großes Privileg hält, fürs Fußballspielen überhaupt Geld zu bekommen, sollte bedenken, dass man sich in jedem Training eine Verletzung zuziehen kann, die den Profisport beendet. Doch selbst wenn man davon verschont bleibt, ist beim Fußball ungefähr mit 37 Jahren Schluss. Ein Weltmeister hat dann mehr auf dem Konto als er fürs ganze Leben braucht; ein Abwehrspieler in der dritten Liga sicher nicht.
Regionalliga statt Löwen-Zoo
Für Fußball-Fans mag der Einstieg eines milliardenschweren Investors beim Lieblingsverein zunächst wie ein Glücksfall aussehen. Tatsächlich bringt das ganz große Geld einige Vereine dauerhaft an die Spitze und zum Gewinn vieler Titel, aber eben nur einige. Denn Investitionen in Fußballmannschaften, die wirtschaftliche und politische Ziele verfolgen, die mit dem Verein gar nichts zu tun haben, bergen eine große Gefahr: Sie können jederzeit beendet werden, zum Beispiel wenn das glänzende Image des Vereins durch »Football Leaks«-Enthüllungen verschwindet.
So kaufte der Milliardär Hasan Ismaik 2011 den Zweitligisten 1860 München, versprach das Erreichen der Champions League und den Bau eines neuen Stadions mit angeschlossenem Löwen-Zoo, in Anlehnung an den Spitznamen der Mannschaft: die Löwen. Als diese jedoch stattdessen 2017 abstieg, zerstritt Ismaik sich mit dem Vorstand, verweigerte das Hinterlegen einer für seine Maßstäbe geringen Summe, die für eine Lizenz für die dritte Liga nötig gewesen wäre und ließ den Klub stattdessen bewusst in die Regionalliga Bayern absteigen.
Der Fußball wäscht Geld
Als der Multimilliardär Dmitrij Rybolowlew dem Fürst von Monaco Albert II. 2011 den gerade abgestiegenen und überschuldeten Fußballverein abkauft, scheint es zunächst dessen Rettung zu sein. Dutzende Millionen werden in Spielerkäufe gesteckt und der AS Monaco wird 2017 trotz der mächtigen Konkurrenz aus Paris sogar französischer Meister.
Doch wie die »Football Leaks«-Dokumente ebenfalls zeigen, war der Verein für Rybolowlew hauptsächlich ein Werkzeug, um Schwarzgeld zu waschen, wofür er auch Minister der monegassischen Regierung und den Vorstand der örtlichen Polizei bestechen musste. Mittlerweile werden seine Geschäfte von zahlreichen Staatsanwälten untersucht und der AS Monaco hat fünf Punkte Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz.
Barcelona schauen mehr Chinesen als Spanier
Die größten Fußballvereine haben ihren Umsatz auf jährlich über 600 Millionen Euro gesteigert und ihre Beliebtheit in den letzten Jahren weltweit stark vergrößert. Wenn der FC Barcelona ein Ligaspiel bestreitet, schauen mehr Chinesen zu als Spanier. Doch für die immer größeren Investitionen verlangen Staaten und Konzerne immer mehr Kontrolle über den Sport, um Image- und finanzielle gewinne möglichst zu garantieren und Risiken zu senken. In der englischen Liga beginnen jedes Wochenende Spiele um 12.30 Uhr, damit der Anpfiff um 20.30 Uhr chinesischer Zeit stattfindet.
Wenn Red Bull die Flügel stutzt
Die Red-Bull-Millionen haben Leipzig zwischen 2013 und 2017 von der Regionalliga Nordost in die Champions League gebracht. Doch wenn die Werbe-Abteilung des Konzerns ihre Strategie wechselt, geht der Verein in wohl noch kürzerer Zeit den umgekehrten Weg. Egal wie viel Geld und Werbewirksamkeit der Fußball seinen Eigentümern bringt: Es gehört zu den Gesetzen der kapitalistischen Konkurrenz, dass diese ihre Profite weiter steigern wollen, bevor andere eine mögliche Marktlücke entdecken.
Wer nicht mitspielen darf, gewinnt nicht
So ist es in gewisser Weise konsequent, dass die Vorstände der Topklubs Pläne für eine »Super League« schmieden: 16 Mannschaften verlassen ihre nationalen Ligen, spielen stattdessen nur noch gegeneinander, ohne Auf- und Abstieg. Neue Mitglieder werden eingeladen oder eben nicht. Legt man das Geschwafel der Bosse vom »Fan im Mittelpunkt« beiseite und beurteilt Profifußball nach seinem wirklichen Zweck der Gewinnmaximierung, ist die Idee der »Super League« verblüffend einfach wie genial.
Nicht nur überraschende Bundesliga-Niederlagen wie das 0:3 von München gegen Mönchengladbach im Oktober werden ausgeschlossen, weil solche Spiele gar nicht mehr stattfinden. Auch heute schon seltene Außenseitersiege in der Champions League, wie das 2:0 von Roter Stern Belgrad gegen Liverpool im November, werden unmöglich, weil man »arme Schlucker« aus Serbien gar nicht erst mitspielen lässt, egal wie gut ihre Mannschaft ist.
Wenn Hoeneß schwört
Stattdessen spielen nur noch Bayern, Barcelona, Madrid und ein paar andere gegeneinander. Der Geldregen ist garantiert, Fernseh- und Werbegelder werden von allen, die nicht mitspielen dürfen, umgelenkt auf die Super-League-Klubs, und allzu peinliche Niederlagen sind fast ausgeschlossen. Und auch wenn vertrauenswürdige Ehrenmänner wie Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß jetzt schwören, dass es solche Pläne 1. nie gab, Bayern sie 2. entschieden zurückwies und die Super League 3. doch viel besser wird, als es böse Kritiker behaupten, so reicht ein Blick nach Nordamerika, um zu erkennen: Die »Super League« ist der logische Schritt zur immer besseren finanziellen und politischen Vermarktung, der mit immer weniger Rücksicht auf die Fans verbunden ist.
Der Meister zieht um
In den USA und Kanada funktionieren die großen Sportligen nicht nur ohne Auf- und Abstieg. Zusätzlich haben die Eigentümer der Vereine das Recht, Mannschaften zu schließen und in eine beliebige andere Stadt des Kontinents zu verlegen. So verlieren die Sport-Fans in Oakland, Kalifornien demnächst nicht nur ihre Football-Mannschaft Oakland Raiders, die 2020 in ein neues 1,8-Milliarden-Dollar teures Stadion nach Las Vegas zieht. Sondern schon ab nächstem Jahr spielt der nordamerikanische Männer-Basketballmeister Golden State Warriors in einer ebenso neuen 1-Milliarde-Dollar-Halle in San Francisco. In beiden Fällen erwarten die Eigentümer am neuen Standort bessere Profit-Möglichkeiten.
Begleiterscheinungen des Fußball-Kapitalismus
Weil der Fußball Millionen Menschen begeistert, ist er auch ein »Big Business« – Geldwäsche, Korruption, organisierte Kriminalität, sind die Begleiterscheinungen des Fußball-Kapitalismus. Diese Verbindung von Fußball und Kapitalismus ist durch die »Football-Leaks« mehr als deutlich geworden. Eine andere Verbindung wird jedoch in der Debatte um die »Football-Leaks« weniger beachtet. Denn der Kapitalismus beeinflusst nicht nur die zunehmende Kommerzialisierung des Sports, sondern er durchdringt auch die Art und Weise, wie dieser betrieben wird (Lies hier einen Artikel zum Thema: »Spiel statt Sieg – Wie der Kapitalismus dem Sport die Seele raubt«).
Die Ausrichtung des Sports auf den unbedingten Erfolg, den Sieg über den Gegner, wirkt auf das Verhalten der Manager, aber eben auch auf das der Sportlerinnen und Sportler selbst zurück. Der Sportwissenschaftler Gunter A. Pilz befragte mehr als 6000 Jugendfußballer und kommt zu dem Schluss: »Je länger die Jugendlichen im Verein aktiv sind, desto eher sind sie bereit, Regelverstöße im Interesse des Erfolges nicht nur zu akzeptieren, sondern auch nicht mehr als ›unfair‹ zu bezeichnen. Im Laufe ihrer leistungssportlichen Entwicklung lernen Jugendliche, immer ausdrücklicher das Gebot des Erfolges über das Fairnessprinzip zu stellen.«
Ja, es gibt sogar sehr viel, was bedeutender als Fußball ist
Nun könnte man fragen, ob es keine wichtigeren Probleme gibt als die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs, über die es zu reden oder lesen lohnt. Und blickt man beispielsweise auf die Kriege in Syrien oder Jemen, so ist die Antwort sicher: Ja, es gibt sogar sehr viel, was bedeutender als Fußball ist. Doch ist die Zerstörung eines Spiels, dass so viele Menschen lieben, sehr wohl ein weiterer Grund, das kapitalistische Wirtschaftssystem und diejenigen, die es beherrschen, abzulehnen und alles zu tun, um es so bald wie möglich auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern.
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Schlagwörter: Fußball, Inland, Kapitalismus, Sport