Viele Menschen haben sich in den vergangenen Monaten für Geflüchtete engagiert. Eine von ihnen ist Kathi, die marx21 von ihren Erfahrungen an der serbisch-kroatischen Grenze berichtet
marx21.de: Kathi, du bist im letzten Herbst als freiwillige Helferin an die so genannte Balkanfluchtroute gereist – wie bist du auf die Idee gekommen?
Kathi: Seit Monaten hörte man, was in Südosteuropa geschieht – ich war in meinem Alltagstrott hier in Berlin und las einige Artikel und Berichte über die akuten Zustände in Serbien. Das klang für mich so, als wäre dringend Unterstützung nötig und ich kam mir seltsam dabei vor, in Berlin zu sitzen und meine Masterarbeit zu schreiben.
Deutschland hat sich im Sommer für gefühlte zwei Wochen als Willkommensweltmeister dargestellt, doch währenddessen wurden die Asylgesetze immer weiter verschärft – da hatte ich auch ein starkes Ohnmachtsgefühl. Ich bin flexibel und kann mir, im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, zehn Tage freinehmen – daher habe ich mich dazu entschieden, an die Fluchtroute zu fahren.
Wo warst du genau?
Zusammen mit einem Freund bin ich nach Šid an der serbisch-kroatischen Grenze gefahren. Wir haben uns im Vorfeld informiert und festgestellt, dass dort akut Helfer und Helferinnen gebraucht werden. Wir waren auch mit Menschen vernetzt, die vor Ort Küche für alle gemacht haben, waren aber in erster Linie privat als freiwillige Unterstützung da.
Wie sah es in Šid aus? Welche Strukturen gab es, wie wurden die Menschen weitergeleitet, aufgenommen und versorgt?
Es gab eine tschechische Organisation, die schon länger vor Ort war, der wir uns angeschlossen haben. Es waren auch einige NGOs da, z.B. Terre des Hommes, die einen Internet-Hotspot zu Verfügung gestellt haben, Strom um Handys aufzuladen und eine Landkarte, die zur Orientierung diente. Der UNHCR und das Rote Kreuz waren auch vor Ort.
Šid ist ein sehr kleiner Ort an der serbisch-kroatischen Grenze, wo damals der einzige zugelassene Grenzübergang lag. Das war eine kleine Straße zwischen Feldern – die Menschen wurden zwei Kilometer vor dem Grenzübergang von Bussen abgesetzt und mussten den Rest zu Fuß laufen. Angesichts dessen, dass die Menschen schon wochenlang auf der Flucht waren und viele ältere, gehbehinderte und kranke Menschen und Kinder dabei waren, war das eine krasse Zumutung. Der Grenzübergang war überhaupt nicht darauf ausgelegt, große Menschenmassen für längere Zeit zu beherbergen. Es gab einige Zelte, die aber erst sehr spät aufgestellt wurden und der ständige Regen hatte alles aufgeweicht.
Kroatien schloss die Grenze immer über Nacht, aber auch tagsüber bestanden unbestimmte Wartezeiten. So waren Menschen gezwungen, an diesem Grenzübergang zu übernachten. Es kamen täglich regelmäßig zwischen drei- und zehntausend Menschen an, die Strukturen waren komplett unzureichend. Nachts sank die Temperatur bis auf null Grad, viele Menschen mussten auf dem schlammigen Boden nächtigen. Die Hygienestandards waren natürlich auch katastrophal – es wurden nur drei Dixieklos aufgestellt. Die Situation war höchst prekär.
Was war eure Aufgabe in diesem Rahmen?
Wir haben uns einem so genannten Check-Team angeschlossen und haben 24 Stunden Tee ausgeschenkt. Das war das einzige Warme, was wir den Menschen anbieten durften. Vor allem nachts war das wirklich sehr wichtig. Wir haben auch Kleiderspenden ausgeteilt, was ebenfalls bitter notwendig war, weil viele Geflüchtete nur mit sehr leichter Kleidung und Flipflops ausgestattet waren. Viele waren auch durch den mangelnden Schutz und dem tagelangen Regen komplett durchnäßt.
Die NGOs waren immer nur tagsüber anwesend und sind um sechs wieder nach Hause gegangen, dagegen waren wir oft auch über Nacht anwesend, haben Decken und Schlafsäcke verteilt und Menschen, die stark unterkühlt waren, zu Ärzten gebracht.
Gab es Momente, in denen du überfordert warst?
Es gab eine Aufgabe, die ich persönlich sehr problematisch finde – nämlich Crowd Control: In den frühen Morgenstunden sind viele Menschen schon zum Grenzübergang gelaufen, um möglichst früh passieren zu können. Es sammelte sich oft eine große Menschenmasse, die es zu beruhigen und zu ordnen galt. So sollte verhindert werden, dass es zu unschönen Szenen kommt, die serbische Polizei einschreitet oder gar eine Massenpanik ausbricht. Wir haben sozusagen Polizeiassistenz geleistet. Das ist für mich als No-Border-Aktivistin schon etwas sehr Komisches.
Oft waren wir auch in einer Vermittlungsposition, in der wir von den Menschen angesprochen wurden, um Bittsprüche von Hilfsbedürftigen an die Polizei weiterzuleiten. Solche Situationen sind auch sehr gefährlich – Menschen sind zusammengebrochen, waren unterkühlt und ein Mensch ist sogar gestorben. Da habe ich mich oft gefragt: Was mache ich hier eigentlich?
Insgesamt wälzen die europäischen Staaten einen Großteil ihrer Aufgaben auf ehrenamtliche Helferinnen und Helfer ab. Die Last war in diesen Momenten deutlich spürbar – denn wenn es nach mir ginge, dürften einfach alle Menschen über die Grenzen gehen. Aber ich musste in diesem Rahmen agieren.
Hattest du viel Kontakt zu den Geflüchteten? Wie haben sie reagiert, angesichts der prekären Lage?
Leider gab es viele Sprachbarrieren, und auch mit denjenigen, die Englisch sprachen, hatte ich nicht so viel Kontakt, da die Menschen in der Regel damit beschäftigt waren, sich in ihrer Lage zurecht zu finden. Oft wollten Menschen wissen, wo sie genau sind, ob Fingerabdrücke in Kroatien genommen werden. Einige haben, als sie hörten, dass ich aus Deutschland komme, freudig reagiert und gesagt, dass sie auch dorthin wollen. Die meisten Leute waren aber einfach zu fertig, um großartig zu plaudern.
Einmal ist ein Mann zum Teeausschanksort gekommen und hat ironisch nach Latte Machiatto gefragt – das ist eine witzige Erinnerung.
Was ziehst du aus deiner Erfahrung für Schlussfolgerungen?
Es ist schon längst klar, dass Grenzen überhaupt nicht bedeuten, dass keine Menschen mehr kommen. Menschen überqueren Grenzen immer, haben das auch früher getan. Aber Grenzen sind ein Mechanismus, diesen Menschen weniger Rechte zuteil werden zu lassen und sie dadurch auch besser ausbeuten zu können.
Außerdem basiert die Logik, die Grenzen rechtfertigen soll, auf Nationalismus. Sie sieht manche als zugehörig und andere als nicht-zugehörig an und legitimiert dadurch Ausschließung und verminderte Rechte.
Mir ist noch sehr wichtig zu sagen, dass wir immer nur unterstützen – die eigentlichen Akteurinnen und Akteure sind die Geflüchteten selber, die den langen Weg machen und Tag für Tag Grenzen überwinden.
(Das Interview führte Hai-Hsin Lu.)
Zur Person:
Kathi studiert europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist in antirassistischen Kämpfen aktiv und bei einer Gruppe organisiert, die Corasol heißt. Das steht für „Contre le Racisme – pour la Solidarité“ („Gegen den Rassismus – für die Solidarität“). Die Gruppe besteht seit 2009 aus Leuten mit und ohne sicheren Aufenthaltsstatus sowie mit und ohne Fluchterfahrung. Sie fordern gleiche Rechte und ein menschenwürdiges Leben für alle.
Foto: Peter Tkac
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