Arbeiterinnen und Arbeiter in Französisch-Guyana treten in einen unbefristeten Ausstand und legen das Überseedepartement samt Weltraumbahnhof lahm. Von Florian Wilde
An der äußersten Peripherie der Europäischen Union erschüttern gegenwärtig soziale Unruhen das französische Überseedepartement Guyana. Am Montag erreichten sie mit dem Beginn eines unbefristeten Generalstreiks, zu dem die 37 Mitgliedsgewerkschaften des Dachverbandes UTG aufgerufen hatten, ihren vorläufigen Höhepunkt.
Wie die anderen französischen Überseegebiete leidet auch das an der lateinamerikanischen Atlantikküste gelegene Guyana unter hoher Arbeitslosigkeit, einem extrem prekarisierten Arbeitsmarkt und allgegenwärtiger Armut. Umfangreiche französische Investitionen finden nur für den Weltraumflughafen Kourou statt. Ein besonderes Problem stellt die Kriminalität dar: In dem mit 250.000 Einwohnern dünnbesiedelten Departement wird im Schnitt fast jede Woche ein Mensch ermordet – die höchste Mordrate in Frankreich überhaupt.
Proteste gegen die schlechte Sicherheitslage bilden auch den Ausgangspunkt der aktuellen Protestwelle. Am 17. März stürmten maskierte Anhänger eines kürzlich gebildeten »Kollektivs der 500 Brüder gegen die Kriminalität« eine Veranstaltung mit der französischen Umweltministerin Ségolène Royal und forderten entschlossene Maßnahmen gegen die Kriminalität. Royale brach daraufhin ihren Besuch überhastet ab.
Barrikaden um den Weltraumbahnhof
Am 20. März begannen streikende Arbeiter eines Subunternehmens des Weltraumzentrums von Kourou und Beschäftigte eines nahegelegenen Krankenhauses gemeinsam mit Anwohnerinitiativen, Barrikaden auf den Zufahrtswegen zum Weltraumbahnhof zu errichten. Aktivisten des »Kollektivs« stießen hinzu. Trotz des Einsatzes von Tränengas scheiterte eine Räumung durch die Polizei. Aufgrund der unbefristeten Blockaden musste daraufhin der für den 21. März geplante Start einer Trägerrakete vom Typ »Ariane 5« mit einem südkoreanischen und einem brasilianischen Satelliten auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Nach Angaben der Weltraumbehörde CNES belaufen sich die durch eine Verschiebung verursachten Kosten auf täglich etwa eine halbe Million Euro.
In den folgenden Tagen errichteten Demonstranten im gesamten Departement Durchgangssperren auf den Überlandstraßen sowie vor der Präfektur und am Hafen. Schulen mussten dichtgemacht werden, Hunderte Studierende und andere Beschäftigte schlossen sich den Streikenden an. Bauernorganisationen blockierten ein Vertretung des Landwirtschaftsministeriums, indigene Bewegungen forderten ein Ende illegaler Goldsuche auf ihren Territorien. Auch vor dem Flughafen errichteten Arbeiter Barrikaden. Der Luftverkehr ist seit Freitag eingestellt, das Departement weitgehend von außen abgeschnitten.
Laut Medienberichten zeigte der Generalstreik Wirkung. »90 Prozent der Wirtschaft sind heute zum Stillstand gekommen«, zitierte die Finanzzeitung Les Échos den Präsidenten des Unternehmerverbandes Medef-Guyana, Stéphane Lambert. »So etwas haben wir hier seit Jahrzehnten nicht erlebt. Es ist wirklich eine große und sehr breite Mobilisierung.«
»Wir sind alle Guyaner!«
Die Protestbewegung fordert höhere Löhne, mehr Arbeitsplätze, Investitionen in die soziale Infrastruktur, mehr Förderung für die Landwirtschaft und besseren Schutz für kleine Betriebe. Vom »Kollektiv« werden indes zusätzlich auch rechte Forderungen aufgestellt, etwa nach mehr Polizei und einer verstärkten Rücknahme illegaler Einwanderer durch die Nachbarländer. Vertreter des lokalen Parlaments sprachen sich für einen »Marshallplan« zur Besserung der Situation aus. Der guyanische Oppositionspolitiker Gauthier Horth erklärte gegenüber France24: »Bisher litt Guyana still. Nun artikuliert es sich. Wir haben keinen Zugang zu Arbeit, Bildung oder medizinischer Versorgung. Wir sind den anderen französischen Bürgern nicht gleichgestellt. Das einzige Interesse, das Paris hier hat, ist das Weltraumzentrum.«
Die Proteste erreichen mittlerweile auch den französischen Wahlkampf. Während Marine Le Pen den angeblich durch die Proteste sichtbar werdenden Autoritätsverlust der Regierung in den Überseegebieten beklagte und der neoliberale Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron die Blockaden von Straßen und Flughäfen für nicht zulässig erklärte, sprach der linke Kandidat Jean-Luc Melanchon den Protestierenden seine volle Solidarität aus und rief auf einer Wahlkampfkundgebung vor 10.000 Teilnehmern am Samstag in Rennes: »Wir sind alle Guyaner!«
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