Die Freiheitliche Partei Österreichs befindet sich im Aufwind. Bei der Bundespräsidentenwahl am 4. Dezember kann ihr Kandidat Norbert Hofer gewinnen. Es wäre der größte wahlpolitische Erfolg der radikalen Rechten in Europa. Doch was für eine Partei ist die FPÖ eigentlich? Von Jürgen Ehlers
Die politische Entwicklung in Österreich wird aus Deutschland derzeit besonders aufmerksam beobachtet. Der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) könnte bei der Bundespräsidentenwahl am 4. Dezember der größte wahlpolitische Erfolg der radikalen Rechten in Europa gelingen. Nach erfolgreicher Klage der FPÖ, wird die Wahl zum Bundespräsidenten am 4. Dezember wiederholt. Schon bei der vorrausgegangen Wahl im Mai 2016 stimmten mehr als zwei Millionen Menschen für den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer. Das entsprach 49,7 Prozent aller Wählerinnen und Wähler. Hofer unterlag nur denkbar knapp dem grünen Kandidaten Alexander van der Bellen, der auch jetzt wieder antritt. Die AfD sieht in der FPÖ ein Vorbild. FPÖ und AfD sind politische Geschwister. Die kleine Schwester, vertreten durch die AfD-Vorsitzende Frauke Petry, hat sich kurz nach dem Wahlerfolg mit ihrem großen Bruder Heinz-Christian Strache, dem Parteivorsitzenden der FPÖ, auf der Zugspitze getroffen, um die enge Beziehung demonstrativ zur Schau zu stellen. Auf der Internetseite der FPÖ wurde Petry am folgenden Tag mit den Worten zitiert: »Wir sind bereit, von den Erfahrungen der FPÖ zu profitieren.« Denn schließlich habe die FPÖ einen zeitlichen Vorsprung und betreibe seit sechzig Jahren erfolgreich Politik. »Aber wir haben gezeigt, dass wir in der Lage sind, den zeitlichen Rückstand aufzuholen.« Doch was für eine Partei ist die FPÖ – das große Vorbild der AfD – eigentlich?
Die Gründung der FPÖ
Die FPÖ ist nicht irgendeine konservative Partei wie die CSU. Dann wäre sie für die AfD als Modellprojekt völlig uninteressant. Was die wenigsten wissen: Die FPÖ ist 1955 von ehemaligen führenden NSDAP-Mitgliedern gegründet worden und war seitdem ein Sammelbecken für alte und junge Nazis. Sie spielte lange Zeit in Österreich als potentieller Regierungspartner keine Rolle und kam bis Anfang der 1980er Jahre bei den Wahlen nie über einen Stimmanteil von sechs oder sieben Prozent. Vor allem der Nachkriegsboom, dessen Ende sich erst Mitte der 1970er Jahre abzuzeichnen begann, erschwerte es der FPÖ, an Bedeutung zu gewinnen. Denn der größte Teil der ehemals 500.000 NSDAP-Mitglieder in Österreich arrangierte sich mit den neuen politischen Verhältnissen, um unbehelligt vom kleinen Wirtschaftswunder profitieren und Karriere machen zu können. Dabei halfen die Sozialdemokraten (SPÖ) und Konservativen (ÖVP) kräftig mit. So verteidigte der sozialdemokratische Vizekanzler Adolf Schärf im Jahr 1955 die Einstellung eines ehemaligen Nationalsozialisten in den Staatsdienst. Seine Partei sei auf die Wählerstimmen aus diesem Lager angewiesen: »…wir brauchen diese Stimmen, weil das Potential der ehemaligen KZ-ler, Emigranten und überlebenden Juden nicht sehr groß ist. Keine Partei kann es sich leisten auf die Stimmen der ›Ehemaligen‹ zu verzichten. Daher sind Konzessionen an dieses Lager unerlässlich.«
Schärf begründete eine unselige Tradition, die seine Nachfolger fortsetzen. Der international sehr angesehene Sozialdemokrat Bruno Kreisky, der unter Schärf Staatssekretär war und der während des Dritten Reiches vor den Nazis nach Schweden fliehen musste, ließ sich, als er 1970 Bundeskanzler wurde, von der FPÖ tolerieren. Zudem holte er gleich vier ehemalige Mitglieder von NSDAP, SS und SA als Minister in seine Regierung. Das führte noch nicht zum Aufstieg der FPÖ. Doch es schwächte die Kritikerinnen und Kritikern dieser Partei. Zudem setzte es die Hemmschwelle von potentiellen Wählerinnen und Wählern herab, für eine Partei zu votieren, in der Nazis von Anfang an eine entscheidende Rolle gespielt haben. Inzwischen ist die Gründergeneration der FPÖ tot, aber hat sich die Partei deswegen gewandelt?
Die FPÖ heute
Die Antwort ist: Nein. Auch heute ist sie ein Sammelbecken von alten und neuen Nazis. Der jetzige Kandidat für die Bundespräsidentenwahl Norbert Hofer trägt beispielsweise häufig bei öffentlichen Auftritten, sogar im Parlament, eine blaue Kornblume am Revers. Diese Kornblume ist ein Erkennungszeichen, das zuletzt von den bis 1938 in Österreich illegalen Nazis benutzt worden ist. Es geht auf die Alldeutschen um Georg von Schönerer zurück. Der Österreicher Schönerer war im Kaiserreich ein glühender Verfechter des Anschlusses von Österreich an das Deutsche Kaiserreich unter Wilhelm I., dessen Lieblingsblume die blaue Kornblume gewesen war. Auch für Adolf Hitler war Schönerer ein großes Vorbild, nicht nur weil er für eine großdeutsche Lösung kämpfte, sondern auch weil er ein ausgewiesener Antisemit gewesen ist.
Das Tragen der blauen Kornblume ist in jedem Fall eine Provokation, denn in der Verfassung Österreichs ist das Verbot jeder großdeutschen Propaganda ausdrücklich festgeschrieben. Vor allem aber ist es ein politisches Signal an die Nazis im Land. Denn um seine großdeutschen Phantasien zur Schau zu tragen, ist die Kornblume nicht nötig. Dazu würde die schwarz-rot-goldene Fahne im Emblem der Burschenschaft Marko Germania vollkommen ausreichen. Dieses Emblem trägt Hofer ebenfalls gerne am Revers, weil er Mitglied dieser Burschenschaft ist.
Hofer galt trotzdem lange Zeit als liberales Aushängeschild der FPÖ, ohne den Makel einmal Mitglied einer Wehrsportgruppe gewesen zu sein, über Kontakte in die Neonazi-Szene zu verfügen oder auf Veranstaltungen die Hand zum so genannten Kühnen-Gruß erhoben zu haben. Durch letzteres fielen der jetzige Parteichef und Hofers engster Vertrauter Heinz-Christian Strache und sein Büroleiter im Parlament René Schimanek in der Vergangenheit auf. Bereits vor längerem ist durch Recherche von Journalistinnen und Journalisten bekannt geworden, dass Hofer persönlichen Kontakt zu NPD-Mitgliedern hatte und Mitglied einer Internet-Community ist, von der Parolen wie diese ins Netz gestellt werden: »Trau keinem Fuchs auf grüner Heid – und keinem Jud bei seinem Eid.«
Auch in der Diskussion um die Aufhebung des Verbotsgesetzes, das die nationalsozialistische Wiederbetätigung und die Verharmlosung der NS-Verbrechen unter Strafe stellt, ist Hofers geistige Nähe zu den Nazis in Österreich deutlich geworden, indem er deren Argumentation, es gehe ihm lediglich um Meinungsfreiheit, übernommen hat.
Die FPÖ und die Burschenschaften
Aber nicht nur an Hofer lässt sich zeigen, welche Gesinnungen in der FPÖ schlummern. Die Burschenschaft Marko Germania, die in einer ihrer Festschriften 1994 die Republik Österreich als »geschichtswidrige Fiktion« verschmäht, hat neben Hofer auch andere FPÖ-Mitglieder in ihren Reihen. Aus dieser und anderen deutschnationalen Burschenschaften rekrutiert die FPÖ große Teile ihres Führungspersonals. Im Bundesparlament sind 40 Prozent der FPÖ-Abgeordneten Mitglied so einer Verbindung, und in Wien ein Drittel der FPÖ-Gemeinderatsmitglieder.
Die Burschenschaftler verfügen über eine seit Jahrzehnten gewachsene Struktur und ein dichtes Netzwerk an Beziehungen untereinander. Sie bilden heute den in jeder Hinsicht verlässlichen Kaderstamm der Partei. Der österreichische Publizist Hans-Henning Scharsach, der die FPÖ seit Jahrzehnten sehr aufmerksam beobachtet und zahlreiche Bücher über ihre Entwicklung veröffentlicht hat, charakterisiert in seinem letzten, sehr empfehlenswerten Buch mit dem Titel »Strache – im braunen Sumpf« die Burschenschaften wie folgt: »Die burschenschaftlichen Traditionslinien haben vor allem fünf Konstanten: Deutschtümelei, Antisemitismus, Demokratiefeindlichkeit, Verleugnung des Gleichheitsprinzips (›Rassen‹ wie Geschlechter betreffend) und Gewaltbereitschaft. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges ist in Österreich eine sechste hinzugekommen: die revisionistische Geschichtsschreibung, braune Geschichtsfälschung…«
Das Wachstum der FPÖ
Unter dem Vorsitzenden Strache und mit den Burschenschaften als Basis hat die FPÖ einen Wandel vollzogen, mit dem sie an die alten Erfolge des verstorbenen Jörg Haider anknüpfen konnte. Unter Haiders Führung war die Mitgliederzahl der FPÖ von 37.000 auf 51.000 angewachsen. Parallel zu den Mitgliederzahlen stiegen in den 1990er Jahren auch die Wählerstimmen. Mit 26,9 Prozent erzielte die Partei 1999 ihr bisher bestes Ergebnis bei Nationalratswahlen und lag damit vor SPÖ und ÖVP. Haider fühlte sich stark genug, um mit der ÖVP 2000 unter Wolfgang Schüssel als Bundeskanzler eine Koalition einzugehen und die Partei trotzdem zusammenzuhalten. Doch er unterschätzte die Sprengkraft einer Regierungspolitik, die von Haushaltskürzungen und Einschnitten in der Sozialgesetzgebung und dem Arbeitsrecht bestimmt war. Die Wählerbasis seiner Partei bestand eben nicht nur aus kleinbürgerlichen Gewerbetreibenden und Freiberuflern, die sich von den nationalliberalen Karrieristen in der FPÖ um Haider gut vertreten sahen, sondern vor allem aus abhängig Beschäftigten. Die FPÖ verlor bei der vorgezogenen Nationalratswahl 2002 mehr als die Hälfte ihrer Stimmen.
Der Charakter der FPÖ
Der Niederlage folgte 2005 die Abspaltung durch das von Haider gegründete Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ). Nun war in der FPÖ der Weg frei für einen Neuanfang unter der Führung von Strache. Mit ihm wurde jemand an die Spitze gewählt, der aus der gewaltbereiten Neonaziszene kommt und der an Wehrsportübungen teilgenommen hat. Zugleich hat er aber verstanden, dass es mehr bedarf als dumpfer Gewaltbereitschaft, um politisch erfolgreich zu sein. Das macht ihn so gefährlich. Auf dem Neujahrstreffen 2013 seiner Partei brachte er seine Vorstellungen so auf den Punkt: »Mit 18 Prozent habe ich nicht die Macht die Interessen der Österreicher durchzusetzen. Ich brauche Macht.«
Die FPÖ ist im Kern immer eine faschistische Partei gewesen, die in Abhängigkeit von den vorgefundenen politischen Rahmenbedingungen versucht hat, ihren Kaderstamm zusammenzuhalten und auszubauen. Sie ist dabei Kompromisse eingegangen, um ihr bürgerliches Umfeld zu halten, das sie zur Tarnung so dringend benötigt. Die schwere Niederlage der FPÖ bei der Präsidentschaftswahl von 2010 war ein Beleg dafür, dass es sich rächt, wenn man den Bogen überspannt. Damals war Barbara Rosenkranz für die Partei angetreten. Sie hatte in der Vergangenheit offen mit dem Nationalsozialismus sympathisiert. Noch sind die politischen Verhältnisse zu stabil und die soziale Situation ist nicht mit dem Massenelend in der Weimarer Republik vergleichbar, um ernsthaft einen Umsturz ins Auge fassen zu können. Die Burschenschaft »Olympia« gab 2010 deswegen die Parole aus: »Wir müssen uns durch mentale und politische Vorbereitung rüsten, um dann, wenn es darauf ankommt, unsere Handlungsfreiheit bewahren zu können und uns zum Wohle unseres Volkes mit aller Kraft in die Waagschale werfen zu können!«
Wehret den Anfängen!
Die Auseinandersetzung über den wahren Charakter der FPÖ ist von großer Bedeutung. Denn die Gefahr, die von dieser Partei ausgeht, ist real. Bei der von einem Gericht angeordneten Wiederholung der Bundespräsidentschaftswahl kann es ihrem Kandidaten gelingen, die Mehrheit zu erlangen. Die österreichische Verfassung von 1929 gibt dem Bundespräsidenten die Macht, Regierungen zu entlassen und so Neuwahlen zu einem seiner Partei genehmen Zeitpunkt anzusetzen.
Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Er hat als formeller Oberbefehlshaber den Zugriff auf die Armee. Der FPÖ-Kandidat Hofer hat bereits bei der Wahl im Mai damit gedroht, die Regierung zu entlassen, sollte diese seinen Ideen als Staatsoberhaupt nicht folgen. »Wenn die Regierung bei ihrem Kurs bleibt, in der Flüchtlingsfrage, bei der Pflege, der Wirtschaft und den Spitälern, würde ich ein Gespräch mit ihr führen. Wenn das nicht taugt, steht am Ende die Entlassung an«, sagte Hofer damals den »Vorarlberger Nachrichten«.
Eine solche Machtoption wäre für die FPÖ ein Durchbruch. Dass sie sich überhaupt so weit etablieren konnte, liegt auch an dem Versagen der etablierten Parteien in Österreich, insbesondere der Sozialdemokratie. Für SPÖ und ÖVP ist die FPÖ immer ein möglicher Koalitionspartner gewesen und braune Spuren sind ständig als Randerscheinung verharmlost worden. Aber nicht nur das. Die Politik der Großen Koalition von SPÖ und ÖVP rollte der FPÖ den roten Teppich aus.
Alleine im letzten Jahr hat die Regierung das umgesetzt, was die FPÖ seit langem fordert – eine Politik der Obergrenzen, der Abschottung der Außengrenze und der Panikmache vor »Flüchtlingsflut« und »Überfremdung«. Das hat die FPÖ salonfähig gemacht. Denn bei Wahlen entscheiden sich viele für das Original, die FPÖ, und nicht für die Kopie. Besonders schlimm: Auch weil eine echte linke Alternative fehlte, gelingt es der neofaschistischen FPÖ Stimmen von Arbeiterinnen und Arbeitern und Angestellten zu bekommen.
Der Wahlkreis mit dem höchsten Stimmenanteil der FPÖ liegt im Wiener Arbeiterstadtteil Simmering. Dort kam die Partei schon im letzten Jahr auf 49 Prozent. Zwar sind bei weitem nicht alle Wählerinnen und Wähler der FPÖ Nazis. Aber der dramatische Vormarsch der FPÖ ist auch eine Warnung an alle deutschen Sozialdemokraten und Linken, die meinen, sie könnten den Rechten das Wasser abgraben, indem sie die Forderungen und Themen der radikalen Rechten übernehmen. Wehret den Anfängen!
Foto: MichaelGubi