Murat Kurnaz, Helmut Kuhn: »Fünf Jahre meines Lebens. Ein Bericht aus Guantanamo«, Rowohlt 2007, 288 Seiten, 16,90 Euro
Von Michael Klein
Vieles ist in den vergangenen Jahren in der Presse über den Fall Murat Kurnaz geschrieben worden. Dessen langjährige Inhaftierung im Lager Guantanamo beschäftigt immer noch einen Untersuchungsausschuss im Bundestag. Kurnaz‘ eigener Bericht von seiner Entführung und Gefangenschaft zeigt vor allem Eines: die Berichterstattung hat nur die Spitze des Eisbergs aufgedeckt.
Es gab niemals konkrete Hinweise für eine Teilnahme von Kurnaz an terroristischen Aktivitäten. Ein amerikanischer Vernehmer in Guantanamo erzählte ihm, wie er zum Terrorverdächtigen wurde: die US-Armee hatte pakistanischen Polizisten 3.000 Dollar für die Übergabe von „verdächtigen« Ausländern geboten und „3000 Dollar sind in Pakistan viel Geld.« Hunderte unschuldiger Menschen wurden wie Kurnaz von pakistanischen und afghanischen Kopfgeldjägern als „feindliche Kombattanten« gefangen genommen und an die US-Armee verkauft. Einigen von ihnen gibt Kurnaz in diesem Buch ein Gesicht.
Er berichtet von Folter (von der US-Armee verharmlost bezeichnet als „verschärfte Verhörmethoden«) und der Isolation der Gefangenen in Drahtkäfigen. Die unmenschlichen Haftbedingungen in Guantanamo schildert Kurnaz anhand von Geschichten wie der seines Zellennachbarn: „Seine Finger schien er kaum noch bewegen zu können. Ich sah, wie er sich aufrichtete, er kroch zu dem Eimer in seinem Käfig, musste wohl auf die Toilette. Aber er schaffte es nicht mit seinen geschwollenen Händen! Er hatte keine Beine mehr, sie wurden ihm im Militärlazarett amputiert. Da kam ein Wärter und schlug ihm mit dem Knüppel auf die Hände, weil er bei seinem Versuch sich aufzurichten, den Zaundraht berührte und das war gegen das Gesetz. Das durften wir nicht!«
Die Lagerleitung bestraft jeden Kommunikationsversuch der Gefangenen untereinander mit körperlichen Misshandlungen und tagelanger Isolation in lichtlosen Containern. Die Gefangenen stammen aus mehreren Dutzend Ländern und haben erst im Lager mühsam gelernt, die Sprache ihrer Zellennachbarn zu verstehen. Trotz dieser schwierigen Bedingungen organisierten sie gemeinsam Widerstand gegen ihre Haftbedingungen. Im Jahr 2005 führten sie einen erfolgreichen Hungerstreik für die Erleichterung ihrer Haftbedingungen durch. Kurnaz erzählt die beeindruckende Geschichte dieses Kampfes und zeigt, wie die Brutalität der US-Armee selbst in Guantanamo die Solidarität und Rebellion der weitgehend ohnmächtigen Gefangenen fördert.
Kurnaz entkam der Hölle von Guantanamo. Viele seiner Leidensgenossen sitzen bis heute dort. Über sie schreibt er: „Ihre wirklichen Namen will ich nicht nennen. Sie sitzen immer noch in Guantanamo und ich will sie nicht gefährden.«
Der Bundestagsausschuss untersucht gegenwärtig die Verwicklung deutscher KSK-Soldaten in das Lagersystem der US-Armee in Afghanistan. Die Bundesregierung verweigert bis heute eine klare Auskunft.