Der Klimawandel schlägt zu. Die Hochwasserkatastrophe forderte allein in Deutschland fast zweihundert Tote und Schäden in Milliardenhöhe. Wie schon bei der Corona-Epidemie hat es an Warnungen nicht gefehlt. Doch sie wurden ignoriert und keine Vorkehrungen getroffen. Das liegt am Kapitalismus, meint Ökonom Thomas Walter
Die katastrophalen Überschwemmungen sind Folge des Kapitalismus. Um konkurrenzfähig zu bleiben, wälzen Unternehmen möglichst viele Kosten auf die Allgemeinheit ab. Das gilt auch für den Konkurrenzkampf zwischen den kapitalistischen Staaten. Ein einzelnes Unternehmen oder ein einzelner Staat, der die Kosten zur Vermeidung von Umweltschäden auf sich nähme, hätte höhere Kosten, wäre weniger konkurrenzfähig, würde aus dem Markt gedrängt. Die Kosten von Umweltschäden müssen aber höchstens zum Teil das verursachende Unternehmen oder der verursachende Staat tragen. Die Kosten verteilen sich auf die Allgemeinheit – in erster Linie auf die Ärmeren der Gesellschaft. Für Umweltpolitik müsste der kapitalistische Staat den Unternehmen kostspielige Umweltauflagen aufzwingen. Das widerspricht aber deren Interesse an Profit. Der Staat hängt jedoch für seine Einnahmen vom wirtschaftlichen Erfolg, also vom Profit seiner nationalen Unternehmen ab. Kein Wunder also, dass Umweltpolitik national und international nicht voran kommt.
Kurzsichtige Konkurrenzinteressen
Konkurrenzkampf bedeutet Kurzsichtigkeit. Ein Unternehmen, das auch langfristige Kosten berücksichtigt, unterliegt bald im Konkurrenzkampf einem Unternehmen, das nur seine laufenden kurzfristigen Kosten berücksichtigt. Dieses kann beim Preis den Konkurrenten unterbieten und aus dem Markt drängen. Fallen schließlich höhere längerfristige Kosten an, kann das Unternehmen diese in höhere Preise überwälzen, denn die Konkurrenz ist ja weg bis auf andere Unternehmen, die ähnlich kurzsichtig gehandelt haben und jetzt eben vor ähnlichen Problemen stehen.
Dass es also im Kapitalismus zu Umweltschäden aller Art (Corona-Pandemie, Klimaerwärmung) kommt, ist kein Wunder, ebenso wenig wie jetzt die Überschwemmungen. Aber vielleicht verwundert es doch, dass, wenn schon die Katastrophen als solche im Kapitalismus nicht verhindert werden können, dagegen auch keine Vorkehrungen getroffen worden sind. Mindestens ein Teil der Katastrophenkosten müsste doch auch das Kapital treffen. Wäre es nicht auch im Interesse des Kapitals gewesen, solche Kosten der Hochwasserkatastrophe vorsorglich zu vermindern?
Doch nicht nur die Vermeidung von Katastrophen, auch Vorsorgemaßnahmen gegen die Folgen einer Katastrophe verursachen Kosten und schwächen die Konkurrenzfähigkeit von Staat und Unternehmen. Auch hier gilt wieder die Kurzfristperspektive. Ein Staat, der die längerfristigen Kosten von Vorsorge vermeidet, ist kurzfristig konkurrenzfähiger als einer, der diese Vorsorgekosten berücksichtigt. Dies führt zwar zu hohen Kosten wie jetzt, wenn die Kataststrophen eintreten, aber bis dahin sind auf dem Weltmarkt etwaige Staaten, welche einen teuren Katastrophenschutz auf sich nahmen, in der Konkurrenz an den Rand gedrängt. Außerdem ist ungewiss, welche Katastrophen wo, in welchem Ausmaß genau eintreten. Es ist ungewiss, ob die Kosten überhaupt unmittelbar getragen werden müssen oder nicht doch von der Konkurrenz in anderen Ländern, im jetzigen Fall etwa in Belgien oder den Niederlanden.
Opfer der Marktideologie
Schließlich muss wegen der kapitalistischen Ideologie, dass das »freie Individuum« auf Märkten die Entscheidungen zu treffen hat, der Staat sein Eingreifen in den Markt immer sehr genau begründen. Wenige Tage nach der Hochwasserkatastrophe kritisierte eine Kommentatorin in der FAZ die Kanzlerin Angela Merkel und ihren Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wegen ihres angeblichen Marsches in Richtung »Staatswirtschaft«. Solche Kritik bleibt aus, wenn die internationale Konkurrenz militärische Formen annimmt. Während des Kalten Krieges leistete sich die BRD einen teuren Katastrophenschutz. Dieser war vorsorglich gegen befürchtete Sabotageangriffe der Warschauer-Pakt-Staaten aufgebaut worden. Er wurde nach dem Kalten Krieg abgebaut, weil sich jetzt die Konkurrenzverhältnisse geändert hatten. Auch angesichts des Aufstiegs des chinesischen Kapitalismus wird die Bundesregierung stärker staatskapitalistisch aktiv. Sie hindert beispielsweise deutsche Kapitalist:innen daran, ihre Firmen an chinesische Unternehmen zu verkaufen.
Im Allgemeinen überlegen es sich Beamt:innen dreimal, bevor sie staatlicherseits Geld ausgeben, um gegen eine Umweltkatastrophe vorzusorgen. Sie gerieten heftig in Kritik, wenn die Katastrophe dann doch ausbleibt, oder sie müssten sehr genau begründen, dass tatsächlich eine größere Katastrophe droht und sie sich diese nicht einfach nur einbilden. Für Beamt:innen ist es besser, abzuwarten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, bevor sie es wagen können, aktiv zu werden.
Zwar gibt es jetzt nach der Katastrophe auch Kritik, aber auch die Möglichkeit, die Verantwortlichkeit zu zerreden. Bei den Überschwemmungen streiten sich europäische Institutionen mit solchen der deutschen Bundes-, Länder- und Kommunalebene. Während die europäische Flutwarnbehörde Efas (European Flood Awareness System) schon am 10. Juli 2021 für die Region vor der Überschwemmungskatastrophe mit Höhepunkt am 14. Juli gewarnt haben will, wird dies vom Deutschen Wetterdienst DWD bestritten. Das Ganze erinnert an das Wirrwarr verschiedenster Aufsichtsbehörden, als die DAX-Firma Wirecard pleite ging. Alle waren verantwortlich, also niemand.
Im Gegensatz zum Kapitalismus, wo Profit und Konkurrenz regiert, könnte ein demokratisch geplanter Sozialismus solidarisch, statt in Konkurrenz, die Produktion umweltschonend entsprechend der Bedürfnisse der Menschen organisieren. Die LINKE kann helfen Kämpfe gegen die Kapitalinteressen zu organisieren.
Bildquelle: Wikipedia, Christophe Licoppe, European Commission
Schlagwörter: Inland, Klimakatastrophe, Umweltzerstörung