Wer zur Zeit einkauft, erlebt eine böse Überraschung. Heizöl, Gemüse, Tankstellen und Autowerkstätten, PCs, Fotoapparate, Blumen, alles teurer. Kommt jetzt Inflation? Und was heißt das für uns? Ein Kommentar von Thomas Walter
Im Sommer 2021 meldet das Statistische Bundesamt (auch »destatis« genannt) rasant hohe Inflationsraten. Der Verbraucherpreisindex lag im August 2021 um 3,9 Prozent über seinem Wert vom August 2020. Im September lag die Inflationsrate über 4 Prozent. Das ist die größte jährliche Steigerung seit Dezember 1993, als die Preise nach der Wiedervereinigung immer noch stark stiegen. Im Januar 2021 hatte diese Inflationsrate noch bei 2,2 Prozent gelegen (siehe auch Abbildung).
Bei Nahrungsmitteln betrug diese Steigerung sogar 4,6 Prozent. Eier zum Beispiel sind um 12 Prozent, Kartoffeln um 13 Prozent teurer geworden. Energie hat sich um 13 Prozent verteuert, Verkehr um 11 Prozent. Rekordhalter sind Mieten für Garagen und Stellplätze: im Juli lagen sie um 49 Prozent, im August um 45 Prozent höher als vor einem Jahr.
Für Wohnungsmieten gibt das Statistische Bundesamt (destatis) nur eine Steigerung von 1,3 Prozent an. Hier bleibt ausgeblendet, dass jemand, der neu irgendwo eine Wohnung sucht, mit hohen Mieten anfangen muss. Mietsteigerungen wegen »Qualitätsverbesserungen« werden von destatis nicht erfasst. Gerade durch solche Mieterhöhungen werden viele Mieter bedrängt, wenn etwa Kohleöfen durch Zentralheizung ersetzt werden. Das können sich viele dann nicht mehr leisten. Für destatis ist dies aber keine Mieterhöhung, weil mit mehr Miete ja auch mehr »Qualität« gekauft wird.
Inflation: Wirtschaftsfachleute versuchen zu beruhigen
Wirtschaftswissenschaftler:innen versuchen zu beruhigen. Sie halten die jetzige Inflation für eine vorübergehende Erscheinung. Nach dem Corona-Schock ziehe die Wirtschaft wieder an und das ginge eben mit einem vorübergehenden Preisanstieg einher. Tatsächlich war die letzte Periode 2007 und 2008, als die Inflation mehr als 3 Prozent betrug, von kurzer Dauer. Sie endete krachend mit der Finanzkrise. 2009 war die Inflation negativ.
Ökonomen und Ökonominnen vertrösten auch mit dem letzten Jahr 2020. Tatsächlich stiegen die Verbraucherpreise 2020 nur um 0,5 Prozent. Viele Tarifverträge waren von den Gewerkschaften abgeschlossen worden in der Erwartung, die Inflation bleibe so niedrig. Das rächt sich jetzt. Die überraschenden Preissteigerungen jetzt müssen die »Arbeitnehmer« tragen, wenn die Gewerkschaften nicht nachfordern.
Alarmierende Meldungen zur Inflation sind also durchaus angesagt. Allerdings wird die Inflation auch verwendet, um andere Interessen zu bedienen. Wenn die Bild-Zeitung meldet »Inflation frisst unsere Löhne auf!« oder wenn der ehemalige EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) jetzt im Handelsblatt mahnt, Europa müsse sich auf einen anhaltenden Preisanstieg vorbereiten, dann geht es hier nicht um die Interessen der Arbeiter:innen.
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Konflikt um Zentralbankpolitik
Tatsächlich geht es hier um einen Streit darüber, wie die staatlichen Zentralbanken, das ist in der EU die Europäische Zentralbank EZB, auf die seit Jahrzehnten anhaltende Krise des Kapitalismus reagieren sollen. Weltweit, in Japan, in den USA, in der EU, versorgen die Zentralbanken Banken und Konzerne mit »soviel Geld auch immer nötig ist«, um zu überleben.
Die EZB hilft den Konzernen aber nicht nur mit billigen Krediten. Sie ermahnt auch ständig die Regierungen und die Gewerkschaften, sich mit Sozialausgaben und Lohnforderungen zurückzuhalten. Dadurch werden die Konzerne auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger. Je konkurrenzfähiger die Konzerne, desto weniger muss die EZB helfen, desto mehr »freie Marktwirtschaft«, statt staatlicher Eingriffe durch die EZB.
Konservative nutzen Inflation für härtere Gangart gegen Gewerkschaften
Konservative Kreise fordern nun, dass nicht die EZB den Konzernen helfen soll, sondern die Arbeiter:innen sollen gezwungen werden, so große Zugeständnisse zu machen, dass für die Konzerne keine EZB-Hilfen mehr nötig sind. Diesen Kreisen kommt die jetzige Inflation gelegen. Sie fordern von der EZB ihre Kreditprogramme zu kürzen. Andernfalls würde die Inflation außer Kontrolle geraten. Wenn es dann zu mehr Krise, zu mehr Arbeitslosigkeit kommt, umso besser. Die Konservativen hoffen, so die Gewerkschaften zu größeren Zugeständnissen zwingen zu können zugunsten der Profite der Konzerne.
Die Gewerkschaften argumentieren mit der gleichen Logik, aber umgekehrt. Je mehr Geld von der EZB kommt, desto stabiler sind die Konzerne und desto weniger müssen die Gewerkschaften mit niedrigeren Lohnforderungen zur internationale Wettbewerbsfähigkeit der Konzerne beitragen. Deshalb spielen Wirtschaftswissenschaftler:innen der Gewerkschaftsen derzeit die Inflationsgefahr eher herunter, um der EZB keine Argumente zu liefern für eine knappere Versorgung der Konzerne mit Geld.
Gemeinsam kämpfen statt Konkurrenzlogik
Die Gewerkschaften dürfen dieser Konkurrenzlogik nicht folgen und schon gar nicht auf die EZB hoffen. Diese hat in der Vergangenheit immer deutlich gemacht, dass es ihr um die Interessen der Konzerne geht. Die EZB hat niedrigere Sozialausgaben und niedrigere Löhne nicht nur gefordert, sie hat auch mit ihren Machtmitteln darauf hingearbeitet.
Internationale »Wettbewerbsfähigkeit« und die Interessen der Lohnabhängigen vertragen sich nicht. Die Aufgabe der Gewerkschaften ist es, die Konkurrenz zwischen den Arbeiter:innen zu überwinden, indem sie international gemeinsame Kämpfe organisieren. Nur so haben wir eine Chance uns in der Krise gegen die Banken und Konzerne zu behaupten. Jetzt kurzfristig sind die Gewerkschaften gefragt, auf die Preissteigerungen zu reagieren, indem sie für höhere Löhne kämpfen, damit die Last der Krise nicht bei den Arbeiter:innen hängen bleibt.
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