Wie geht es nach dem Referendum weiter mit Griechenland? Über die gescheiterten Strategien von Kanzlerin Angela Merkel, die Weltmarktambitionen des europäischen Kapitals und die Kraft der griechischen Linken. Von marx21-Autor Christian Schröppel
Nach fünf Jahren Kürzungspolitik und monatelangen ergebnislosen Verhandlungen mit den Gläubigerinstitutionen entschied die griechische Regierung, das Angebot der Gläubiger dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. Die linke Partei Syriza, die im Parlament fast die Hälfte der Abgeordneten stellt, und der kleinere Koalitionspartner »Unabhängige Griechen«, eine Abspaltung von der konservativen Partei Nea Dimokratia (»Neue Demokratie«), warben dafür, mit Nein zu stimmen. Nea Dimokratia, die sozialdemokratische Pasok und die sozialliberale Partei To Potami (»Der Fluss«) warben für ein Ja beim Referendum. Vor allem To Potami versuchte, sich als junge und unverbrauchte Kraft darzustellen und wurde tatkräftig insbesondere von den privaten Medien unterstützt. Die Verjüngungskur für die abgewählten Oppositionskräfte aber scheiterte kläglich: Über 75 Prozent der Griechinnen und Griechen unter 35 Jahren haben am Sonntag mit Nein gestimmt, insgesamt lag der Anteil der Nein-Stimmen bei 61 Prozent.
Nach dem Referendum: Ein Europa der Solidarität
Die Haltung der Euro-Staaten, die Wahl der Syriza-Regierung im Januar als Betriebsunfall der griechischen Geschichte zu behandeln, ist mit dem Ergebnis des Referendums der Boden entzogen. Die Botschaft der Griechinnen und Griechen ist eindeutig: Nein zum Europa der Kürzungen und des Neoliberalismus! Zugleich hält eine Mehrheit der Griechen an Europa fest. Sie wollen allerdings ein Europa der Demokratie und der Solidarität, kein Europa der Kürzungspolitik, der Entrechtung von Beschäftigten und der Altersarmut.
Konservative ebenso wie sozialdemokratische Parteien werfen der linken Partei Syriza immer wieder vor, die Menschen mit falschen und unrealistischen Versprechen geködert zu haben. Aber die Griechinnen und Griechen können sich noch gut erinnern, wer ihnen bei der Einführung des Euro blühende Landschaften versprochen hat, und wer für ein Europa der freien Konkurrenz und des ungehinderten internationalen Kapitalverkehrs geworben hat.
Blühende Landschaften?
Der Wegfall der Wechselkursrisiken und auch die deflationäre Politik Deutschlands führten zu einem Finanz- und Investitionsboom in den Staaten Südeuropas, vor allem auch in Griechenland. Dieser brüchige Aufschwung fand mit der weltweiten Finanz- und Bankenkrise 2008 ein jähes Ende. Die Lohnabhängigen in Griechenland sagen ganz zu Recht, dass sie diese Politik nicht zu verantworten haben. Sie haben die politischen Vertreter der Banken und Konzerne abgewählt und fordern, dass die Folgen der Finanzkrise nicht weiter auf die Beschäftigten, die Arbeitslosen und Rentner in Griechenland abgewälzt werden. Aber die Gläubiger fordern genau dies: Löhne und soziale Leistungen sollen weiter sinken, um Griechenland als Teil einer auf dem Weltmarkt agierenden europäischen Wettbewerbsgemeinschaft einsetzen zu können.
Genau dies meint Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der Wendung von »Europa der Stabilität«: Aus Sicht der Herrschenden kommt es nicht in Frage, dass Krisen durch eine Anhebung der Binnennachfrage in Europa insgesamt überwunden werden, sobald dies irgendein wenn auch noch so geringes Risiko für den Wert des Euro mit sich bringen könnte. Deshalb werden insbesondere kleine Länder gezwungen, auch in tiefen Krisen die Kürzungspolitik aufrechtzuhalten, oft sogar noch zu verstärken. Doch diese pro-zyklische Wirtschaftspolitik führt in allen Ländern zu einer Verschärfung der Krise.
Eine neue Linke in Südeuropa
Diese Politik hat bereits in den Jahren nach 2008 die politische Situation in den Ländern Süd- und Osteuropas deutlich verändert. Nicht nur in Griechenland, sondern auch in Spanien und Italien haben die etablierten Parteien deutlich an Zustimmung verloren. In Spanien ist hat die Partei Podemos (»Wir können«) bei den letzten Regionalwahlen große Erfolge erzielt. Podemos hat – ebenso wie z.B. die Partei DIE LINKE oder die französische Parti de Gauche (»Partei der Linken«), die Kampagne für das Nein in Griechenland unterstützt und die Entscheidung der griechischen Bevölkerung gegen das neue Kürzungsprogramm der Gläubiger ausdrücklich begrüßt.
Das Konzept der Wettbewerbsgemeinschaft und seine verheerenden Folgen vor allem in den südeuropäischen Ländern haben den verbindenden Gedanken der europäischen Integration – Völkerverständigung, kultureller Austausch, gemeinsamer Fortschritt und Wohlstand – bereits schweren Schaden zugefügt. Aber der Konflikt geht tiefer: Zu Beginn der 90er Jahre gelang eine Verständigung über den Euro gerade deshalb, weil Frankreich in der gemeinsamen Währung einen Weg sah, das durch die Wiedervereinigung gewachsene Deutschland in Europa einzubinden. Die Teilnahme von Spanien, Portugal, Italien und auch Griechenland war für Frankreich daher sehr viel wichtiger als für Deutschland.
Strategien gegen Syriza
Auf die beiden ersten Strategien gegenüber Griechenland konnten sich Frankreich und Deutschland noch ohne größere Schwierigkeiten verständigen. Diese Strategien waren zum einen, die linke Partei Syriza in die Falle zu locken, ein weiteres Kürzungsprogramm zu unterschreiben und ihr damit die Zähne zu ziehen, zum anderen der Versuch, die Syriza-Regierung durch eine unnachgiebige Haltung in den Verhandlungen auszuhungern und schließlich zum Rücktritt zu zwingen. Beide Strategien sind mit dem Referendum gescheitert. Nun droht Deutschland offen mit dem Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro – für Merkel und Schäuble, aber offenbar auch für den SPD-Vorsitzenden Gabriel ist es einfacher, wenn deutlich wird, dass ein Land durch politische Prozesse aus der gemeinsamen Währung ausscheidet als die Möglichkeit zu eröffnen, innerhalb der Eurozone durch politischen Druck die Regeln des Austeritäts-Regimes zu verändern. Tatsächlich ist jeder Erfolg der griechischen Syriza eine Ermutigung unter anderem für die Linke in Spanien, wo noch in diesem Herbst die Parlamentswahlen stattfinden werden.
Aus der Sicht Frankreichs gerät so nicht nur Griechenland auf den Schleudersitz, sondern auch Spanien, Portugal und Italien. Sobald ein Ausscheiden aus dem Euro denkbar wird, rechnen Finanzinvestoren die mögliche Abwertung in ihre Risikoanalyse mit ein – Zinsen in den Ländern, die für labil gehalten werden, steigen dadurch, ohne dass dem innerhalb des Euroraums durch Abwertung entgegen gewirkt werden könnte. Bereits der Verdacht, ein Land könnte auf die »schiefe Bahn« geraten, kann ausreichen, um eine Spekulation gegen die Anleihen des betreffenden Staates in Gang zu setzen und aus der reinen Denkmöglichkeit eine selbsterfüllende Prophezeiung zu machen. In Frankreich, aber auch für Italien, ist die Erinnerung an die Krise des Europäischen Währungssystems 1992/93 noch frisch.
Nach dem Referendum: Gegen die Weltmarktambitionen des europäischen Kapitals
Die Linke sollte in dieser Situation an der Seite derjenigen stehen, denen für die Weltmarktambitionen des Kapitals in Deutschland, aber auch in den anderen europäischen Staaten, einschließlich Griechenlands, ein auskömmliches Leben in sozialer Sicherheit verwehrt werden soll. Sie sollte den Kampf der Griechinnen und Griechen gegen das Diktat des Kapitals, das ihnen die Kosten für die Finanzkrise aufbürden will und ihnen keine Perspektive für eine wirtschaftliche Entwicklung bietet unterstützen. Viele Menschen fühlen sich durch die Kälte des von Merkel, Schäuble und Gabriel propagierten Wettbewerbseuropas verunsichert und vor den Kopf gestoßen. Die Linke tritt dafür ein, gemeinsam mit den Griechinnen und Griechen, die heute zu Recht die Zurückweisung der Forderungen der EU-Kommission, des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank feiern, die Idee der Demokratie und der internationalen Solidarität in Europa wieder zu beleben. Sie sollte gegen die Bestrebungen, Europa zu einem imperialistischen Bollwerk im Konkurrenzkampf gegen andere Regionen der Welt zu machen kämpfen.
Einen Tag nach dem Referendum war die erste greifbare Reaktion der europäischen Institutionen zu verzeichnen. Die Europäische Zentralbank verschärfte die Bedingungen für die Vergabe von Notkrediten an die griechischen Banken. Sie trifft diese Entscheidung in einer Zeit, in der unklar ist, wie lange die griechischen Banken die bereits rationierte Auszahlung von höchstens 60 Euro pro Person und Tag noch aufrecht erhalten können und in der es ernsthafte Vermutung gibt, dass eine der vier großen Banken Griechenlands kurz vor dem Zusammenbruch steht. Es sieht zum aktuellen Zeitpunkt so aus, als hätten sich die tonangebenden Kreise des europäischen Kapitals bereits auf ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion orientiert.
Zusammenbruch des Finanzsektors – wo liegt die Alternative?
In der aktuellen wirtschaftlichen Notsituation versucht die griechische Regierung, die bürgerliche und sozialdemokratische Opposition in die Verantwortung einzubinden. Sie macht dieses Angebot im Augenblick aus einer Position der Stärke heraus und hofft, dass die Einbindung der Opposition auch ihre Verhandlungsposition gegenüber den Gläubigerinstitutionen verbessert. Das hat sich bisher allerdings noch nicht bemerkbar gemacht. Tatsächlich ist der am Montag veröffentlichte Text so vage, dass den Oppositionsparteien viel Spielraum für Nebenabsprachen und Wühlarbeit gegen die linke Regierung bleibt. Die Syriza-Regierung sollte sich daher nicht auf Absprachen und Vereinbarungen mit den zu Recht abgewählten Vertretern der Parteien der Memoranden, wie sie in Griechenland mit Bezug auf die Kürzungsprogramme genannt werden, stützen.
Die Kraft der griechischen Linken und der von ihr gestellten Regierung liegt – gerade auch bei einer Zuspitzung der wirtschaftlichen Situation, der möglichen Zwangsverwaltung der Banken und weiterer wichtiger Wirtschaftszweige – in der Entschlossenheit derjenigen, die in den letzten Tagen für eine Zurückweisung der Forderung der Gläubiger gekämpft haben, und der Beschäftigten, die das wirtschaftliche Leben und die Produktion im Fall des Zusammenbruchs des Finanzsektors durch demokratische Planung aufrechterhalten können.
Nach dem Referendum: Die Linke in Deutschland
Wie können wir in Deutschland das griechische Nein und eine Perspektive für wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit in Griechenland unterstützen? Praktische Solidarität mit selbstorganisierten Projekten in Griechenland, Öffentlichkeitsarbeit gegen eine oft sehr einseitige Berichterstattung in den Medien, Werben für einen Schuldenschnitt, für ein Ende der Erpressungspolitik und der Kürzungsprogramme sind wichtige Schritte der Solidarität und Unterstützung für das griechische Nein und für einen Politikwechsel in Europa.
Foto: Adolfo Lujan
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