Die Proteste im Iran gehen weiter und erhöhen den Druck auf das Regime. Von Nick Clark
Die Proteste im Iran haben neuen Aufwind bekommen. Die Metallarbeiter:innen von Isfahan streikten Mitte November und forderten höhere Löhne. Sie trotzen damit der mörderischen staatlichen Repression – und brachten eine Ausweitung der Ziele der Bewegung zum Ausdruck.
Proteste gehen weiter
In mindestens 62 Städten, Gemeinden und Dörfern gingen Menschen auf die Straße, um den Jahrestag einer Massenprotestbewegung von 2019 zu begehen. Sie zeigten damit auch, dass sich diese neue Bewegung – die sich mittlerweile in der neunten Woche befindet – weigert, von der Straße vertrieben zu werden.
Dutzende von Videos aus Stadtteilen der Hauptstadt Teheran zeigen große Menschenmengen, die Tag und Nacht in der Öffentlichkeit skandieren und die Straßen mit brennenden Barrikaden blockieren. Die Demonstrierenden marschierten auch in mehrere Teheraner U-Bahn-Stationen ein und füllten zu Hunderten das Innere der Station Valiasr auf einer der Haupteinkaufsstraßen der Stadt.
Iran: Straßenschlachten mit der Polizei
Berichten zufolge lieferten sich die Protestierenden in der nördlichen Stadt Behschahr, der kurdischen Stadt Kamyaran und der westlichen Stadt Bukan lange Straßenschlachten mit Staatskräften.
Der Tag wurde auch als »Generalstreik« benannt. Das bedeutet meist, dass Kleinunternehmer:innen und Ladenbesitzer:innen für die Dauer schließen. Allerdings legten die Metallarbeiter:innen in der Stadt Isfahan ebenso drei Tage lang die Arbeit vollständig nieder.
Universitäten: Zentrum der Bewegung bilden
Auch an Dutzenden von Universitäten, die ein Zentrum der Bewegung bilden, gab es Proteste und Sitzstreiks, wegen denen mehrere Campusse geschlossen werden und Vorlesungen ausfallen mussten. Die Nachrichtenseite Akhbar-Rooz berichtete, dass Regimekräfte in einen Campus der Kurdistan-Universität in der Stadt Sanandadsch eindrangen und das Feuer eröffneten. Die Studierenden hätten sie jedoch zum Rückzug gezwungen, hieß es.
Staatskräfte griffen die Proteste in dieser Woche mit scharfer Munition, Tränengas und Massenverhaftungen an, wobei Dutzende von Menschen getötet wurden. Berichten zufolge wurden seit Beginn der Bewegung rund 15.000 Menschen verhaftet, wobei die Regierung einigen von ihnen mit der Todesstrafe drohte.
Muster für die Bewegung im Iran
Die dreitägigen Aktionen scheinen ein Muster für die Bewegung im Iran aufzuzeigen. Es gibt Phasen, in denen die Proteste in kleinerem Rahmen stattfinden und von Kerngruppen von Aktivist:innen in Stadtvierteln und Städten getragen werden. Diese werden aber durch große punktuelle Aktionstage zu bedeutsamen terminlichen Anlässen unterbrochen, die eine Vielzahl an Menschen anziehen. Sie zeigen, dass die Bewegung breite Unterstützung erfährt. Was als Proteste gegen Gesetze begann, die Frauen zum Tragen des Hijabs, oder Kopftuchs, zwangen, wurde rasch zu einer Infragestellung des gesamten Regimes.
Impulsgeber für mehr
Das Gesetz ist für das Regime von großer Bedeutung, um seine konservative Herrschaft zu rechtfertigen und durchzusetzen. Daher waren die Proteste ein wichtiger Impulsgeber für alle, insbesondere für junge Menschen, die mehr politische und soziale Freiheiten fordern. Auch die diesjährigen Proteste verlaufen ähnlich wie die Bewegung im Jahr 2019. Sie beinhalten auch wirtschaftliche Forderungen im Zusammenhang mit Armut, niedrigen Löhnen und Preiserhöhungen. Die Proteste im Jahr 2019 begannen wegen steigender Preise, entwickelten sich aber auch schnell zu Forderungen nach dem Sturz der Regierung.
Geschichte der Proteste im Iran
Die Bewegungen waren Teil einer Reihe von Protesten der letzten Jahre gegen die Armut im Iran, darunter auch ein Protest Anfang dieses Jahres gegen die Kürzungen der Regierung bei den Subventionen für Grundnahrungsmittel. Auch Lehrkräfte, Tankwagenfahrer:innen und einige Arbeiter:innen in der Ölraffinerie haben in erheblichem Umfang gestreikt.
Streiks waren bisher kein wesentlicher Faktor der aktuellen Bewegung. Aber es gab einige wichtige Fälle, in denen Arbeiter:innen in Abstimmung mit den zentralen Aktionstagen der Bewegung aktiv wurden. Parallel zu den Protesten haben auch Teile der Ölarbeiter:innen und Tankwagenfahrer:innen gestreikt, auch wenn sich die Aktionen noch nicht auf den Großteil der Belegschaft ausgeweitet haben.
Streiks im Iran
In den letzten Wochen wurde auch von Streiks der Beschäftigten in der Petrochemie und in Zuckerrohrfabriken berichtet. Die Regierung und die Bosse haben mit Drohungen und der Verhaftung einiger Gewerkschaftsfunktionäre reagiert, aber auch mit einigen Zugeständnissen. Berichten zufolge zahlten die Bosse verspätete Löhne gerade so einen Tag vor Beginn des Streiks der Zuckerrohrarbeiter:innen aus.
Das Regime weiß, dass die Bewegung – die ohnehin schon außerordentlich widerstandsfähig ist – noch mächtiger werden könnte, wenn die Forderungen der Arbeiter:innen ganzheitlich mit denen der Menschen auf der Straße vereint werden.
Bild: Ettehad Azad / Instagram
Zum Text: Dieser Artikel erschien zuerst auf der britischen Website Socialist Worker. Übersetzt aus dem Englischen von Ramsis Kilani.
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