In den letzten Monaten wurde der Iran von einer wachsenden Streikwelle erfasst. Der iranische Sozialist Peyman Jafari sprach mit uns über eine Serie kämpferischer Streiks, die den Staat erschüttern, und wie die Aktionen der Arbeiterinnen und Arbeiter eine Vision für die Zukunft bieten.
marx21: Was ist los im Iran?
Peyman Jafari: Eine wachsende Streikwelle hat in den vergangenen Monaten das Land erfasst. Lehrerinnen und Lehrer streiken für höhere Löhne. Arbeiter in kleineren Städten haben für die Auszahlung ihrer Lohnrückstände gestreikt – wie gegenwärtig 900 Arbeiter des Hepco Bauunternehmens, die sogar Bahnstrecken besetzten. Die jüngste Aktion ist die der LKW-Fahrer. Und die ist wahrlich massiv. Sie begann in einer Provinz am 22. Mai und breitete sich zu einem landesweiten Streik in ganz Iran aus. Es ist ein mächtiger Streik, der auch die Energieversorgung trifft, sodass es in mehreren Städten zu Engpässen kommt.
Es hat auch viele Solidaritätsaktionen seitens anderer Arbeiter gegeben. LKW-Fahrer haben wichtige Verbindungsstraßen blockiert, und es wird davon berichtet, dass Taxi- und Kleinbusfahrer sich ihnen zugesellt haben. Die Mehrheit der LKW-Fahrer besitzt ihren eigenen LKW, sie arbeiten aber in der Mehrzahl für die Regierung. Ihre Forderungen umfassen Lohn, Gebühren und Steuern, denn die Preise sind gestiegen, ihre Löhne aber nicht. Die Tatsache, dass sie ihre eigenen LKWs besitzen, hat paradoxerweise ihren Streik effektiver gemacht, denn er wird für sie dadurch leichter zu kontrollieren. Wenn es sich nur um ein oder einige wenige Unternehmen handelte, könnte der Staat viel leichter intervenieren. Eben weil es sich aber um selbständige Eigentümer handelt, ist es schwieriger, die Polizei gegen sie einzusetzen – wobei das mittlerweile auch geschieht.
Wie hat der Staat reagiert?
Der Staat hat den LKW-Fahrern gegenüber einige Zugeständnisse gemacht. Er hat die Preise für Kraftstoffe und für die zu entrichtenden Gebühren um rund 20 Prozent gesenkt. Das ist ein Teilsieg für die LKW-Fahrer. Zugleich hat aber der Staat versucht, die Streiks zu zerschlagen, indem er Streikbrechern Schutz bietet und auch regierungseigene LKWs einsetzt, um Treibstoffe zu transportieren. Und in der vergangenen Woche hat er noch mehr Polizei eingesetzt, um die LKW-Streiks zu brechen. Streikende von Hepco und streikende Lehrer wurden auch verhaftet, angeklagt und eingekerkert. Die Streikenden sind aber standhaft geblieben und das ist es was zählt.
Vor welchem Hintergrund finden die jüngsten Aktionen statt?
Es hängt mit dem Regierungsprogramm der Privatisierungen und Wirtschaftsreformen zusammen. Seit 10 oder 15 Jahren hat es eine leise Welle der Privatisierungen und »Teilprivatisierungen« gegeben, wobei Industrien von Staatsbeamten oder anderen staatlichen Institutionen aufgekauft werden. Die Regierung hat die Verfassung geändert, um Privatisierungen zu erleichtern. Unter der Vorgängerregierung von Mahmoud Ahmadinedschad machten Verfassungsänderungen privaten Investoren den Weg für Investitionen im Staatssektor frei. Das Hauptproblem dabei ist der sinkende Schutz für die Arbeitnehmer. Die Arbeitsgesetzgebung wurde so verändert, dass sie nicht mehr für kleinere Betriebe gilt. Dabei ist die gesamte Wirtschaft von Kleinstbetrieben und -fabriken mit zehn oder so Arbeitern dominiert.
Die Folge ist eine weitgehende »Flexibilisierung« des Arbeitsmarkts, sodass mittlerweile ein enormer Anteil der Arbeiterschaft nur noch Zeitverträge hat. Die gegenwärtige Regierung von Hassan Rouhani zeigt sich offener für soziale Reformen und räumt etwas mehr Freiheiten ein. Aber sie verfolgt eine harte neoliberale Politik von Privatisierungen, Preissteigerungen und immer mehr Zeitverträgen. Sogar das Gesundheits- und das Bildungswesen sind von Privatisierungen erfasst.
Die Streiks bei Hepco sind der jüngste Versuch, diesen Prozess aufzuhalten. Hepco wurde im Jahr 2007 privatisiert. Seitdem wurden tausende Arbeiter entlassen und die Arbeitsbedingungen haben sich verschlechtert. Die Streikenden fordern die Wiederverstaatlichung von Hepco, wofür sie Unterstützungen von Arbeitern im Privatsektor bekommen haben.
Wie wirken sich die westlichen Wirtschaftssanktionen gegen den Iran aus?
Das Leben ist schwieriger geworden. Die Preise sind infolge der Sanktionen gestiegen, und das trifft die Menschen aus der Arbeiterklasse. Die Situation wird sich noch verschärfen, wenn die von Trump wiedereingeführten Sanktionen greifen. Sie werden aber womöglich wegen der gegenwärtigen internationalen Lage nicht die gleichen Auswirkungen haben wie vor zwei Jahren. Der Streitpunkt Iran zeigt, dass die Großmachtpolitik immer noch allgegenwärtig ist.
Der Streit zwischen Europa und den USA hatte sich zuvor schon verschärft. Wir sollten ihn nicht größer machen, als er ist, aber der Riss über die Frage des Umgangs mit dem Iran vertieft sich sichtbar. Es wird für Trump schwieriger, einheitliche Sanktionen durchzusetzen, weil manche Länder Asiens sich weigern, sie zu implementieren. Indien hat verkündet, es wolle weiterhin iranisches Öl kaufen. Die Sanktionen werden sicherlich das Land treffen, aber nicht im gleichen Ausmaß wie vor wenigen Jahren. Für iranische Arbeiter ist es dennoch wichtig, dass sie sich gegen die Sanktionen positionieren (Lese hier einen Artikel zur Frage: »Die iranische Tragödie: Von der Arbeitermacht zur Mullahdiktatur«).
Zugleich sollten sie aber auch die Korruption im Lande anprangern, die vielen Privatisierungen, und die Tatsache, dass die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung kaum Steuern zahlen. Das sind die zentralen Fragen, die aufgeworfen gehören, um ganz konkret den Antiimperialismus mit Antikapitalismus in Einklang zu bringen.
Gibt es einen roten Faden zwischen den Protesten heute und denen im vergangenen Dezember und Januar?
Ja, wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Notlage. Die Menschen haben es satt, immer wieder um Arbeitsverträge und Löhne kämpfen zu müssen. Die Proteste des Dezembers verflüchtigten sich allerdings sehr schnell. Beteiligt hatten sich vor allem Arbeitslose, die es schwerer haben, zusammenzuhalten. Was wir jetzt erleben, sind Aktionen am Arbeitsplatz, die einen längeren Atem entfalten und die Grundlage für die Schaffung neuer Organisationen bilden können. Vor wenigen Wochen gab es Proteste in der Stadt Kazeroun, weil der Staat den Bezirk neu aufteilen wollte. Das ist ein Beispiel dafür, wie relativ belanglose Fragen die Wut der Menschen entzünden können und sie auf die Straße in Konfrontationen mit der Polizei bringen. Als die Polizei gewalttätig wurde, war die Antwort der Bevölkerung, das Polizeirevier niederzubrennen. Darauf schoss die Polizei auf die Demonstranten und töteten einige. Die Lage in diesen Kleinstädten ist explosiv.
Dann gab es Anfang Mai die alljährlichen Festlichkeiten, die das Staatsoberhaupt Ayatollah Khamenei veranstaltet. Ein unabhängiger Student hielt eine Rede, in der er die Repression und die neoliberale Politik offen anprangerte – aber auch die westliche Intervention und Sanktionen. Das ist sehr wichtig, denn man darf den Kampf gegen Neoliberalismus und die staatlichen »Reformen« nicht getrennt vom Kampf gegen den Imperialismus führen. Seit Trumps Machtantritt bereiten sich manche pro-imperialistische Kräfte darauf vor, unter dessen Ägide das Regime zu stürzen. Der Student wurde für seine Positionierung daher von letzteren attackiert, nicht nur von den Unterstützern Khameneis.
Welche Zukunft siehst du für die Kämpfe im Iran?
Die iranischen Gewerkschaften sind sehr schwach. Und die Repressionen sind sehr hart. Daher sollten wir nicht überoptimistisch sein. Aber diese Streiks zeigen, dass Arbeiter und Arbeiterinnen die führende Rolle im Iran spielen und den Staat am empfindlichsten treffen können. Sie stellen auch das in den westlichen Medien transportierte Klischee über den Iran in Frage. Frauen wehren sich gegen den Kopftuchzwang. Auch eine sehr begrüßenswerte Entwicklung. Sogar die Frauen, die das Kopftuch tragen wollen, sagen, Frauen müssen das Recht haben, sich selbst zu entscheiden. Als Linke müssen wir den Kampf der Frauen unterstützen. Wir dürfen die Frage nicht der proimperialistischen Rechten überlassen.
Das Problem ist, dass der Westen nur deshalb auf dieses Thema fokussiert, weil es sich so nahtlos in die gängigen islamophoben Schilderungen des Irans einfügt. Manche Islamophoben in den Medien haben das Thema in Beschlag genommen. Die Aktionen der Arbeiterinnen und Arbeiter hingegen werden weitgehend ignoriert, weil sie zeigen, wie die Iraner ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und für ein besseres Leben kämpfen können. Diese Kämpfe zeigen, dass wir Grund für Hoffnung auf Veränderung von unten haben – ohne auf den Westen zu schielen.
Zum Artikel: Das Interview erschien am 04 06. 2018 in der englischen Zeitung »Socialist Worker«. Wir danken »Socialist Worker« für die Genehmigung zur Veröffentlichung und David Paenson für die Übersetzung.
Schlagwörter: Arbeiterbewegung, Gewerkschaften, Iran, Privatisierung, Streik