Die Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz (DIE LINKE) war kürzlich in Griechenland. Sie sprach mit Vertreterinnen der linken Regierung, mit Gewerkschaftsaktivisten und dem Überlebenden eines SS-Massakers.
Griechenland am Scheideweg?
- Die Politik der Sozialkürzungen und der Privatisierungen, die die Troika aus IWF, EU und EZB zusammen mit den etablierten Parteien, der konservativen Nea Dimokratia (ND) und der sozialdemokratischen PASOK in den letzten Jahren durchgeführt haben, haben zu einer extremen Verarmung der Mehrheit der griechischen Bevölkerung geführt.
- Die Wahl von Alexis Tsipras und Syriza war verbunden mit einer enormen Hoffnung auf ein Ende dieser Politik. Die Hoffnung, dass die Regierung mit dem Abkommen vom 20.Februar 2015 Zeit gewinnen kann, hat sich nicht erfüllt. Es gibt Frust bei Gewerkschaftern und Beschäftigten, dass der IWF mit 7,2 Milliarden bedient wurde, die Regierung aber seit August 2014 keine Kredite ausgezahlt bekommen hat, aber von den »Institutionen« gezwungen werden soll, weiter zu kürzen und weitere Schritte der Privatisierung vorzubereiten.
- Es gibt erste Erfahrungen, dass aufgrund des enormen Druckes der »Institutionen«, Gegendruck und Protest nötig sind, um weitere Verschlechterungen zu verhindern.
- Die Frage von Reparationen und Entschädigungen bezüglich der Verbrechen Nazideutschlands im Zweiten Weltkrieg haben nicht nur eine symbolische, sondern auch eine praktische Bedeutung. Zum einen geht es darum, dass die verbliebenen Opfer endlich eine Entschädigung bekommen. Die Auseinandersetzung um die Verbrechen der Nazis sind zum zweiten wichtig, um Schlussfolgerungen für den Kampf gegen Rassismus und Faschismus heute zu ziehen – in Deutschland und in Griechenland. DIE LINKE in Deutschland sollte das Thema weiter ernst nehmen.
- In den letzten Jahren ist es gelungen, die Faschisten der »Goldenen Morgenröte« nach einer Welle der Übergriffe auf Migranten, Linke und Gewerkschafter in den Jahren2012-2013 zurückzudrängen. Entscheidend dafür, wieweit sie isoliert werden, ist die Frage, ob breiter und entschlossener Widerstand organisiert wird.
9.6.2015 Piräus, Hafenarbeitergewerkschaft »Die Medizin ist schlimmer als die Krankheit«
Anastasia Frantzeskaki, Gewerkschaftssekretärin und Syriza-Mitglied, die in der Arbeitsgruppe von Syriza für Maritime Angelegenheiten mitarbeitet und seit 28 Jahren als Angestellte im Hafen arbeitet, betont: »Es geht bei den anstehenden Privatisierungen nicht nur um die griechischen Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern auch um die in Zentraleuropa. So wollen chinesische Firmen auch in den Häfen in Hamburg und Bremen einsteigen.« Ich frage in die Runde, welche Zugeständnisse die Kolleginnen und Kollegen in einem Memorandum bereit sind zu akzeptieren. »Keine«, antworten die Kolleginnen und Kollegen und lachen über meine Frage. Giorgos ergänzt: »Leider ist die Medizin noch schlimmer als die Krankheit. Deshalb sind wir hier.«
Während die Föderation weiter tagt, treffe ich Giorgos Gogos, den Generalsekretär der Hafenarbeiter von Piräus. Er stellt zu Beginn klar: »Die Troika hat hier keine Legitimation. Sie hat die wirtschaftliche Krise vertieft und eine humanitäre Krise geschaffen. Die meisten Medien hier und in Deutschland spielen dabei eine schmutzige Rolle.«
10.6.2015 Gedenkfeier zum Jahrestag des SS-Massakers in Distomo
In einem Gebeinhaus liegen die sterblichen Überreste in gläsernen Vitrinen. An vielen Schädeln sieht man Verletzungen. Mich berührt es besonders, die kleinen Schädel zu sehen. Auf dem Monument stehend hält der Staatspräsident eine Rede. Um ihn herum eine Traube von Menschen. Viele der Dorfbewohner haben sich auf die Mauer rund um das Monument gesetzt und hören zu. Dann werden die Namen der Toten und ihr Alter verlesen. Eine Männer, bzw.- Frauenstimme sagt danach »paron«, »parousa«, was so viel heißt wie »er ist anwesend/sie ist anwesend«. Das Verlesen dauert bestimmt eine halbe Stunde.
Zwei alte Männer kommen auf mich zu. Sie sind Überlebende. Sie zeigen mir mit Tränen in den Augen ihre Verwandten auf der langen Liste. Ich kann nicht mehr tun als ihnen die Hand zu drücken.
Der Rechtsanwalt Joachim Lau aus Italien, die Aktiven des AK Distomo aus Hamburg und der Abgeordnete Giannis Stathas kämpfen weiter um Entschädigungen und Wiedergutmachung für die Opfer von Distomo. Sie beraten gemeinsam, welches der beste Weg sei.
Giannis Stathas, Syriza-Abgeordneter aus Distomo und Umgebung, betont, dass es den Überlebenden und Hinterbliebenen nicht um das Geld ginge. »Es geht um die Würde.«
Nach der Trauerfeier habe ich die Gelegenheit, mit Petros Konstantinou zu sprechen. Er ist Mitglied im Stadtrat von Athen und berichtet mir von den Problemen in der Stadt infolge der Krise.
Fotos: Lucia Schnell
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