Helmut Schmidt: »Außer Dienst. Eine Bilanz«, Siedler-Verlag, München 2008, 352 Seiten, 22,95 Euro
Von Hans Krause
Wenn Oskar Lafontaine in Interviews gefragt wird, warum er die SPD verlassen habe, antwortet er meistens, die Partei hätte sich früher für Sozialstaat und Frieden eingesetzt, betreibe jetzt aber Sozialabbau und Krieg. Letzteres ist relativ offensichtlich. Dass die SPD früher linker gewesen wäre, ist jedoch ein weit verbreiteter Irrtum. Ihr ehemaliger Kanzler Helmut Schmidt widerlegt ihn in seinem neuen Buch.
Schmidt behauptet, in „Außer Dienst« aufgeschrieben zu haben, „was ich glaube, im Laufe der Jahrzehnte politisch gelernt zu haben«. Doch dazugelernt hat der Kanzler der Jahre 1974 bis 1982 offenbar wenig.
In fast jedem Kapitel schreibt Schmidt ein paar Zeilen über die angeblich unsinnigen Forderungen der Linken in- und außerhalb der SPD, die er bekämpfen musste. So habe es in den Gewerkschaften „linksextreme Agitatoren wie Detlef Hensche« gegeben. Er sei ein „Vorläufer jener Gewerkschaftsfunktionäre« gewesen, „die sich später zur Gründung linker Parteien berufen fühlten«. Hensche war ab 1975 Vorstand der Industriegewerkschaft Druck und Papier und ist heute Mitglied der LINKEN.
Allgemein schreibt Schmidt über Gewerkschaften, als wollte er sie schnellstmöglich auflösen. An einer Stelle lobt er die Bildung von Einheitsgewerkschaften in Westdeutschland, denn „damit wurde einer Politisierung entgegengewirkt.« Einen Absatz später heißt es: „Anders als in England, wo machtgierige Gewerkschafter in den siebziger Jahren die Wirtschaft zu ruinieren drohten.«
Im Abschnitt „Freunde und verlässliche Partner« erwähnt Schmidt hingegen ausschließlich Spitzenpolitiker aus SPD, CDU und FDP sowie mehrere Regierungschefs anderer Staaten, darunter einige Massenmörder. So leitete Henry Kissinger als Nationaler Sicherheitsberater des US-Präsidenten 1973 die CIA-Unterstützung für den Militärputsch in Chile gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Schmidt schreibt nichts darüber. Stattdessen: „Ich scheue, was mein Verhältnis zu ihm (Kissinger) betrifft, nicht das Wort Faszination.«
Nur eine Seite später sagt der Autor: „Deng Xiaoping hat eine unglaubliche staatsmännische Leistung vollbracht.« Scheinbar ist es für Schmidt nicht wichtig, dass Deng als Führer des chinesischen Staates 1989 befahl, die Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking niederzuschlagen. Dabei wurden laut Rotem Kreuz etwa 2600 Menschen ermordet.
Leider sind auch Schmidts Forderungen für die Zukunft nicht menschlicher als sein Blick in die Vergangenheit. Noch ehrlicher als der „neue« SPD-Vorsitzende Franz Müntefering fordert der frühere Kanzler ein schnelleres Fortführen des Sozialabbaus. Dabei sei beispielsweise laut Schmidt „nichts einzuwenden gegen Studiengebühren.«
Der derzeitigen Regierung wirft er vor, sie sei „zaghaft und zögerlich.« Man solle sich ein Beispiel nehmen an den „großen programmatischen Reden«, die die Richtung vorgäben, wie „im Jahre 2003 Gerhard Schröders ‚Agenda 2010′. «
In einem Kapital schimpft der Autor seitenlang über die gierigen Bankmanager. Nur um sich anschließend mit dem Wunsch nach „sozial gesinnten Kapitalisten« lächerlich zu machen.
Wer sich von „Außer Dienst« nützliche Vorschläge für eine bessere Politik erhofft, wird enttäuscht. Vielmehr drischt Schmidt dieselben Phrasen, die man jeden Tag im Fernsehen hören kann und beweist, dass die „gute, alte SPD« nur alt war, aber niemals gut.