Zwei Jahre nach der russischen Invasion in die Ukraine tritt die Sinnlosigkeit des Kriegs immer deutlicher zum Vorschein. Zeit endlich umzusteuern, meint Andrei Yagoubov
Der Krieg macht viel mit den Menschen. Er sorgt für Unsicherheit, Angst, Sorgen, aber vor allem, spätestens wenn er lange andauert, macht er müde, und zwar sowohl die, die direkt davon betroffen sind, als auch die, die davon »nur« aus den Nachrichten mitkriegen. Diese »Kriegsmüdigkeit« wird immer wieder erwähnt, zum Beispiel vom ukrainischen Präsidenten Selenskyj, der die Sorge hat, dass der Westen aus innenpolitischen Gründen die Waffenlieferungen einstellen könnte. Eine von YouGov durchgeführte Studie zeigt, dass nur noch 10 Prozent der EU-Bürger:innen an einen bedingungslosen Sieg der Ukraine glauben. Sogar der polnische Präsident antwortete auf die Frage, ob die Ukraine die Krim denn zurückerobern könne: »Es fällt mir schwer, diese Frage zu beantworten. Ich weiß nicht, ob [die Ukraine] die Krim zurückerobern kann, aber ich glaube, sie wird Donezk und Luhansk zurückerobern«.
Aber auch in der Ukraine selbst werden Stimmen lauter, die ihre Angehörigen nicht mehr an der Front sehen wollen. Das BBC Eye berichtete im November über 20.000 wehrpflichtige ukrainische Männer, die ins Ausland geflohen sind. Und sogar in Russland gibt es vermehrt prominente Stimmen, welche die »Spezialoperation« mit kritischen Augen sehen, oder sie sogar offiziell »Krieg« nennen und dafür die Gefahr in Kauf nehmen, wie Alexei Nawalny, im Gefängnis zu Tode zu kommen. Auch auf der Straße gibt es in Russland zumindest vereinzelten Widerstand von tapferen Menschen, die für ein Ende des Krieges einstehen, trotz massiver Repression. Denn der Horror des Krieges ist unerträglich. Unzählige zerstörte Wohnungen, abgeschnittene Strom- und Wasserversorgung, voneinander getrennte Familien und dutzende Tote, jeden Tag. Nichts deutet darauf hin, dass die versprochene Freiheit in greifbarer Nähe ist, und jeder Getötete lässt die Frage lauter werden, wofür dieser Mensch denn gestorben ist.
Der Krieg startet nun in das dritte Jahr und obwohl sich viele Fragen immer noch nicht endgültig beantworten lassen, gibt es nun einen klareren Blick als zu Beginn des Krieges.
Wie ein »Blitzkrieg« zum Grabenkrieg wurde
Mehrere Militärexpert:innen aus den Vereinigten Staaten vergleichen den Krieg in der Ukraine mit dem Ersten Weltkrieg, aber »mit Drohnen«. Dieser Vergleich ist insofern zutreffend, als dass sich der Frontverlauf kaum verändert hat, nachdem er sich relativ bald nach Beginn des Krieges eingependelt hatte. Die Anzahl der Todesopfer unter den Kämpfenden wird derweil auf beiden Seiten auf jeweils etwa 70.000 geschätzt. Hinzu kommen über 10.000 zivile Opfer auf der ukrainischen Seite. Es gibt fast nur Grabenkämpfe und jeder Geländegewinn wird zwar von der jeweiligen Seite gefeiert, führt aber am Ende nicht zu einer nennenswerten Machtverschiebung.
Am Anfang des Krieges schien alles anders geplant gewesen zu sein, und zwar von beiden Seiten. Von Seite der russischen Regierung wurde behauptet, dass Kiew in wenigen Tagen aufgeben würde, während der Westen vermutete, den russischen Truppen würde in kürzester Zeit die Munition ausgehen und die Versorgung zusammenbrechen. Auf beiden Seiten gab es deshalb zu Beginn des Krieges noch eine hohe Motivation – auch da ist der Vergleich mit dem Ersten Weltkrieg treffend.
Der Krieg in der Ukraine ist wie der Erste Weltkrieg, aber »mit Drohnen«.
Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg gibt es jedoch keine Symmetrie der Kräfteverhältnisse der verbündeten Staaten, denn die Nato, deren Mitglieder die Ukraine formell und informell unterstützen, haben ein Militärapparat, welcher den von Russland um ein vielfaches übersteigt. Daher stellt sich die Frage, weshalb die asymmetrischen Machtverhältnisse einen symmetrischen Krieg hervorgerufen haben. Und dafür müssen die Absichten der Kriegsbeteiligten analysiert werden.
Die Komplexität der Kriegsursachen
Als Putin vor 2 Jahren den Befehl gab, die Ukraine anzugreifen, war die Welt (außer einige Geheimdienste) überrascht und erschüttert. Auch Linke, die seit langem vor der Gefahr eines Krieges im Osten gewarnt hatten, waren von der Situation überfordert und wussten nicht, wie sie damit umgehen und was sie fordern sollten. Das liegt unter anderem daran, dass den meisten nicht klar war, was Putin mit diesem Krieg erreichen will.
Das Hauptnarrativ war von Anfang an, dass Putin diesen Krieg aufgrund rein persönlicher imperialistischer Ambitionen begonnen hat, die sich nicht auf rationale Überlegungen stützen, sondern den Größenwahn eines Diktators widerspiegeln.
Andere versuchten, den Krieg als Reaktion auf die immer weiter fortschreitende Nato-Expansion zu deuten, denn mit dem vorsichtigen Ausblick eines Beitritts der Ukraine nach dem Machtwechsel 2014, würde diese aus Russlands Sicht ein Sicherheitsproblem darstellen. Eine andere Erklärung versuchte, den Krieg aus innenpolitischer Perspektive zu verstehen, da der im Zuge des Krieges gestärkte nationale Zusammenhalt Putin gegen den Widerstand infolge seiner korrupten und erfolglosen Wirtschaftspolitik geschützt und ihm Vorwände zum weiteren Demokratieabbau und der Machtkonsolidierung gegeben hat.
In allen diesen Erklärungsversuchen steckt ein Kern Wahrheit und sie sind Facetten eines komplexen Gesamten, doch keiner von ihnen reicht aus, um die Situation wirklich zu verstehen, und die übermäßige Fokussierung auf eine der Facetten verzerrt das Bild der Lage. So legt insbesondere der Fokus auf die irrationalen persönlichen Ambitionen Putins die falsche Schlussfolgerung nahe, dass dieser Krieg nicht rational, zum Beispiel über Verhandlungen, gestoppt werden könne.
Deutschlands Militarisierung
Diese Ambitionen sind auch der Grund, welchen die Nato-Mächte, inklusive der Bundesregierung Deutschlands, vorschieben, um Waffenlieferungen für die Ukraine zu rechtfertigen und Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Sie beziehen sich dabei oft auf die Gefahr, dass Putins Ambitionen weitreichender sind, als bloß die Ukraine einzunehmen, und dass er, ohne nennenswerten Widerstand zu erfahren, als nächstes Nato-Mitglieder angreifen würde. Aber sogar unabhängig davon, dass diese Analyse zu kurz greift: Diese vorgeschobene Logik widerspricht der aktuellen Politik der Bundesregierung.
Marina Weisband, eine ukrainisch-deutsche Politikerin der Grünen, hat ziemlich früh im Krieg gesagt, dass es scheint, als würde Deutschland genau genug Waffen liefern, um die Ukraine nicht verlieren zu lassen, aber niemals genug, um der Ukraine eine Chance zu geben, den Krieg militärisch zu gewinnen. Auch wenn wir in der Schlussfolgerung anderer Meinung sind als Weisband – sie wollte, dass die Ukraine noch wesentlich mehr Waffen aus Deutschland und anderen westlichen Mächte bekommt –, ist diese Beobachtung richtig und deutet darauf hin, dass das primäre Ziel der Bundesregierung nicht die Unabhängigkeit und Unversehrtheit der ukrainischen Bevölkerung ist.
Bereits unmittelbar nach Beginn des Kriegs rief Kanzler Olaf Scholz eine »Zeitenwende« aus, die eine grundlegende Abkehr von den in Deutschland aus dem Zweiten Weltkrieg gezogenen Lehren bedeutet. Seitdem wurde ein enormes Sondervermögen für das deutsche Militär genehmigt und Zusagen für das 2-Prozent-Ziel der Nato gemacht. Auch dass seit Kriegsbeginn zwei weitere Länder in das Nato-Bündnis eingetreten sind, deutet darauf hin, dass die Strategie des »Westens«, den Krieg zur eigenen militärischen Stärkung zu nutzen, Früchte trägt.
Solidarität mit den »Kriegsmüden«
Die Militarisierung der Gesellschaft, welche die Bundesregierung vorantreibt, wird den Krieg in der Ukraine nicht beenden. Sie wird die Welt weniger sicher machen. Es gibt aber eine Alternative, und diese setzt auch bei der oben genannten Kriegsmüdigkeit aller Beteiligten an: Statt gerade genug Waffen zu liefern, damit die Ukraine die Grabenkämpfe durchhalten kann, muss sich Deutschland aktiv für einen Waffenstillstand einsetzen. Statt über unwirksame Sanktionen wirtschaftliche Hebel aus der Hand zu geben, muss es sein politisches Gewicht einsetzen, um andere Länder in die Friedensverhandlungen einzubeziehen. Und wenn die Bundesregierung diese Lösungen nicht umsetzen will, muss es auf den Straßen der Bundesrepublik laut werden, in Solidarität mit den »Kriegsmüden« aus der Ukraine, aus Russland und dem Rest der Welt.
Foto: Dmitry Zvolskiy
Schlagwörter: Krieg, Militarisierung, Russland, Ukraine