Mit neuen Kleidervorschriften an Schulen schürt die Regierung Macron Rassismus gegen Muslime. Die Attacke zielt auch darauf, die soziale Opposition in Frankreich zu spalten, argumentiert John Mullen
Nur wenige Tage vor Beginn des neuen Schuljahres in Frankreich kündigte die Regierung ein Verbot bestimmter Arten von langen Kleidern und Tuniken für Schüler:innen an. Präsident Macron nutzt die weit verbreitete Islamophobie, um die Unterstützung der extremen Rechten zu gewinnen und vom Klassenkampf abzulenken. In einem Jahr, in dem die Dividenden für Aktionär:innen in Frankreich ein Rekordhoch erreicht haben und in dem es der Regierung Macron trotz einer großen Protestbewegung gelungen ist, ihr Rentengesetz durchzusetzen, was könnte da für das Kapital besser sein, als die Bevölkerung glauben zu machen, dass das Hauptproblem der französischen Gesellschaft die Muslim:innen sind? Da die Frage des antimuslimischen Rassismus die Linke, die sich zur Verteidigung der Renten im Frühjahr noch zusammengeschlossen hatte, tief spalten kann, gibt es allen Grund zu vermuten, dass in den Chefetagen der französischen Bourgeoisie die Champagnerkorken knallen (lies hier den marx21-Artikel: »Frankreich: Muslime unter Generalverdacht«).
Frankreich: Neue Attacke gegen Muslim:innen
Der erst im Juli ernannte Bildungsminister Gabriel Attal kündigte Ende August an, das rassistische Gesetz aus dem Jahr 2004 auszuweiten. Das Gesetz verbietet jungen Musliminnen das Tragen von Kopftüchern in der Schule. Er erklärte, dass von nun an auch lange Abaya-Kleider und Kami-Männertuniken als »auffällige religiöse Symbole« gelten und verboten sind. Und das, obwohl die beiden Begriffe nicht eindeutig sind und der französische Muslimrat erklärt hat, dass die Abaya kein religiöses Kleidungsstück ist.
All dies beruht auf der Behauptung der Regierung, dass die Laizität – die strenge Trennung zwischen Staat und Religion – von radikalen Muslim:innen bedroht werde. Zweitausend Lehrkräfte wurden in der »Anwendung der Laizität in der Schule« angeblich »geschult«, wobei ihre Fortbildung eine ganze Einheit über die Gefahren der Religion in der Schule beinhaltet. Es gibt ein einfaches Online-Formular für Lehrkräfte, um »Verstöße gegen die Laizität« zu melden. Dieses System hat in letzter Zeit gezeigt, dass die »Verstöße« zunehmen, aber ein genauerer Blick auf die Zahlen offenbart, was für ein rassistischer Zirkus das System ist. Zu den »Verstößen« gehören Berichte über Schüler:innen, die andere zum Beten ermutigen. Aber seine Freund:innen zu ermutigen, mit dem Beten anzufangen, das Beten aufzugeben, Country-Musik zu hören oder Gothic-Kleidung zu tragen, ist einfach ein demokratisches Recht.
Das Meldesystem in Schulen hofiert Islamfeindschaft
Nach Angaben des Meldesystems gibt es derzeit monatlich zwischen 300 und 700 Berichte über Verstöße. Bei der Hälfte davon geht es um die langen Kleider, die die Schüler:innen tragen. Einige Schuldirektoren haben bereits vor August versucht, diese zu verbieten. Aus dem offiziellen Bericht geht hervor, dass alle Anschuldigungen wegen »Verstößen gegen die Laizität« von denselben 170 Schulen stammen (von insgesamt 60 000 Schulen). Es handelt sich also nicht um ein ausgeklügeltes fundamentalistisches Komplott, um den französischen Staat zu zerstören, indem die Knie von Frauen versteckt werden, sondern im Grunde um eine sehr kleine Anzahl von Schulleitern, die das System nutzen, um ihre Islamfeindschaft auszuleben. In der Zwischenzeit versuchen Regierungs- und Mediensprecher:innen regelmäßig, eine Verbindung zwischen alltäglichen Glaubensritualen und dem schrecklichen Mord an dem Lehrer Samuel Paty herzustellen. Dieser wurde im Jahr 2020 durch einen jugendlichen Terroristen (einen russischen Staatsbürger tschetschenischer Herkunft), der behauptete, Paty habe den Islam beleidigt, ermordet.
Die linke Opposition gegen Rassismus
Die konservativen Regierungen in Frankreich verbringen so viel Zeit damit, Muslim:innen anzugreifen, weil sie wissen, dass die Linke hoffnungslos gespalten sein wird. In der vergangenen Woche haben Fabien Roussel, Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Olivier Faure, Vorsitzender der Sozialistischen Partei, und Sophie Binet, Generalsekretärin des Gewerkschaftsbundes CGT, die Entscheidung der Regierung gebilligt. Sophie Venetitay, die Vorsitzende der größten Gewerkschaft der Sekundarschullehrer, weigerte sich, die Maßnahme abzulehnen, während der Vorsitzende der antirassistischen Organisation SOS Racisme sich zwar kritisch, aber nicht eindeutig gegen das Verbot aussprach. Zahlreiche Feminist:innen und linke Aktivist:innen verteidigen das Verbot. Glücklicherweise haben einige radikalere CGT-Sektionen dagegen protestiert. Die CGT Education 93 in den Pariser Vororten erklärte in einer Pressemitteilung, dies sei »eine rassistische Polemik, die darauf abzielt, ein politisches Vakuum zu verbergen«, und prangerte »eine rassistische und sexistische Entscheidung zur Stigmatisierung muslimischer Mädchen« an, die von den schwerwiegenden Problemen ablenke, die durch die Sparmaßnahmen der Regierung verursacht würden. In der Erklärung wurde auch betont, dass die Abaya »kein religiöses Kleidungsstück« sei.
Fortschritte bei La France Insoumise
Die Situation in Frankreich ist allerdings besser als noch vor einigen Jahren. Im Jahr 2004, als das Kopftuch in Schulen verboten wurde, zählten die Protestkundgebungen in Paris nach ein paar Dutzend Menschen. Keine größere linke Gruppierung unterstützte sie. Als 2010 der Niqab-Gesichtsschleier auf öffentlichen Plätzen und auf der Straße verboten wurde, waren die Protestkundgebungen in etwa gleich groß. Doch im Falle des jüngsten Angriffs haben die Führer:innen der linken Partei France Insoumise (deren Kandidat Jean-Luc Mélenchon bei den Präsidentschaftswahlen 2022 sieben Millionen Stimmen erhielt) die neuen Maßnahmen deutlich verurteilt (Lies hier den marx21-Artikel: »Vorbild Jean-Luc Mélenchon?«). Diese Haltung zeugt von einigem politischen Mut, denn Umfragen zufolge befürworten 71 Prozent der Bevölkerung ein Verbot der Abaya in der Schule (sogar 41 Prozent der 18- bis 24-Jährigen). 86 Prozent derjenigen, die normalerweise die Faschistin Marine Le Pen wählen, unterstützen die Regierung in dieser Frage, aber auch 55 Prozent derjenigen, die Jean-Luc Mélenchon wählen. Manuel Bompard, parlamentarischer Koordinator von La France Insoumise, prangerte eine »grausame und gefährliche« Entscheidung an, die »eine weitere Reihe von Diskriminierungen junger Frauen, insbesondere muslimischer Frauen« auslösen werde. Er kündigte an, dass seine Partei den Fall vor Gericht bringen werde, um zu zeigen, dass die Maßnahme gegen die französische Verfassung verstößt. Eine Vereinigung für die Rechte von Muslim:innen plant ebenfalls eine Klage.
Es gibt kein Recht auf Rassismus
Dass die größte und einflussreichste Kraft der Linken die neuen Maßnahmen als diskriminierend anprangert, ist eine ermutigende Nachricht. Dieser Fortschritt wurde zum Teil durch antirassistische Basisnetzwerke vorangetrieben, die in den letzten zwanzig Jahren entstanden sind, und zum Teil durch die Dynamik von La France Insoumise, die auf alle Kämpfe gegen Ungerechtigkeit im Land hören und darauf aufbauen will. Es ist bemerkenswert, dass die jährliche Sommerschule von La France Insoumise, die noch vor vier Jahren einen bekannten islamfeindlichen linken Intellektuellen, Henri Peña Ruiz, als Redner einlud (er erklärte: »Wir haben das Recht, islamfeindlich zu sein«), im Jahr 2023 für Schlagzeilen sorgte, indem sie den bekannten Rapper Médine einlud, der seit Jahren lautstark und poetisch gegen Islamfeindlichkeit kämpft. Auch die Neue Antikapitalistische Partei NPA verurteilte die Entscheidung, obwohl es in ihren Reihen Unstimmigkeiten gab. Einige weniger einflussreiche Teile der revolutionären Linken, wie die Révolution Permanente, haben das Recht der Schüler auf Religionsausübung uneingeschränkt verteidigt.
Schwachstellen der Linken in Frankreich
Der Mangel an aktiver Opposition gegen antimuslimischen Rassismus in weiten Teilen der Linken bedeutet, dass es für junge Menschen sehr schwierig ist, das für Widerstand nötige Selbstvertrauen zu gewinnen. Natürlich würden Antirassist:innen es am liebsten sehen, wenn alle Schüler:innen in Abayas in die Schule kommen und das Verbot ignorieren, aber ohne solide politische Unterstützung war der Widerstand am ersten Schultag – Montag, den 4. September – sehr spärlich. Auch die politische Opposition, die es gibt, hat zwei große Schwächen. Erstens konzentriert sie sich im Allgemeinen entweder auf rein verbale Kritik in Pressemitteilungen oder auf institutionelle Verfahren wie den Gang vor Gericht. Beides ist wichtig, aber wo bleiben die Kundgebungen, Versammlungen, Flugblätter, Demonstrationen und, wo möglich, die Organisation von Massenwiderstand? Zweitens konzentriert sich ein Großteil der Opposition auf das Argument, dass diese langen Kleider und Tuniken nicht unbedingt religiös sind. Damit wird die ganze Debatte zu einer ziemlich törichten Diskussion darüber, wer entscheidet, was religiös ist. Linke sollten vielmehr das Recht der Schüler:innen verteidigen, ihre Religion in der Öffentlichkeit zum Ausdruck zu bringen, und daher auch die Aufhebung des Kopftuchverbots von 2004 fordern.
Eine Verdrehung des laizistischen Prinzips
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948, die von 192 Ländern, darunter auch Frankreich, unterzeichnet wurde, heißt es, dass es ein grundlegendes Menschenrecht ist, »seine Religion oder seine Weltanschauung in der Öffentlichkeit oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Rituale zu bekunden«. Das laizistische Prinzip in französischen Schulen wurde 1905 eingeführt, um die Kirche daran zu hindern, die Schulen zu kontrollieren und zu entscheiden, was in ihnen gelehrt wird. Es war nicht dazu gedacht, religiöse Äußerungen unter jungen Bürger:innen zu verbieten. Diese Verbote sind eine rassistische Verdrehung des laizistischen Prinzips, das in den letzten zwanzig Jahren eingeführt wurde. Sie müssen rückgängig gemacht werden und die Linke hat die Verantwortung dafür zu kämpfen.
Zum Autor: John Mullen ist ein revolutionärer Sozialist in der Region Paris und Unterstützer der France Insoumise. Seine Website lautet randombolshevik.org
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Schlagwörter: Antimuslimischer Rassismus, Frankreich, Islam, Islamfeindlichkeit