Die Bundesregierung hat die Wiedereinführung von Grenzkontrollen beschlossen. Dass auch Teile der Linken diese Maßnahme begrüßen, ist ein falsches Signal. Von Yaak Pabst
Anders als die Parteivorsitzenden der LINKEN Katja Kipping und Bernd Riexinger, hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow die Wiedereinführung der Grenzkontrollen durch die Bundesregierung verteidigt. Das sei »eine Notmaßnahme«, die er als solche akzeptiere, sagte er der »Thüringer Allgemeinen«. Auch der saarländische Fraktionsvorsitzende Oskar Lafontaine gab gegenüber der »Saarbrücker Zeitung« an, er halte Grenzkontrollen »für unvermeidlich in der jetzigen Situation«.
Grenzkontrollen sind keine Lösung
Die Frage ist allerdings: Warum eigentlich? Die Grenzkontrollen werden niemanden davon abhalten zu flüchten, sondern das Elend der Geflüchteten verstärken. Schon jetzt protestieren wütende Geflüchtete zu Recht gegen die Schließung der ungarischen Grenze. Grenzkontrollen stärken einzig die Schleuser. Je besser Grenzen bewacht sind, desto besser verdienen die Schlepper. Kontrollen, Stacheldraht und Mauern haben noch nie verzweifelte und entschlossene Menschen daran gehindert zu fliehen. Wer den Schleusern das Handwerk legen will, muss ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen, also die Grenzen Europas öffnen.
Merkels falsche Spiel mit den Geflüchteten
Niemand sollte sich von der angeblichen »Zick-Zack-Politik« der Bundesregierung täuschen lassen. Dass sich Merkel offiziell als »Flüchtlingskanzlerin« initiiert, ist eine Reaktion auf die ungebrochene Solidarität, die innerhalb der deutschen Bevölkerung gegenüber den Geflüchteten herrscht. Die Mehrzahl der Bundesbürger (61 Prozent) empfindet die Zahl der Neuankommenden laut einer Umfrage des ZDF nicht als Bedrohung. Zwei Drittel der Bevölkerung können sich vorstellen, persönlich Asylbewerberinnen und Asylwerber zu unterstützen. Zehntattausende engagieren sich ehrenamtlich in den Flüchtlingshilfen. Doch mittlerweile wird deutlich, wovor Flüchtlingsinitiativen immer schon gewarnt haben: Die Regierung Merkel betreibt ein falsches Spiel mit den Geflüchteten. Die Bundeskanzlerin hat mit Einführung der Grenzkontrollen deswegen auch keine »180-Grad-Wende« vollzogen, sondern folgt weiterhin ihrer Linie, die Asylpolitik zu verschärfen und auf die Bedürfnisse der Wirtschaft auszurichten.
Geflüchtete erkämpften die Grenzöffnung
Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen dient nur dazu, andere EU-Mitgliedstaaten unter Druck zu setzen und die Politik der Abschottung an den EU-Außengrenzen zu stärken. Die Folgen dieser repressiven und rassistischen Politik haben wir in den vergangenen Jahren alle gesehen: Massensterben im Mittelmeer, größeres Elend in den Flüchtlingslagern und die Bildung eines »Fluchtmarktes« weil sich der Transport von Menschen über Grenzen zu einem Milliardengeschäft entwickelt hat. Schon die Entscheidung der Bundesregierung Anfang September, Geflüchtete aus Ungarn einreisen zu lassen, war keine »barmherzige« Geste der Kanzlerin. Die temporäre Grenzöffnung wurde von den Flüchtlingen selbst erkämpft. Zu Tausenden widersetzen sie sich der Polizei und erzwangen mit ihrem entschlossenen Handeln den faktischen Kollaps des auf Abschreckung und Abgrenzung ausgerichteten Dublin-Systems. Berlin will diesen Zustand nicht hinnehmen und kämpft mit allen Mittel, dass die alte Ordnung wiederhergestellt wird. In diese Richtung zielen auch die anderen »Maßnahmen«, die mit Wiedereinführung von Grenzkontrollen einhergehen sollen: die geplanten EU-Militäreinsätze gegen Schleuser, die Einrichtung von so genannten Hot-Spot-Zentren in den EU-Randstaaten und die Ausweitung der »Drittstaatenregelung«.
Das Versagen der Bundesregierung in der Flüchtlingskrise
Merkels Forderungen, die Flüchtlinge schon an den Grenzen zu registrieren, lenkt davon ab, dass an der eigentlichen Stelle nicht genug Personal vorhanden ist. Die Zahl der sogenannten Entscheider beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) belief sich im Juli 2015 auf gerade mal 500. Die Bundesregierung hat unter dem Druck angekündigt 450 weitere »Entscheider« einzustellen. Bei zu erwartenden eine Million Flüchtlingen und 240.000 noch nicht bearbeiteten Asylanträgen, müssen also 950 Personen über 1,2 Millionen Anträge befinden. Pro »Entscheider«, pro Mitarbeiter macht das 1305 Anträge. Es ist kein also Wunder, dass Asylbewerberinnen und -bewerber in Deutschland so lange warten müssen, sondern politisch gewollt. Verantwortlich sind nicht sie, sondern das Versagen der Bundesregierung für ausreichend Personal zu sorgen.
Die Grenzkontrollen sollen die Politik der Abschottung stärken
Aber der Bundesregierung geht es eben nicht um das Wohl der Geflüchteten. Sie will, dass sich diese, wie im Dublin-System vereinbart, an den EU-Außengrenzen sammeln und dort registriert werden. Das harmlose Wort »Hot-Spot-Zentren« verschleiert, dass es sich dabei um Internierungslager in den EU-Randstaaten handelt. Pro Asyl schreibt: »Zum einen dürfte es dazu zu führen, dass Flüchtlinge in EU-Randstaaten unter menschenunwürdigen Bedingungen in großen Lagern interniert werden. Denn ganz offensichtlich sollen die Hot-Spots der Flüchtlingsabwehr dienen – wie das Dublin-System dürften sie dafür sorgen, dass Flüchtlinge am Rande der EU ausharren müssen, sodass sich die EU-Randstaaten motiviert sehen, Schutzsuchende an ihren Grenzen brutal abzuwehren.« Die Wiedereinführung der Grenzkontrollen reihen sich also ein in ein ganzes Bündel von Maßnahmen, welche die alte Ordnung wiederherstellen sollen. Das sollte DIE LINKE herausarbeiten und nicht einzelne Maßnahmen der Regierung unterstützen. Die Grenzkontrollen haben das Ziel, die Politik der Abschottung zu stärken. Aus diesem Grund sollte DIE LINKE sie ablehnen.
Ist die »Willkommenskultur« gefährdet?
Lafontaines Argument, die Grenzschließung zu befürworten ist, dass die »Willkommenskultur« gefährdet sei. Seiner Meinung nach sei diese in Deutschland nur dann aufrechtzuerhalten, »wenn die Bevölkerung den Eindruck hat, es geht noch einigermaßen geregelt zu und die Politik hat das Ganze noch im Griff«. Es ist jedoch ein Irrtum, dass zu viele Flüchtlinge die »Willkommenskultur« gefährden. Natürlich versuchen Neonazis und andere rechte Kräfte zu hetzen und die Situation auszunutzen. Aber der Rassismus und die Nazis werden nicht durch die jetzige Grenzschließung oder irgendwelche anderen Einwanderungskontrollen wirksam bekämpft. Die Zunahme rechter Gewalt und rassistischer Mobilisierungen gegen Flüchtlinge existierte ja schon vor der temporären Grenzöffnung. Wenn Linke sich der Forderung nach geschlossenen Grenzen und Einwanderungskontrollen anschließen, machen sie einen großen Fehler: Denn hinter der Grenzschließungen für Flüchtlinge steht auch die Annahme, dass die Aufnahmekapazitäten in Deutschland begrenzt seien.
Die Bundesregierung tritt die »Willkommenskultur« mit Füßen
DIE LINKE sollte hingegen betonen, dass die Bundesregierung mit ihrer Politik der Abschreckung und Umverteilung von unten nach oben die »Willkommenskultur« mit Füssen tritt. Sie wälzt die Verantwortung auf das Engagement von Tausenden ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern ab. Jahrelang blieb die Bundesregierung trotz steigender Flüchtlingszahlen untätig und sorgte nicht für ausreichend Wohnraum, für genügend Schul- und Kitaplätze, für eine Gesundheitsversorgung und Zugang zu Arbeit. Jetzt wird so getan, als sei plötzlich eine Katastrophe aufgetreten. Tatsächlich müssen Flüchtlinge Katastrophen durchleben: die Katastrophen, die sie zur Flucht aus ihrer Heimat getrieben haben, die Katastrophe, hier unter freiem Himmel oder in riesigen Behelfsunterkünften hausen zu müssen, die Katastrophe, zwischen zuständigen Bürokratien hin und her geschubst zu werden. Die Probleme der Kommunen bei Aufnahme und Unterbringung von asylsuchenden Menschen lassen sich lösen, wenn endlich mehr Geld und Personal zur Verfügung gestellt wird. Doch auch hier versagt die Bundesregierung, denn die angekündigten sechs Milliarden Euro für die Flüchtlingshilfe reichen bei weitem nicht aus. Darüber hinaus weigert sich Finanzminister Schäuble überhaupt mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Die sechs Milliarden Euro sollen nur fließen, wenn an anderer Stelle gekürzt wird. Diese Politik muss DIE LINKE angreifen.
Umverteilung des Reichtums statt Kürzungsdiktate
Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Bundestag, schreibt zu Recht: »Als im Bundestag 480 Milliarden Euro binnen einer Woche für die Rettung der Banken beschlossen wurden, war von einem Sparpaket nicht die Rede. Jetzt vermittelt die Bundesregierung hingegen den Eindruck, dass die Bürgerinnen und Bürger wegen der vielen Flüchtlinge sparen müssten, schürt damit Ängste und erleichtert es den Rechtsextremisten, ihre Hassparolen wirksam zu verbreiten. Statt mit dem Finger nach unten zu zeigen, sollte die Bundesregierung endlich die Einnahmen des Bundes stärken und für eine gerechte Besteuerung sorgen. Die Armen und die Mitte der Gesellschaft sind zu entlasten. Die Bestverdienenden und die Superreichen müssen angemessen besteuert werden.« Schon jetzt könnte die Bundesregierung sofort mehr Geld zur Verfügung stellen. Allein im März 2015 wurden neue Kampfhubschrauber der Bundeswehr für 8,7 Milliarden Euro bewilligt und im ersten Halbjahr haben Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen zusammen einen Haushaltsüberschuss von 21 Milliarden Euro erwirtschaftet. Klar ist: Die derzeitige Debatte über die angeblichen Grenzen der Aufnahmekapazitäten in Deutschland, soll von der tatsächlich seit Jahren stattfinden Ausplünderung der öffentlichen Haushalte durch die Eliten ablenken. Die Zukunft der öffentlichen Daseinsvorsorge ist tatsächlich bedroht – allerdings nicht durch die Flüchtlinge, sondern durch Reiche, Konzerne und ihre Regierungen. In ihrem Zehnpunkteplan zur Flüchtlingskrise fordert DIE LINKE richtigerweise, jetzt massiv in Sozialwohnungen, Schulen, Kitas und Krankenhäuser sowie in Studien- und Arbeitsplätze zu investieren. Das ist die richtige Antwort auf das Versagen der Bundesregierung.
Die Linke und die Einwanderung
Die Diskussion darüber, wie Linke sich zur Frage der Einwanderung positionieren sollten, ist übrigens nicht neu. Schon 1907 stritten auf dem Internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart Sozialistinnen und Sozialisten über ihre Haltung zur Einwanderung. Die Debatten von damals sind auch heute noch von Bedeutung: Auf dem Kongress versammelten sich 884 Delegierte aus 25 Ländern Europas, Asiens, Amerikas, Australiens und Afrikas. Unter den Delegierten befanden sich bekannte Sozialistinnen und Sozialisten wie Clara Zetkin, Rosa Luxemburg, August Bebel, Jean Jaurès und Wladimir Iljitsch Lenin. Zur Eröffnung des Kongresses fand eine Massenkundgebung mit 50.000 Teilnehmern statt. Am Ende sprach sich der Kongress für die Abschaffung aller Beschränkungen aus, welche bestimmte Nationalitäten vom Aufenthalt in einem Lande und den sozialen, politischen und ökonomischen Rechten der Einheimischen ausschließen.
Karl Liebknecht gegen Abschiebung
In seinem Bericht auf dem Essener Parteitag der SPD 1907 fasste Karl Liebknecht die Beschlüsse zusammen: »Ich habe viel Gelegenheit, die Misere der Einwanderer in Deutschland und insbesondere ihre Abhängigkeit von der Polizei zu beobachten, und ich weiß, mit welchen Schwierigkeiten diese Leute zu kämpfen haben. Ihre Vogelfreiheit sollte gerade uns deutsche Sozialdemokraten besonders veranlassen, uns mit der Regelung des Fremdenrechtes, besonders der Beseitigung der Ausweisungsschmach schleunigst und energisch zu beschäftigen. Es ist ja bekannt, daß die gewerkschaftlich organisierten Ausländer mit Vorliebe ausgewiesen werden (…) Die Kongressresolution fordert also die völlige Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern auch in Bezug auf das Recht zum Aufenthalt im Inlande. Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung! Das ist die erste Voraussetzung dafür, dass die Ausländer aufhören, die prädestinierten Lohndrücker und Streikbrecher zu sein.«
Migration im Interesse der Wirtschaft
Diese Positionen sind auch heute noch richtig. Linke sollten sich darauf beziehen. Denn der Bundesregierung geht es in der Flüchtlingskrise vor allem darum, die Migration zu begrenzen und zu kontrollieren, um sie für die Interessen der deutschen Wirtschaft nutzbar zu machen. Erklärtes Ziel ist eine kontrollierte Vergrößerung des Pools an Arbeitskräften. Dementsprechend sind auch die Forderungen nach Aussetzung des Mindestlohns für Flüchtlinge zu verstehen, die letzte Woche von Hans-Werner Sinn, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo), vorgetragen wurde. Er schreibt: »Um die neuen Arbeitskräfte in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren, wird man den gesetzlichen Mindestlohn senken müssen«. Sein Argument: Die Asylsuchenden seien zwar »jung und arbeitswillig«, aber eben auch »schlecht qualifiziert und haben Sprachprobleme«. Aus diesem Grund, so Sinn, werde Deutschland »viel Geld aufwenden müssen, um die Flüchtlinge auszubilden und einzugliedern.« Doch der Ifo-Präsident will diesen Menschen trotz ihrer »geringen Produktivität« eine Chance geben, nicht zuletzt, damit »sie alle einen Beitrag zum Sozialprodukt erarbeiten (können) und damit einen Teil der Kosten decken, die ihr Lebensunterhalt verursacht.« Hier zeigt das Bürgertum sein Menschenbild: Kommen kann, wer nützlich ist. Nützlich für die Kapitalakkumulation, versteht sich. Und natürlich sind billige Arbeitskräfte auch gerne gesehen. Denn sie sind ein brauchbares Instrument, um Belegschaften zu spalten und zu erpressen.
Wie soll die Linke in dieser Situation reagieren?
Jakob Augstein fordert in dem »Spiegel«-Artikel »Demonstriert lieber gegen die Banken« richtigerweise: »Was in Deutschland jedoch fehlt, ist ein positiver Populismus von Links, der die demokratischen und sozialen Rechte der normalen Leute gegenüber Eliten und Oligarchen artikuliert – und der diese Aufgabe nicht den Rechten überlässt.« In der Flüchtlingsfrage bedeutet dies aber nicht, rechte Forderungen wie die nach Grenzschließung zu übernehmen. Linke sollten entschieden gegen das Bild von »guten« und »schlechten«, von »echten« und »falschen« Flüchtlingen und der angeblichen »Grenze der Aufnahmefähigkeit« in Deutschland auftreten. Richtig sind hingegen Lafontaines Forderung, dass DIE LINKE die soziale Frage in die Flüchtlingsdebatte einbringen sollte. Um Flüchtlinge vor Lohndumping zu schützen, muss der Mindestlohn verteidigt werden und auch Flüchtlingen eine soziale Mindestsicherung von 500 Euro garantiert werden. DIE LINKE tut also gut daran, in der jetzigen Situation mit einer Schärfung ihres antirassistischen und antikapitalistischen Profils zu reagieren. Darüber hinaus, kann die Partei jetzt die Initiative ergreifen, gemeinsam mit anderen den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen und außerparlamentarischen Protest zu organisieren. Populismus von Links? DIE LINKE könnte das: Grenzen auf für Menschen in Not – Geld her für Flüchtlinge und Soziales. Millionäre besteuern!
Foto: FreedomHouse
Schlagwörter: Angela Merkel, Asyl, Bundestag, DIE LINKE, Einwanderung, Flüchtlinge, Flüchtlingskrise, Migration, Mindestlohn, Willkommenskultur