Die letzte Seite von Magazin No 69. Von Assmann & Krause
Mal ehrlich. So richtig geil war die Retro-Welle doch noch nie. Wobei ich zerrissene Jeans und dämliche Frisuren ja noch halbwegs tolerieren kann. Aber dass sich der gesamte Reichstag jetzt aufführt wie einst 1914. Sogar das Gebäude heißt immer noch so.
Vollkommen gleichsetzen kann man die kriegsgeilen Abgeordneten von damals mit den jetzigen natürlich nicht. Weil vor 108 Jahren gab‘s im Gegensatz zu heute keine NSDAfD im Parlament.
Aber sonst ist vieles wie in den schlechten alten Zeiten. Russland führt Krieg und schwups drehen sich alle selbst die Sicherungen aus der Birne. Einer nach dem anderen kriegt sich nicht mehr ein vor Begeisterung darüber, dass »jahrzehntealte Gewissheiten nicht mehr gelten«. Gemeint ist dieses nervige Geschwätz von wegen: »wenn Großmächte wettrüsten, kann das übel ausgehen«, »Krieg gegen Russland hat den Deutschen nicht immer Vorteile gebracht« und »wer morgens eine Atombombe abkriegt, wird einen verdammt miesen Tag haben«.
99.999.999.999,95 Euro bitte
Alles Blödsinn. Und deshalb hat Generaloberst Olaf nach einer intensiven Bedarfsanalyse bei Reichsheer, -marine und -luftwaffe festgestellt, dass genau 100 Milliarden Euro notwendig sind, um die Truppe kriegs-, ich meine …, einsatzfähig zu machen. Und diese Summe ist auch inhaltlich begründet und nicht willkürlich aus dem Zylinder gezaubert, weil sie so schön gerade ist.
Manche behaupten trotzdem, irgend so ein »kalt gewordener Krieg« oder so ähnlich gegen Russland sei noch gar nicht so lange her. Und da wäre die Welt auch schon um ein Haar vom Atomkrieg eingeäschert worden.
Und in den 80er Jahren hätte es so was Ulkiges wie eine »Friedensbewegung« mit hässlichen Peace-Zeichen und stinkenden Haaren gegeben. Und daraus sei eine Partei hervorgegangen, die heute allerdings das exakte Gegenteil erzählt von damals. Können diese unpatriotischen Klugscheißer nicht endlich mal die Fresse halten?
Was es 1914 auch nicht gab, war die LINKE, weil ja viele dachten, die SPD sei links. Manchmal dachte sie das sogar selbst. War aber nur so eine Phase und ging schnell vorbei.
Hennig & Wellsow
Heute macht die SPD der LINKEN hingegen den knallharten Vorwurf, sie sei ein »Putin-Versteher«. Weil es nämlich erste Bürgerpflicht ist, gar nix zu verstehen. Schon gar nicht die Beweggründe eines russischen Diktators. Und bitte auch nicht die, der deutschen Regierung. Seelig sind die geistig Armen, denn ihrer ist das Himmelreich. Matthäus Buch 5, Vers 3.
Doch Gott sei Dank lässt sich die Führung der modernen Linkspartei kein bisschen vom Kriegsgeheul der anderen anstecken. Außer wenn sie es doch tut.
So hat die halbierte Doppelspitze Hennig & Wellsow einen tränenrührenden Text geschrieben, in dem sie zum schon im Alten Rom reichlich ausgelutschten Stilmittel greift, einfach mal nur Fragen zu stellen und gleichzeitig ganz stark augenzwinkernd anzudeuten, was denn wohl die Antworten sein könnten.
Mal probieren? »Warum steht die Bundeswehr so schlecht da? Fordern wir weiter die Auflösung der Nato? Wie setzen wir das Völkerrecht durch, wenn sich große Mächte nicht darum scheren?« oder »Was heißt es für die LINKE, wenn es zwischen Demokratie und Autoritarismus zum heißen Krieg kommt?«
»Die Dividenden steigen und die Proletarier fallen.«
Wobei die Antwort auf letzteres doch klar ist: Atombombe auf Moskau. Dann ist Ruhe im Karton. Weil Friedensverträge, Abrüstung, Truppenabzug, das sind alles olle Kamellen, die echt null Spaß auf die kriegsbegeisterte Party bringen. Schließlich ist es gerade so sexy, deutsche Kriegshörner zu blasen und die Bajonette aufzupflanzen. Wir wollen Blut sehen, sonst wird’s boring!
Dass wir alle dabei draufgehen könnten; der Schuh drückt einem natürlich. Aber das wird ganz sicher nicht passieren. Zumindest nicht alle, weil die Reichen und Mächtigen sich vorher in ihre Schutzbunker verkriechen oder mit dem Privatjet ins Ausland fliehen und ihrem Volk beim Sterben von oben zugucken.
Und wenn zwei Tage nach Olafs 100-Milliarden-Euro-Rede die Aktie von Rüstungskonzern Rheinmetall um 79 Prozent steigt, beweist sich mal wieder, wie recht Börsenguru Rosa Luxemburg 1916 hatte: »Die Dividenden steigen und die Proletarier fallen.«
Wenigstens wissen wir dann, dass unsere Kinder nicht umsonst ins Gras gebissen haben, sondern für pervers großen Gewinn der Investoren. Selbst in der dunkelsten Stunde Europas erscheint ein Silberstreif am Horizont!
Schlagwörter: glosse, Inland, Krieg