Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken – Chris Harmans Globalgeschichte erzählt davon. Nun ist die deutsche Ausgabe erschienen. Deren Übersetzerin, Rosemarie Nünning, gibt schon mal einen Ausblick
Als Chris Harmans Buch »A Peopleʼs History of the World« im Jahr 1999 in Großbritannien erschien, war sofort klar, dass es unbedingt auch auf Deutsch veröffentlicht werden muss. Doch erst vor einigen Jahren fand sich mit dem Laika-Verlag ein Herausgeber – und als diese mich fragten, die Übersetzung zu übernehmen, blieb mir gar nichts anderes übrig, als einzuwilligen.
Harman hat – gestützt auf eine Unmenge Literatur – wahrhaftig eine Welt- und Menschheitsgeschichte verfasst, die von den herrschaftsfreien Gesellschaften im »Urkommunismus« bis zur Jahrtausendwende reicht. Sein Anliegen ist es, von der Entstehung von Klassengesellschaften und den gescheiterten wie erfolgreichen Bewegungen für ihren Sturz zu erzählen. Dazu blättert er die gesellschaftlichen Entwicklungen in den verschiedensten Gegenden der Welt auf, die nicht selten denen des »Westens« weit voraus waren.
Er verfolgt dabei einen methodischen Ansatz: nämlich zu zeigen, wie Gesellschaft durch das Zusammenwirken von technologischer Entwicklung, von Klassenstrukturen und Klassenkämpfen geprägt wird. So ist dies keine Geschichte von einem unaufhaltsamen Aufstieg der menschlichen Gesellschaft, sondern auch von der Erstarrung oder dem Zurückfallen entwickelter Zivilisationen.
Die Entstehung von Klassen und Privateigentum
Der weit gespannte Bogen der Erzählung beginnt mit der Darstellung der »neolithischen Umwälzung« vor etwa 10.000 Jahren, die sich auf verschiedenen Kontinenten vollzieht. Ihr folgt mit der Entstehung von Klassen und Privateigentum die städtische Revolution in Ägypten, auf Kreta oder auch am Indus, und die »welthistorische Niederlage der Frau«.
Die Zeit des Altertums ist die Griechenlands und Roms, aber auch der ersten chinesischen Reiche. Für das frühe Mittelalter streift Harman unter anderem durch das byzantinische Reich und die afrikanischen Zivilisationen, die oft sehr viel höher entwickelt waren als die kolonialistische Geschichtsschreibung uns glauben machen will.
Globalgeschichte der Klassen und Kämpfe, nicht der »großen Männer«
Es besitzt eine eigene Faszination zu erfahren, wie im westlichsten Zipfel Eurasiens schließlich aus einer rückständigen feudalen Gesellschaft heraus der Kapitalismus geboren wird, dessen Ordnung schließlich den gesamten Globus überzieht.
In Harmans Weltgeschichte treiben nicht »große Männer« wie Könige, Religionsstifter, Philosophen die Geschichte an, sondern herrschende und beherrschte Klassen und die Kämpfe, die sie ausfechten. Schon das Alte Reich in Ägypten wurde von Bauernaufständen erschüttert, ebenso wie die mesoamerikanischen Zivilisationen oder die frühen Dynastien in China.
Im feudalen Europa finden wir um das Jahr 1000 einen ersten Bericht über aufbegehrende normannische Bauern, die sich in die Hand schwören, »nicht Vogt noch Herrn zu dulden«. Schon bald entstehen infolge gesellschaftlicher Umbrüche aber auch rückwärtsgewandte Bewegungen wie die der Geißler und die Kreuzzüge.
Vom Urkommunismus zur »neuen Weltordnung«
Die zweite Hälfte des Buchs ist der modernen kapitalistischen Welt gewidmet: den bürgerlichen Revolutionen, der Expansion des Kapitalismus mit seinen Kolonisierungsfeldzügen und dem 20. Jahrhundert als Zeitalter der revolutionären Hoffnung wie der imperialistischen Barbarei der Weltkriege und des Faschismus – bis zu dem Zusammenbruch des Ostblocks und einer »neuen Weltordnung«.
All dies ist durchsetzt mit einer breiten Ideen- und Kulturgeschichte der Entstehung von Religionen, kulturellen Strömungen wie der Renaissance und sogar der Filme eines Charlie Chaplin.
Diese Übersetzung war kein leichtes Unterfangen. Ich hoffe, sie ist insoweit gelungen, als dass sie auch hier Geschichte begreifbar macht und allen als Handbuch dienen kann, die die Welt zum Besseren verändern wollen.
Das Buch: Chris Harman, Wer baute das siebentorige Theben? Wie Menschen ihre Geschichte machen
Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning, Bearbeitung David Paenson, 2016, Laika Verlag, Hamburg,
etwa 1000 Seiten (drei Bände)
Foto: The British Library
Schlagwörter: Bücher, Chris Harman, Geschichte, Kapitalismus, Klassenkampf, Revolution, urkommunismus, weltgeschichte