In Spanien ist die Frauenbewegung eine der stärksten weltweit. Wir sprachen mit der Aktivistin Ana Rincón über die Rebellion der spanischen Frauen, warum Männer für die Rechte der Frauen streiken müssen und wie sie die Belegschaft ihres Betriebes zum »feministischen Streik« mobilisiert hat
Ana Rincón ist Betriebsratsvorsitzende des akademischen Mittelbaus in der Universität von Sevilla und Mitglied der andalusischen Gewerkschaft SAT. Sie hat im Frühjahr 2018 den dritten unbefristeten Streik der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Dozentinnen und Dozenten der Universität von Sevilla angeführt und war eine der Organisatorinnen des feministischen Generalstreiks am 8. März 2018. Auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung war sie Mitte Februar zur 4. Konferenz gewerkschaftliche Erneuerung in Deutschland.
Im vergangenen Jahr protestierten am Internationalen Frauentag zum »feministischen Streik« mehr als 5 Millionen Menschen. Es war die größte Mobilisierung von Frauen in der Geschichte Spaniens. Es gab 120 Protestmärsche und 300 Kundgebungen im ganzen Land. War der Streik ein Selbstläufer?
Nein. Für mich war besonders bemerkenswert, dass sich so viele Frauen beteiligt haben. Für viele Frauen ist es schwierig zu streiken, weil ihre Arbeitsbedingungen sehr prekär sind. Dass sich trotz dessen so viele am Streik beteiligt haben, zeigt wie wichtig unsere Initiative ist. Die Erfahrung des feministischen Streiks verwandelt viele Frauen in Aktivistinnen. Auch deswegen war der Streik am 8. März letzten Jahres wirklich ein Riesenerfolg.
Du arbeitest in der Universität von Sevilla. Wie lief der Streik dort ab?
Dort wo ich arbeite, streikten viele weibliche aber auch männliche Beschäftigte. Ausschlaggebend war an der Universität die praktische Solidarität der Studierenden mit den Streikenden. Die Studierenden sorgten in Form von Streikposten dafür, dass der Universitätsbetrieb komplett lahmgelegt wurde. Danach zogen sie weiter und vereinten sich mit den Arbeiterinnen, die sich vor ihren Betrieben versammelt haben. Abends, nachdem die Frauen in ihren Betrieben gestreikt haben, sammelten sich unzählige Frauengruppen spontan im Stadtzentrum von Sevilla. Dort ging der Streik in Form einer riesigen Demonstration zu Ende. Es war wirklich eine große Menschenmenge. Zeitgleich zum Streik wurden in der ganzen Stadt Kinderbetreuungen und Gemeinschaftsessen organisiert. Das war an diesem Tag die Aufgabe der Männer.
Wie trägt der feministische Streik zum Kampf gegen Frauenunterdrückung bei?
Der Streik trägt dazu bei, klar zu machen, unter was für prekären Umständen Frauen leben. Der Streik hatte vier Schwerpunkte: Es wurde an diesem Tag in den Betrieben und in Bildungseinrichtungen gestreikt, aber eben auch im Bereich der Sorge- und Pflegearbeit und es wurde nicht eingekauft.
Warum sind euch diese vier Bereiche wichtig?
Dadurch soll gezeigt werden, in wie vielen Bereichen Frauen heute noch ausgebeutet werden.
Welches Ziel hat der Streik?
Strategisch gesehen ist das Ziel des Streiks, die Forderungen der Frauenbewegung bekannter zu machen. Wir nennen den Streik deswegen auch »feministischen Streik«. Aber wir wollen natürlich auch das Selbstbewusstsein von Frauen stärken. Das wirkt sich direkt auf das Arbeitsleben von Frauen aus, auf ihre Beziehungen zu ihren Vorgesetzten und ihren Arbeitskollegen.
Inwiefern?
Viele Frauen beginnen sich gerade zu politisieren Die Anwendung von Streiks durch die feministische Bewegung ist neu und gibt ihr eine unaufhaltsame Kraft. Es führt dazu, dass feministische Forderungen, wie ein Ende sexualisierter Gewalt, in die Erwerbssphäre getragen werden.
Wie hat es die feministische Bewegung geschafft, die spanischen Mehrheitsgewerkschaften zur Ausrufung eines Generalstreiks zu bringen?
Um das zu verstehen, ist es wichtig, sich den Aufbauprozess der feministischen Bewegung anzuschauen. Die Bewegung hat auf lokaler, regionaler, überregionaler und landesweiter Ebene Strukturen aufgebaut, die schnell gewachsen sind. Die Dynamik erinnert mich an die Organisationsprozesse der »Bewegung 15. Mai« ab 2011. Ich würde sogar sagen, die feministische Bewegung ist aus den Ruinen des 15M entstanden. Letztlich hat die starke Basisverankerung der feministischen Kollektive und die Stärke der Frauenbewegung die Mehrheitsgewerkschaften dazu gebracht, sich am feministischen Streik zu beteiligen.
Mussten die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter an der Basis Druck auf ihre Gewerkschaftsführungen ausüben?
Ja, ohne Druck passiert leider gar nichts (lacht). Zuerst haben die Führungen der Mehrheitsgewerkschaften mit Besorgnis beobachtet, dass eine Bewegung außerhalb ihrer Kontrolle in den Betrieben aktiv geworden ist und das auch noch mit Hilfe einer eigentlich gewerkschaftlichen Kampfmethode, dem Streik.
Nach den guten Ergebnissen des Streiks im letzten Jahr: Wie verhalten sich die Gewerkschaften 2019?
Letztes Jahr haben die Gewerkschaften ja nur zu einem zweistündigen Generalstreik aufgerufen. Aufgrund der positiven Erfahrung des Frauentages 2018 und der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz für die feministischen Forderungen nach gleichem Lohn für Männer und Frauen, haben die Gewerkschaften dieses Jahr jedoch zu einem 24-stündigen Ausstand am 8. März ausgerufen.
Wirklich?
Ja, eine absolut bemerkenswerte Entwicklung! Dieses Jahr wird es ein richtiger, ganztägiger Generalstreik, der wirtschaftliche Auswirkungen zeigen wird. Letztlich bilden Frauen die Hälfte der Bevölkerung und haben einen Generalstreik verdient.
Das klingt toll!
Ja. Die feministische Bewegung ist zurzeit die einflussreichste soziale Bewegung im spanischen Staat. Das hat zu einem Sinneswandel in den Mehrheitsgewerkschaften bezüglich des Feminismus geführt. Er wird dadurch erleichtert, dass es zwischen der feministischen und der Gewerkschaftsbewegung fließende Übergänge gibt.
Das musst du genauer erklären?
Viele feministische Genossinnen sind gleichzeitig Gewerkschafterinnen. So werden Erfahrungen von einem Bereich in den anderen Bereich übertragen und umgekehrt. Zentral für den Sinneswandel der großen Gewerkschaften waren beispielhafte Arbeitskämpfe in den letzten Jahren, die vor allem von Frauen geführt wurden: Hotelreinigungskräfte, Haushaltshilfen, die Saisonarbeiterinnen der Erdbeerfelder von Huelva, die Verkäuferinnen im Einzelhandel und viele weitere. Das hat den Mehrheitsgewerkschaften gezeigt, dass sie Frauen und ihren Problemen mit prekären Beschäftigungsverhältnissen mehr Aufmerksamkeit schenken sollten.
Was für politische Debatten haben die Streikvorbereitung begleitet?
In einer interessanten Kontroverse ging es darum, ob der feministische Streik auch für Männer ist oder nur für Frauen.
Was ist deine Meinung dazu?
Ich bin dafür, dass Männer und Frauen am 8. März gemeinsam zum Streik aufgerufen werden. Wir wollen doch, dass die gemeinsame Macht der weiblichen und männlichen Beschäftigten den Forderungen der Frauen Nachdruck verleiht. Dafür müssen wir zusammen kämpfen. Zusammen kämpfen heißt in diesem Fall, dass wir von den Männern erwarten, dass sie zusätzlich Sorge- und Pflegearbeiten übernehmen, während die Frauen streiken.
Wie läuft die Streikvorbereitung dieses Jahr?
Wir haben zu offenen Versammlungen in den Betrieben aufgerufen und gemeinsame Versammlungen der weiblichen Basismitglieder aus den unterschiedlichen Gewerkschaften organisiert.
Dort sind alle Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter eingeladen?
Ja, nur die hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre werden zu diesen Treffen nicht eingeladen.
Warum?
Wir wollen erst mal uns Frauen die Möglichkeit geben, unsere eigenen Anliegen zu formulieren. Denn um erfolgreich eine Belegschaft eines Betriebes oder einer öffentlichen Einrichtung für den feministischen Streik zu gewinnen, ist es wichtig, feministische Forderungen mit Anliegen der Belegschaft zusammenzubringen. Der Streik am 8. März umfasst deswegen feministische Anliegen aus unterschiedlichen Bereichen, politische, soziale, aber auch ökonomische Forderungen.
Wie wird es weitergehen?
Wir mobilisieren natürlich weiter! Es geht uns um Organisationsstrukturen, die Feminismus und Gewerkschaft zusammendenken und in der Lage sind, die Durchsetzungskraft von Streiks für feministische Anliegen zu nutzen. Wir wollen die Strukturen weiter stärken, die sich bereits entwickelt haben.
Interview und Übersetzung: Miguel Sanz Alcántara und Rabea Hoffmann
Dieses Interview wurde zuerst veröffentlicht von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Foto: Wikimedia
Schlagwörter: 8. März, Feminismus, Frauen, Frauenbewegung, Frauentag, Spanien, Streik