Die neue griechische Regierung hat soziale Maßnahmen eingeleitet. Ob die Koalition mit den rechten „Unabhängigen Griechen“ dauerhaft linke Politik machen kann, erklärt Antonis Davanellos von der „Linken Plattform“ in Syriza.
Marx21: Wie bedeutend ist die Syriza-geführte Regierung für die Griechen?
Antonis Davanellos: Wenn eine Wahl der letzten Jahre den Namen „historisch“ verdient hat, dann diese. Der Erfolg von Syriza ist auch ein Sieg der Menschen, die in den letzten Jahren gegen die Kürzungspolitik auf die Straße gegangen sind. Diesen Wahlsieg hätte es nicht gegeben ohne die große Welle von Kämpfen in Griechenland nach Ausbruch der europäischen Wirtschaftskrise 2009.
Worin besteht der Zusammenhang?
Sehr viele Griechen sind in den letzten Jahren auf unterschiedliche Weise in Konfrontation mit den Kürzungspaketen und den erpresserischen Vorgaben der „Troika“ aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds geraten. Deshalb hatten sie schon zuvor die Regierungen von George Papandreou und Lucas Papademos gestürzt. Diese Menschen haben sich jetzt nach links bewegt und dadurch auch die besonders verhasste Regierung von Antonis Samaras abgesetzt. Das ist ein Sieg der Bewegung für mehr soziale Gerechtigkeit.
Ist Syriza Teil dieser Bewegung?
Ja. Syriza war immer ein bedeutender Teil dieses politischen Prozesses. Gerade deshalb kommt jetzt eine sehr kritische Phase auf uns zu.
Millionen Griechen erwarten jetzt weit mehr, als dass sich irgendwas verändert. Sie haben oft konkrete Forderungen und zu Recht keine Geduld. Syriza muss diese Forderungen zusammenfassen und mit einer klaren politischen Linie in Handlungen der Regierung umsetzen.
Wie bewertest du das Wahlergebnis für Syriza?
Die 36 Prozent sind noch mal deutlich besser als die Umfragen eine Woche davor. Offenbar haben viele Menschen versucht, der Partei doch noch zur absoluten Mehrheit der Abgeordneten zu verhelfen, was jedoch knapp gescheitert ist.
Wie kommt das?
Das bisherige politische Regime hätte überleben können, wenn es gelungen wäre, Syriza in eine Regierungskoalition zu zwingen, die ein linkes Programm verhindert hätte. Das haben viele Griechen erkannt und sich für ein Ende des Regimes entschieden.
Aber Syriza stellt „nur“ 149 von 300 Abgeordneten …
… was aber für das Ende des bisherigen politischen Systems ausreicht. Die konservative „Nea Dimokratia“ (ND) hat 28 Prozent erhalten und die sozialdemokratische PASOK 4,7 Prozent. Dadurch verfügt Syriza jetzt über sehr viel politische Macht.
Was bedeutet das für die bisher herrschenden Parteien?
In der „Nea Dimokratia“ werden jetzt wieder die Widersprüche zwischen der rechten bis weit rechten Führung von Samaras und den Vertretern einer Rückkehr zum konservativen so genannten „sozialen Radikalismus“ lebendig. Das war die Ideologie von Konstantinos Karamanlis, Parteigründer und Ministerpräsident bis 1980.
Es ist unklar, welche Politik ND und PASOK jetzt verfolgen werden, nachdem ihre jahrzehntelange Herrschaft über Griechenland beendet ist. In dieser Situation hat Syriza sich für eine Koalition mit den „Unabhängigen Griechen“ (ANEL) entschieden, um so schnell wie möglich mit der Regierungsarbeit zu beginnen.
In Deutschland wird ANEL oft mit der AfD oder der französischen „Front National“ verglichen …
… was beides unangemessen ist. Ich kenne keine Partei in einem anderen Land, die ANEL gleicht. Sie ist 2012 gegründet worden und ein Produkt der außergewöhnlichen politischen Situation in Griechenland.
Was macht ANEL so außergewöhnlich?
Einerseits stammt die Partei aus der Tradition der so genannten „Volksrechten“. Das bedeutet, sie lehnt Einwanderung scharf ab und ist kompromisslos bei den „nationalen Fragen“. Das heißt, sie will, dass Zypern komplett griechisch geprägt wird, dass der Nachbarstaat nicht den Namen des griechischen Bundeslandes „Mazedonien“ tragen darf und dass Griechenland keine Verbindungen zur Türkei aufbaut.
Klingt nicht nach einem guten Koalitionspartner.
Stimmt. Aber gleichzeitig hat ANEL aus ihrer „Volksrechten“-Herkunft abgeleitet, immer gegen die Kürzungspakete zu stimmen und auch sonst jede Art von Kürzungen abzulehnen. Und in der besonderen Lage Griechenlands ist diese Einstellung entscheidend, um alle anderen Fragen überhaupt angehen zu können.
Ich halte ANEL für eine Partei, die wirtschaftspolitisch zentristische bis mitte-links-Positionen einnimmt und außenpolitisch rechts steht. Ich kenne kein ähnliches Beispiel im Ausland.
Muss Syriza in Fragen der Einwanderung Kompromisse mit ANEL eingehen?
Das politische System Griechenlands unterscheidet sich von den meisten Ländern. Syriza teilt die Macht nicht zur Hälfte mit ANEL. Es bleibt eine Syriza-Regierung, in der ANEL das Verteidigungsministerium übernimmt, aber sonst nicht viel Einfluss hat.
Welche Rolle wird ANEL dann spielen?
Meiner Meinung nach wird Syriza die Richtung der Regierung bestimmen, während ANEL ihr das Bild einer gewissen „Normalität“ geben soll. Die Frage ist, ob Syriza sich von ihrer Idee einer „Regierung der Linken“ abwendet oder ob wir darauf bestehen.
Wovon hängt das ab?
Einerseits, ob Syriza an der Regierung eine Organisation mit demokratischem, innerparteilichen Leben und funktionierenden Basisgruppen bleibt. Noch wichtiger ist aber das Niveau der sozialen Kämpfe.
Wenn der Rausch des Wahlsiegs beendet ist, wird ein politischer Prozess beginnen, aus dem sich weitere, grundsätzliche Forderungen an die Regierung herausbilden werden. Dieser Prozess wird auch für die Regierung ein Anreiz sein, ihren radikalen Kurs beizubehalten.
Die Regierung hat bereits einige Maßnahmen beschlossen …
… und damit wichtige Forderungen des Klassenkampfes erfüllt. Zum Beispiel die Erhöhung des Mindestlohns auf 751 Euro pro Monat und ein 13. Monatsgehalt für Rentner von bis zu 700 Euro. Diese und weitere Reformen sind in Griechenland die Botschaft, dass der Weg der Kürzungsprogramme jetzt zu Ende ist und wir unsere sozialen Rechte stufenweise zurückerobern.
Wird diese Politik weitergehen?
Das hängt einerseits davon ab, ob die Regierung ihre finanziellen Grenzen auslotet. Noch wichtiger ist aber, ob die Arbeiterinnen und Arbeiter ausreichend Druck auf die Regierung machen, damit sie diese Rückeroberung fortführt.
Ist es auch ein Kampf gegen die anderen EU-Regierungen?
Natürlich. Ich denke, dass die „Gläubiger“ Griechenlands jetzt stärkere Meinungsverschiedenheiten darüber haben, was mit uns zu tun ist. Merkel und Co. tun zwar so, als wäre nur die griechische Regierung ausgewechselt worden. Aber in Wirklichkeit wissen sie, dass wir hier auch eine neue politische und soziale Situation haben. Das könnte Alexis Tsipras neue Verhandlungen ermöglichen, von denen er im Wahlkampf gesprochen hat.
Wie und was könnte Tsipras verhandeln?
Manche unserer Genossen glauben, diese Verhandlungen könnten friedlich verlaufen und zu einem Kompromiss zwischen uns und den „Gläubigern“ führen. Ich denke, wir sollten uns eher auf eine Konfrontation vorbereiten und mit allem rechnen. Wenn wir entschlossen sind, das Programm von Syriza zu verteidigen, könnte das dazu führen, dass wir aus der Eurozone geworfen werden.
Was macht die „Linke Plattform“ in Syriza?
Wir treten erstens für die Radikalisierung des Programms von Syriza ein. Zweitens fordern wir, beim Ziel der „Regierung der Linken“ zu bleiben und wir halten die jetzige Regierung der „Nationalen Verständigung“ für keine dauerhaft gute Lösung. Daraus folgt unser Vorschlag einer Aktionsfront gemeinsam mit der Kommunistischen Partei (KKE), die bei den Wahlen 5,5 Prozent erreicht hat, und dem Wahlbündnis der radikalen Linken „Antarsya“ (0,6 Prozent). Sowohl Syriza als auch KKE und Antarsya haben in der Vergangenheit Fehler gemacht, die diese Aktionsfront verhindert haben, aber ich halte sie in Zukunft für möglich und wichtig.
Kann Griechenland sich von der weltweiten Politik abschotten?
Wir haben hier sehr harte politische und soziale Gefechte geführt. Aber vielen Menschen ist bewusst, dass wir Teil eines größeren Kampfes sind, der in ganz Europa und weltweit geführt wird. Wir wissen, dass Griechenland mit 11 Millionen Einwohnern diesen Kampf vielleicht beginnen, aber niemals allein gewinnen kann.
Was können Linke in Deutschland tun, um euch zu helfen?
Wir hoffen, dass unser Wahlsieg ein Anlass für eine Mobilisierung und Radikalisierung linker und sozialer Kräfte auch im Ausland sein könnte. So etwas sollte zurzeit zwei Richtungen haben: erstens eine konkrete Solidarität mit der griechischen Arbeiterbewegung und der griechischen Linken.
Bei unseren Verhandlungen mit den „Gläubigern“ kann es sehr leicht passieren, dass wir auf eine Bewegung in Deutschland, Frankreich, Italien oder woanders angewiesen sind, die von ihren Regierungen fordert, dem Schuldenschnitt zuzustimmen. Wir müssen Merkel und Co. gemeinsam daran hindern, die linke Regierung in Griechenland im Keim zu ersticken.
Es gibt aber noch eine andere Richtung, die wahrscheinlich viel mehr Substanz hat. Das ist der erweiterte Kampf gegen die Kürzungspolitik in jedem Land und auf jeder politischen Ebene. Es wäre eine große Hilfe für Griechenland, diesen Kampf gerade in Wirtschaftsmächten wie Deutschland zu führen. Das würde einen Freiraum schaffen für die Arbeiterinnenbewegung hier, aber auch in Spanien, Portugal und anderen südeuropäischen Ländern.
Dieser „Krieg“ hat vielleicht in Griechenland begonnen. Aber die Entscheidungsschlacht wird wahrscheinlich in Deutschland geschlagen.
Antonis, ich danke dir für das Gespräch.
Antonis Davanellos ist Mitglied des Vorstands von Syriza und der „Linken Plattform“ innerhalb der Partei.
Das Interview führte Leandros Fischer am 27. Januar in Athen.
Foto: lorenzog.