Die Zeiten, in denen migrantische Linke Rassismus einfach so runterschlucken sind vorbei – es ist Zeit sich zu organisieren, meint Ramsis Kilani
Weltweit gehen Hunderttausende Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Straße (Lies hier den marx21-Artikel: »Covid, Trump und Rassismus: Wir alle sind Minneapolis!«). So auch in Siegen. Wir dokumentieren die Rede von Ramsis Kilani, vom sozialistisch-demokratischen Studierendenverband SDS, die er dort auf der Kundgebung gehalten hat.
»Hallo ihr Lieben, ich bin Ramsis Kilani vom sozialistisch-demokratischen Studierendenverband SDS und ich freue mich, dass immer noch so viele hier sind! Der Grund, warum wir heute hier sind, ist zu wichtig, um zu Hause zu bleiben. Der Grund, warum wir heute hier sind, ist nicht allein der Mord an George Floyd. Der Grund ist Rassismus, der weltweit zu solchen Morden führt!
Rassismus ist überall
Rassistische Polizeigewalt, rechtsextreme Netzwerke in Staat, Parlament und auf der Straße sind die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist der alltägliche Rassismus in der gesamten Gesellschaft – nicht nur in den USA, auch hier in Deutschland. Und klar: Auch die BILD-Zeitung und andere sind jetzt natürlich wieder schnell zur Stelle: Der Autopsiebericht bei George Floyd hätte gezeigt, dass er am Corona-Virus erkrankt gewesen sei, dass Rückstände der Droge Crystal Meth in seinem Blut gewesen wären und so weiter. Damit soll der rassistische Mord an ihm heruntergespielt werden.
Der strukturelle Rassismus
Ja – Schwarze machen 68 Prozent der Covid-19-Todesopfer in den USA aus, obwohl sie nur 13 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Ja – Schwarze leiden in den USA im Vergleich häufig unter Drogensucht. Aber warum ist das so? Crystal Meth ist die Droge der Armen. Corona trifft den ärmeren Teil der Bevölkerung am Härtesten. Das sind Folgen der sozialen Notlage von Menschen. Das zeigt im Gegenteil wie tief der strukturelle Rassismus hinter dem Mord reicht. Mal wieder werden also die Folgen von rassistischer Unterdrückung als Entschuldigung für die rassistische Unterdrückung benutzt. Wir kennen das.
Die Rede im Video
Täter-Opfer-Umkehr
Wir von Rassismus Betroffenen müssen diese Täter-Opfer-Umkehr gegen uns klar und deutlich als rassistische Angriffe erkennen. Auch das ist Rassismus! Auch in Deutschland sind migrantische Menschen im Risikoalter für Corona fast dreimal so häufig von Armut betroffen wie nicht-migrantische. Hinzu kommen Benachteiligungen im Gesundheitssystem, im Beruf, bei der Wohnungssuche und und und. Um zu verstehen, wie das verändert werden kann, wie wir Rassismus beenden können, müssen wir verstehen, wo Rassismus herkommt.
Woher kommt Rassismus?
Rassismus ist keine natürliche, angeborene Angst der Menschen vor etwas Anderem. Rassismus ist als Rechtfertigung für moderne Ungerechtigkeit und Unterdrückung entstanden in einem System, bei dem es nur um Profit und nicht um Menschen geht. Im 17. und 18. Jahrhundert breitete sich das Wachstum der kapitalistischen Wirtschaft über das eigene Land aus und ging zu Imperialismus in anderen Teilen der Welt über. Die Kolonisierung, Versklavung und Ausbeutung der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent für den Import von Rohstoffen brachte einigen Wenigen noch kostengünstiger, noch mehr Profit. Aber nach der Französischen Revolution brauchte es ja irgendeine Erklärung, warum jetzt doch nicht alle Menschen in »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit« leben sollten.
Die Erfindung der »Rassen«
Es ist also überhaupt nicht überraschend, dass es dann die Philosophen der Aufklärung selbst waren, die nach einem willkürlichen Merkmal suchten, um diese Ungerechtigkeit irgendwie zu begründen. Und dieses Merkmal war eben die Hautfarbe, heute ist das willkürliche Merkmal für Rassismus auch oft die angeblich einheitliche Kultur oder Religion von Menschengruppen. Aber nochmal zum Mitschreiben: Es gibt auch keine unterschiedlichen Menschenrassen. Rassismus ist immer nur, egal welche Merkmale missbraucht, welche Eigenschaften den rassistisch Unterdrückten zugesprochen werden, eine verlogene, unwahre Ideologie von angeblicher Ungleichheit im Wert von Menschen! Rassismus ist ganz einfach eine einzige, große Lüge! Aber es ist eine verdammt gefährliche Lüge, die in diesem Land mit zur industriellen Vernichtung von Millionen von jüdischen Menschen, Sinti und Roma, slawisch-Sprachigen und anderen geführt hat. Nie wieder!
Rassismus ist eine Folge des Kapitalismus
Rassismus ist eine Folge des Kapitalismus. Alle von uns werden in kapitalistischen Gesellschaften rassistisch erzogen. Selbst wir von Rassismus Betroffenen nehmen uns also als minderwertiger wahr. Und ein Leben reicht auch nicht, um dieses Bild von uns selbst jemals abzulegen. In Studien sagen Schwarze Kinder genauso wie Weiße Kinder ab einem bestimmten Alter, dass die Schwarze Puppe hässlich und frech ist, dass sie lügt, aber die Weiße Puppe nicht. Rassismus zerstört unsere Leben, Rassismus verletzt und grenzt aus. Deswegen stellen wir uns in Siegen heute gegen Rassismus!
Eine andere Welt ist nötig!
Hier und heute sehe ich aber auch die Möglichkeit hin zu einer anderen Welt. Hier und heute sehe ich die bunteste, vielfältigste Demo, die ich in Siegen je erlebt habe! Und das ist kein Zufall. Wir haben auch innerhalb der Orga-Gruppe Rassismus sanktioniert und ausgeschlossen, damit von Rassismus betroffene Menschen sich gemeinsam entfalten konnten und ihren Protest auf die Straße bringen konnten. Wir sehen, wie wichtig das ist. Denn auch deutsche Linke müssen endlich aufhören, so zu tun, als wäre Rassismus nur eine rechte Ideologie und nicht auch ein strukturelles Problem in der Gesellschaft, auch in den eigenen Kreisen. Auch wir sind unter dem Kapitalismus sozialisiert worden. Nur mit konsequenter Selbstkritik, Aufarbeitung und Veränderung schaffen wir es, die von Rassismus Betroffenen miteinzubeziehen – wie es uns heute endlich einmal gelungen ist.
Solidarisch mit anderen Kämpfen der Unterdrückten
Die Zeiten, in denen wir migrantischen Linken Rassismus einfach so runterschlucken, sind vorbei, falls ihr es noch nicht bemerkt habt. Ob Migrantifa, LinksKanaX, N*Wort Stoppen, Black Lives Matter oder andere. Wir organisieren und verteidigen uns gegenseitig. Und gerade die Schwarze Bewegung war immer auch solidarisch mit anderen Kämpfen der Unterdrückten. Es ist höchste Zeit für uns, etwas zurückzugeben.
Organisiert Euch!
Wir organisieren uns und ihr seid von ganzem Herzen eingeladen, euch mit uns zu organisieren, die das hier heute möglich gemacht haben: Im SDS, in der Internationalen Jugendgruppe, in der SDAJ, in der Klimabewegung, in der Linkspartei, was auch immer für euch passt. Kontaktiert uns, sprecht mit uns, fragt, bringt UNS etwas bei. Aber macht eure Stimme sichtbar. Gemeinsam können wir noch viel mehr schaffen. Denn wenn wir Rassismus überwinden wollen, müssen wir uns gemeinsam gegen jede Form von Rassismus überall auf der Welt einsetzen und nicht nur gegen manche, die uns grad in den Kram passen, weil es in Deutschland leichter zu vertreten ist. Nur so schaffen wir eine weltweite, demokratische Alternative zu diesem Ausbeutersystem, und damit auch zum Rassismus.
Konsequenter Antirassismus
Denn: Konsequenter Antirassismus geht nur antikapitalistisch und antiimperialistisch – denn das sind seine Ursprünge. Setzen wir uns gemeinsam für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung ein. Die Looter – das heißt die Plünderer – die Looter in den USA sind nicht die armen Menschen, die jetzt aus Läden Essen mitnehmen und in ihren Vierteln verteilen. Die Looter sind nicht die 40 Millionen neuen Arbeitslosen in den USA seit der Pandemie. Die Looter sind die, die für noch mehr Geld den afrikanischen Kontinent geplündert haben und die Menschen versklavt haben. Die Looter sind die, die selbst während der Corona-Krise noch zig Milliarden scheffeln, während andere Menschen verelenden und verhungern.
No Justice – No Peace!
Setzen wir uns dafür ein, dass die Unterdrückten nicht zum eigentlichen Problem erklärt werden, nur weil sie gegen ihre Unterdrückung aufstehen und dagegen kämpfen. Wenn wir bei Unterdrückung einfach neutral sein wollen, sind wir alles andere als neutral – Dann stehen wir fest auf der Seite der Unterdrückung. Solange die Unterdrückung, solange die Ungerechtigkeit weiterbesteht, kann es für die Unterdrückten nicht einfach ein friedvolles Weiter so! geben. Dafür steht No Justice – No Peace! Jetzt alle – Faust hoch und zusammen: No Justice – No Peace!«
Foto: Miki J.
Schlagwörter: Inland, Polizeigewalt, Rassismus