Am Internationalen Frauentag demonstrierten Tausende in fast jeder Stadt Irlands für das Recht auf Abtreibung und die Aufhebung der 8. Verfassungsänderung. Wir sprachen mit der Aktivistin und Abgeordneten Bríd Smith über barbarische Gesetze, neue Protestformen und einen ungewöhnlichen Parlamentsantrag
Bríd Smith ist eine von sechs Abgeordneten des Bündnisses »People Before Profit/Anti-Austerity Alliance« (PBP/AAA) im irischen Unterhaus und langjährige Aktivistin in der sozialistischen Bewegung und der Frauenbewegung in Irland.
marx21: Zum Internationalen Frauentag am 8. März gab es in Irland zahlreiche Protestaktionen für das Recht auf Abtreibung. Woher kommt die große Dynamik der Bewegung?
Bríd Smith: Die Forderung nach einem Volksentscheid über die Aufhebung der 8. Verfassungsänderung, die Abtreibungen verbietet und das Leben eines Fötus mit dem einer Frau gleichsetzt, hat in den letzten Jahren einen Riesensprung nach vorne gemacht. Die Bewegung entstand nach dem tragischen Tod einer jungen Frau in einem Krankenhaus in Galway. Sie und ihr Ehemann hatten eine Abtreibung gefordert, um ihr Leben zu retten, aber sie wurde ihnen mit Verweis auf die Verfassung verwährt. Seit dem Tod von Savita Halappanavar sind mehrmals Tausende auf die Straßen von Dublin geströmt und jedes Jahr werden in Erinnerung an sie Proteste organisiert. Die Bewegung ist vor allem unter jungen Menschen gewaltig gewachsen.
Zusätzlich zu den Demonstrationen gab es am 8. März auch eine Streikbewegung für die Aufhebung der Verfassungsänderung. Wer hat dort gestreikt?
Das ist eine neue interessante Entwicklung. Es gab am 8. März neben den großen Demonstrationen auch eine neu entstandene Bewegung unter dem Motto »Strike4Repeal« (deutsch: Streik für Aufhebung). Inspiriert wurde sie von den polnischen Frauen, die zur Verteidigung ihrer beschränkten Abtreibungsrechte gestreikt haben. Die Idee hat die Fantasie vieler Menschen angeregt und die Aktionen waren sehr erfolgreich. Es wäre aber falsch die Aktivitäten am 8. März als Streik im traditionellen Sinne zu beschreiben. Viele Frauen haben Urlaub genommen, um dabei zu sein. Es war aber insofern ein Streik, als dass den ganzen Vormittag Streikposten vor Regierungsgebäuden eingerichtet wurden. Und auch wir im Parlament haben einen einstündigen Streik durchgeführt, indem wir Streikposten vor die Tore des Parlamentsgebäudes stellten. Zwar haben sich nur etwa zehn Abgeordnete daran beteiligt, aber zu unserer Freude haben sich uns viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeschlossen.
Wir streikten für eine Stunde und dann marschierten wir zur O’Connell Bridge, dem zentralen Verkehrsknotenpunkt Dublins, wo wir uns einer Truppe von etwa 5.000 hauptsächlich jungen Menschen für eine direkte Aktion anschlossen. Wir blockierten die Brücke für etwa zwei Stunden und legten die ganze Stadt lahm. Später am Nachmittag marschierten wir von der Nordseite der Stadt zum Parlamentsgebäude mit etwa 15.000 Menschen, die die Aufhebung der Verfassungsänderung forderten und den Internationalen Frauentag feierten. Die Atmosphäre knisterte. Sie war trotzig, hoffnungsvoll, jung, wütend, laut und unaufhaltsam.
Nirgendwo in Europa sind die Abtreibungsgesetze so scharf wie in Irland. Ist der große Widerstand dagegen eine neue Entwicklung?
Irland hat seit seiner Gründung sehr strenge Abtreibungsgesetze und ironischerweise vereinigt dies die beiden irischen Staaten, da die Gesetze in Nordirland ebenso rückwärtsgewandt und barbarisch sind. Der Widerstand dagegen und die Bewegung für reproduktive Selbstbestimmung sind keineswegs neu – in der Vergangenheit sahen wir immer wieder Zehntausende, die demonstrierten und sich organisierten. Immer wieder kam es zu Protesten, wenn sich Skandale und Tragödien ereigneten, wie der Tod von Frauen, denen ihr Recht auf Abtreibung verweigert wurde, oder Haftstrafen für Frauen, die trotzdem eine Schwangerschaft abbrachen. Aber dieses Mal ist die Bewegung qualitativ und quantitativ anders. Ich vermute das liegt an dem Sieg im Volksentscheid für die gleichgeschlechtliche Ehe. Diese Auseinandersetzung hat viele vor allem junge Menschen zum Kampf um Gleichheit bestärkt und — was von entscheidender Bedeutung war — sie haben gewonnen.
Wer steht hinter der neuen Bewegung? Wie wurden die Proteste organisiert?
Es gibt zwei Stränge in der Bewegung: Erstens diejenigen, die traditionell im Umfeld der linken politischen Parteien und der Frauenbewegung stehen. Diese Kräfte sind um die Forderung nach einem Volksentscheid über die Aufhebung der 8. Verfassungsänderung vereinigt und auch bekannt als die »Koalition zur Aufhebung der 8.«.
Der zweite Strang ist die neu entstehende und dynamische Strike4Repeal-Bewegung, die durch andere Kampagnen wie den »Home Sweet Home«-Kampf gegen Obdachlosigkeit zusammengekommen ist, an dem viele Künstler und Studierende beteiligt waren. Der größte Teil der Strike4Repeal-Bewegung besteht aus Studierenden. Sie sind locker über die sozialen Medien und Versammlungen an den Hochschulen organisiert.
Du hast letzte Woche einen Gesetzentwurf zur Minderung der Strafe für Abtreibung auf ein Bußgeld von einem Euro in das irische Parlament eingebracht. Was war die Strategie dahinter und hat sie funktioniert?
Das Ziel meines Gesetzentwurfs war die Entkriminalisierung von Abtreibung, wofür im Süden die Höchststrafe 14 Jahre Haft ist und im Norden lebenslänglich. Aber als ich meinen ersten Gesetzentwurf einbrachte, der die Paragrafen entfernt, die Abtreibungen kriminalisieren, meinten die Gesetzesberater im Parlament, dass wir einen solchen Entwurf nicht einbringen dürften, weil er verfassungswidrig wäre. Wir mussten daher irgendeine Art Strafe für Abtreibung in Irland benennen. Also haben wir die Summe von einem Euro als Geldstrafe als Alternative zur Haftstrafe von 14 Jahren vorgeschlagen. Dieses barbarische Gesetz existiert, um Frauen und Ärzte davor abzuschrecken, eine Abtreibung als Option überhaupt in Erwägung zu ziehen. Ich habe keine Zweifel daran, dass, wenn die 14 Jahre Haft nicht im Gesetzesbuch gestanden hätten, als Savita Halappanavar im Sterben lag, irgendein Arzt wäre bereit gewesen, die Schwangerschaft abzubrechen.
Und solche Haftstrafen werden tatsächlich umgesetzt?
Ja. Vor kurzem sind in Nordirland sogar drei Frauen vor Gericht gewesen, nur weil sie sich eine Abtreibungspille beschafft haben. Diese Pille ist von der Weltgesundheitsorganisation WHO genehmigt und wird auch in Irland zunehmend von Frauen benutzt, die sie illegal über das Internet erhalten. Die Strafen für die Frauen wurden zwar zur Bewährung ausgesetzt, aber nichtsdestotrotz ist es eine Schande, dass sie in dieser Weise kriminalisiert werden.
Was ist aus deinem Gesetzentwurf geworden?
Der Gesetzesentwurf wurde von den Regierung geändert und dann in der Abstimmung abgelehnt. Sie argumentierte, dass man den Entwurf ignorieren und auf das Ergebnis der Bürgerversammlung warten sollte. Das ist jedoch nichts als eine Verzögerungstaktik. Die Idee klingt erstmal demokratisch, aber in Wirklichkeit ist sie totaler Unsinn. 99 zufällig ausgewählte Bürger treffen sich regelmäßig bis Juni 2017 und schauen auf das Beweismaterial für und wider das Recht auf Abtreibung. Sie sind dann dazu verpflichtet, eine Empfehlung zu geben, ob das gewählte Parlament einen Volksentscheid zulassen sollte oder nicht. Und sie sollen sogar entscheiden, wie der Wortlaut der Frage im Volksentscheid heißen sollte. Mein Gesetzesentwurf wäre ein großer Fortschritt für Frauen gewesen, wenn er angenommen worden wäre – aber auch er war nicht ausreichend. Die einzige wirkliche Lösung, um Frauen zu entkriminalisieren, ist die Aufhebung der 8. Verfassungsänderung.
Wie reagierten die anderen Parteien?
Die konservativen Oppositionskräfte stimmten mit der Regierung. Darunter waren auch einige prominente Frauen, die bislang stolz die Aufhebung gefordert haben und wegen dieser Haltung bei der letzten Wahl Stimmen gewonnen haben. Die Sinn Féin-Abgeordneten haben sich zu ihrer Schande enthalten, mit dem Argument, dass die Frauen immer noch kriminalisiert würden, und dass ihre Fraktion rechtlichen Rat bekommen habe, der angedeutet habe, der Entwurf sei problematisch. Dennoch haben sie keinen Versuch unternommen, Änderungsanträge einzubringen oder Verbesserungsvorschläge zu machen. Also haben sie sich alle enthalten – einschließlich aller weiblichen Abgeordneten. Die Reaktion der übrigen Linken war gemischt. Einige ehemalige Mitglieder der Sozialistischen Partei, die jetzt unabhängige Abgeordnete sind, stimmten gegen den Änderungsantrag der Regierung, drückten aber ihre Bedenken über den Gesetzentwurf aus, besonders über die Tatsache, dass er Frauen nicht vollständig entkriminalisieren würde. Aber die Regierung hat die Abstimmung mit überwältigender Mehrheit gewonnen.
Dann war die Initiative letztlich umsonst?
Nein, die Auswirkung des Gesetzesentwurfs war, dass mehr junge Menschen über diese Frage informiert sind und die skandalöse Barbarei der Gesetzgebung beleuchtet wurde. Wir haben nicht einfach nur einen Gesetzentwurf eingebracht, sondern eine Kampagne dazu initiiert. Im Laufe der Kampagne wurde deutlich, dass die meisten Menschen im Lande nichts von der 14-jährigen Haftstrafe in der Gesetzgebung wussten – darunter auch Fachleute und Journalisten. Außerdem stellte die Initiative die politischen Schwächen der konservativen Frauen bloß, die es allen Recht machen wollen. Schließlich stimmten sie mit der Regierung. Sinn Fein wurde umfassend bloßgestellt, da sie eine sehr verwirrte und widersprüchliche Position zur Abtreibung hat und untereinander sowie zwischen dem Norden und dem Süden sehr unterschiedliche Positionen vertritt.
Wie geht es jetzt weiter in eurem Kampf für das Recht auf Abtreibung?
Als nächsten Schritt für ein landesweites Recht auf Abtreibung arbeiten wir momentan daran einen großen Protesttag im Juni zu organisieren. Terminlich soll er mit dem Bericht der Bürgerversammlung zusammenfallen. Das wird der größte und bedeutendste Protest für reproduktive Selbstbestimmung, den wir jemals gehabt haben. Die neue Generation von Aktivistinnen und auch Aktivisten wird nicht aufhören, bis wir das Recht auf kostenlose, sichere und legale Abtreibung in Irland erkämpft haben.
Das Interview führte Einde O’Callaghan.
Fotos: People Before Profit, Dorota Borowa
Schlagwörter: 8. März, Abtreibung, Feminismus, Frauenbewegung, Frauenstreik, Frauentag, Irland, Volksentscheid