Auf der einen Seite zieht die Inflation den Arbeiterinnen und Arbeitern das Geld aus der Tasche. Auf der anderen Seite droht, dass die Europäische Zentralbank die Inflation kontrollieren will, indem sie das Geld verknappt und die Zinsen anhebt. Das führt zu wirtschaftlicher Rezession mit Arbeitslosigkeit. Was sollen die Gewerkschaften tun? Ein Kommentar von Thomas Walter
Seit längerem wird der Kapitalismus von »säkularer [lang anhaltender] Stagnation« geplagt. Niedrige Profitraten, niedrige Löhne, aber auch, bis Corona kam, wenig Inflation. Die Zentralbanken in den größeren Industriestaaten versorgten die Wirtschaft mit so viel Geld, dass die Konzerne überleben konnten. Damit überlebten bislang auch die an diesen Konzernen hängenden Arbeitsplätze. In wirtschaftlich schwächeren Ländern sieht es freilich schlimmer aus.
Die Coronakrise könnte dieses Szenario auch in den großen kapitalistischen Staaten beenden. Lieferketten und Produktion wurden weltweit unterbrochen. Auf der einen Seite stabilisieren staatliche Maßnahmen die Nachfrage, auf der anderen Seite steht ein wegen Corona vermindertes Angebot. In Deutschland lagen im Dezember 2021 die Preise um 5 Prozent über ihrem Niveau vom Vorjahr. Im Dezember vor einem Jahr war die Inflation noch leicht negativ gewesen. Allein Heizöl war im Dezember 38 Prozent teurer. Im Dezember 2020 war es noch um 13 Prozent billiger gewesen als ein Jahr davor.
Noch hoffen viele, dass die Inflation nicht lange anhält. Schließlich ist die Wirtschaft eher geschwächt und Kapazitäten liegen auch brach. Aber wenn die Produktionsengpässe anhalten, könnte die Inflation auch länger dauern. Im Januar 2022 jedenfalls lag die Inflation wieder bei 5 Prozent. Dazu kommen die Kosten der Klimaerwärmung. Auch treiben die West-Ost-Spannungen die Energiepreise. Jetzt rächt es sich, dass viele Tarifverträge längerfristig abgeschlossen worden sind mit den niedrigen Inflationsraten im Kopf, wie sie noch vor Corona zu beobachten waren.
Gegen Inflation, aber wie?
Die üblichen Methoden, eine Inflation abzubremsen, lassen schlimmes erwarten. Die Zentralbank versucht die Inflation zu bremsen, indem sie die Banken mit weniger Krediten versorgt. Kredite werden knapper, die Kreditzinsen steigen. Damit werden viele Investitionen unrentabel. Auch Arbeitsplätze werfen nicht mehr den Profit ab, der notwendig ist, um die höheren Zinskosten auszugleichen. Also steigt die Arbeitslosigkeit. Das ist sogar von der bürgerlichen Politik erwünscht. Durch hohe Arbeitslosigkeit sollen die Lohnforderungen der Gewerkschaften gebremst werden. Das dämpft die Lohnkosten. Wenn wegen Arbeitslosigkeit und niedriger Löhne die Arbeiter:innen weniger kaufen, sinkt die Nachfrage und das bremst die Inflation. Die Inflation wird also auf dem Rücken der Arbeiter:innen ausgebremst.
Der »Volcker-Schock«
So geschehen 1980 in den USA unter dem Chef der US-Zentralbank Paul Volcker. Ab 1980 setzte er den Zins, zu dem sich US-Banken Geld leihen können, auf rund 20 Prozent. Tatsächlich ging durch diesen sogenannten »Volcker-Schock« die Inflation, die fast 10 Prozent betragen hatte, zurück. Einige Jahre später war sie dann sogar vorübergehend negativ. Doch der Preis für die Arbeiter:innen war hoch. Die Arbeitslosigkeit stieg von 5 Prozent auf 11 Prozent. Die Gewerkschaften wurden durch die hohe Arbeitslosigkeit geschwächt. Die Stundenlöhne fielen von 9 Prozent Wachstum auf 2 Prozent zurück. Der Neoliberalismus war geboren.
Um solche Rosskuren zu vermeiden, fordern linke Ökonomen staatliche Preiskontrollen. Gelegentlich hat es Preisstopps, immer zusammen mit Lohnstopps, gegeben. 1971 hat US-Präsident Richard Nixon einen Lohn- und Preisstopp für 90 Tage erklärt. Doch danach stiegen die Preise wieder. In Deutschland bestanden nach dem Krieg zunächst noch Kontrollen für Löhne und Preise. 1948 gab es noch keine Bundesrepublik, aber der höchste deutsche Beamte für Wirtschaftsfragen im besetzten Deutschland Ludwig Erhard hob im Juni in Westdeutschland die Preiskontrollen auf. Die Preise schossen darauf hin in die Höhe. Die Arbeiter:innen erzwangen ein halbes Jahr später im November 1948 mit einem 24-stündigen Generalstreik, dass auch die Obergrenzen für Löhne abgeschafft wurden.
Wer kontrolliert die Wirtschaft?
Im Kapitalismus haben die Gewerkschaften zwar Einfluss auf die Löhne, aber keinen auf die Preise. Und selbst wenn die Preise kontrolliert werden, dann entscheiden im Kapitalismus immer noch die Unternehmen, ob sie Waren produzieren und verkaufen. Die Unternehmen kontrollieren Produktion und Beschäftigung. Nur wenn die Profite stimmen, werden sie Leute einstellen und Waren produzieren.
In jedem Fall aber haben jetzt die Gewerkschaften die Aufgabe, für einen Inflationsausgleich zu kämpfen. Sonst bleiben die Kosten der Krise bei den Arbeiter:innen hängen. Es geht nicht um eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale – Löhne treiben die Preise -, sondern höhere Preise erfordern eine Antwort der Gewerkschaften.
Bildquelle: Ralf Gründer, Wikipedia
Schlagwörter: EZB, Gewerkschaft, Gewerkschaften, Inflation