Der 25. Mai war für die Frauen Irlands und für alle fortschrittlichen und sozialistischen Kräfte ein Tag großer Freude. Am 25. Mai stimmte Irland in einem Referendum für das Recht auf Abtreibung mit 66,4 Prozent zu 36,6 Prozent. Bei dem Referendum ging es darum, den 8. Verfassungszusatz aufzuheben. Von Mary Smith
Mit diesem Zusatz, der 1983 auf Initiative der katholischen Rechten eingeführt wurde, wurde das Leben des Fötus dem Leben der schwangeren Frau gleichgestellt. Abtreibung wurde auf diese Weise unter allen Umständen illegal, außer bei unmittelbarer Bedrohung des Lebens der Frau. Der schließliche politische Erdrutsch war vorläufiger krönender Abschluss der tiefgreifenden Veränderungen, die über viele Jahrzehnte hinweg stattgefunden haben; der unermüdlichen Kampagnen vieler AktivistInnen wie der sozialistischen Abgeordneten Brid Smith von dem Bündnis People Before Profit sowie einer stürmischen Kampagne, die sich in den letzten Monaten in eine soziale Massenbewegung verwandelt hat.
Irlands konservativ-katholisches Regime
Das konservative katholische Regime, das Irland fast das ganze 20. Jahrhundert beherrschte, wurde aus der konservativen nationalistischen Konterrevolution nach dem revolutionären Unabhängigkeitskrieg gegen die britische Herrschaft 1919/20 geboren. Sie brachte lange Jahre der Scham, der Dunkelheit und extremen Frauenfeindlichkeit mit sich, mit Verboten nicht nur für Abtreibung, sondern auch für Empfängnisverhütung und Scheidung. Dieses Regime schuf bösartige Einrichtungen wie die Mutter-Kind-Heime, in denen viele uneheliche geborene Säuglinge an Vernachlässigung starben. In den Wäschereien der Magdalenenheime wurden »gefallene Frauen« jahrelang als Sklavenarbeiterinnen ausgebeutet, in den gewerbliche Schulen wurden Kinder der Armen gnadenlos von Priestern und Nonnen gleichermaßen geschlagen und misshandelt. Dieses Regime befindet sich seit etwa dreißig Jahren in Auflösung. Es war ein langer, langsamer Prozess: Die Verstädterung untergrub die alten ländlichen Herrschaftsstrukturen. Der wachsende Anteil von Frauen in der Arbeiterschaft und die Verbreitung von Bildung hat Generationen junger Frauen hervorgebracht, die sich weigern, auf die alte Weise behandelt zu werden. Dazu kamen die wiederholte Aufdeckung sexuellen Missbrauchs in großem Ausmaß in der katholischen Kirche und ihre Vertuschung durch die Kirchenoberen.
Fall X und #IStandWithHer
Auf diesem Weg gab es Wendepunkte, die oft tragisch, aber auch inspirierend waren: Im Jahr 1983 starb zum Beispiel die 15-jährige Ann Lovett, als sie allein auf einem Kirchhof ihr Kind zur Welt brachte. Im Jahr 1992 wurde ein jugendliches Vergewaltigungsopfer die Erlaubnis verweigert, zwecks eines Schwangerschaftsabbruchs nach Großbritannien zu fahren. Zehntausende junger Frauen strömten daraufhin mit der Forderung »Lass sie gehen!« auf die Straße – bekannt wurde dies als Fall X. Auch der Tod Savita Halappanavars im Jahr 2012 gehört dazu. Sie war in der 17. Schwangerschaftswoche, als es zu Komplikationen kam. Das Krankenhaus weigerte sich wegen des 8. Verfassungszusatzes, einen Abbruch durchzuführen, die ihr Leben gerettet hätte. Wieder gingen Zehntausende auf die Straße. Wie langsam der Wandel kam, zeigt die Tatsache, dass Scheidung erst im Jahr 1996 legalisiert wurde (nachdem ein Referendum mit hauchdünner Mehrheit gewonnen worden war). Wie er sich dann beschleunigt hat, zeigte sich an der großen Mehrheit für gleichgeschlechtliche Ehen bei dem Referendum zur Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Jahr 2015 und der schnell entstandenen spontanen Massenbewegung mit den Hashtags #IBelieveHer (Ich glaube ihr) und #IStandWithHer (Ich stehe ihr bei) als Reaktion auf den schrecklichen Vergewaltigungsprozess in Belfast vor Kurzem, als alle vier Rugbystars freigesprochen wurden.
»Die gefürchtete Kluft zwischen Stadt und Land gab es nicht«
Dieser Wandel ist jetzt tiefgreifend und weitreichend. Jede Region des Landes stimmte mit Ja. Jeder parlamentarische Wahlkreis stimmte mit Ja, außer Donegal im äußersten Nordwesten, der mit sehr knapper Mehrheit mit Nein stimmte. Die gefürchtete Kluft zwischen Stadt und Land, mit einem Dubliner Ja und einem ländlichen Nein, gab es nicht. Es gab einen Unterschied bei der Größe der Mehrheiten mit 75 Prozent Ja-Stimmen in Dublin im Vergleich mit 63 Prozent in Munster (Südwesten) und 57 Prozent in Connacht-Ulster (Nordwesten), aber das ganze Land war für die Aufhebung. In Bezug auf Altersgruppen stimmten nur die über 65-Jährigen mehrheitlich mit Nein. Je jünger die Abstimmenden waren, desto höher war der Ja-Anteil: In der Altersgruppe 18 bis 24 stimmten über 85 Prozent mit Ja. Das ist für die Zukunft ein sehr hoffnungsvolles Zeichen.
Männer stimmten solidarisch mit ihren Schwestern
Klassenunterschiede lassen sich schwieriger berechnen, weil sie nicht auf die gleiche Weise erfasst werden und weil Meinungsforscher Angestellte als »Mittelschicht« bezeichnen. Wir wissen aber aus den Berichten, dass wie schon bei dem Referendum über die gleichgeschlechtliche Ehe viele der Gebiete mit hohem Anteil von Arbeiterinnen und Arbeitern massiv mit Ja stimmten – bis zu 80 Prozent in einigen Stadtteilen Dublins wie Lower Balleyfermot und Clondalkin. Es gab ein gewisses Geschlechtergefälle, Frauen stimmten zu 70 Prozent mit Ja im Vergleich zu 65 Prozent bei Männern, aber überwiegend stimmten Männer, vor allem junge Männer, solidarisch mit ihren Schwestern.
Machtverlust der Bischöfe
Eines steht außer Frage: Die Bischöfe haben deutlich an Macht verloren. Einem Bischof, der im Radio nach dem Ergebnis die Katholiken, die mit Ja gestimmt hatten, aufforderte, zur Beichte zu gehen, wurde mit einer Mischung aus Wut und Verachtung begegnet. Dieser Erdrutschsieg ist äußerst wichtig, da es jetzt für die reaktionären Politiker, die in Fianna Fail und Fine Gael, den beiden großen Parteien des Establishments, auf der Lauer liegen, sehr schwer wird, die für die Umsetzung der Entscheidung erforderliche Gesetzgebung zu blockieren oder zu verzögern, wie sie es bei einer knappen Mehrheit sicherlich getan hätten.
»Die Politiker der bürgerlichen Parteien schreckten immer vor diesem Thema zurück«
Und bei dem Erringen dieses erdrutschartigen Siegs spielte die Bewegung von unten auf den Straßen eine riesige Rolle. In den letzten Jahren, insbesondere seit dem Tod von Savita Halappanavar, gab es ständig wachsende Demonstrationen für die Aufhebung des 8. Verfassungszusatzes. Hervorzuheben sind hier die jährlichen Demonstrationen für Selbstbestimmung, die von der Kampagne für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch organisiert wurden, und die jüngsten Demonstrationen zum Internationalen Frauentag. Im Jahr 2017 wurde die O’Connell Bridge – die Hauptbrücke in Dublin – für mehrere Stunden besetzt und ein Referendum gefordert. Ohne diesen Druck, der im Parlament durch linke Abgeordnete wie Brid Smith, Ruth Coppinger und Clare Daly Unterstützung erfuhr, hätte es vielleicht gar kein Referendum gegeben. Die Politiker der bürgerlichen Parteien schreckten immer vor diesem Thema zurück.
Abend für Abend klopften 40 bis 60 Menschen an Dubliner Haustüren
In der Referendumskampagne selbst gab es geradezu eine Armee von StimmwerberInnen, die durchs ganze Land zogen. In den meisten Stadtteilen Dublins klopften Teams von 40 bis 60 oder mehr Personen Abend für Abend an Haustüren. Das war außerordentlich wichtig, um dem dominierenden Bild der Straßenplakate der Nein-Seite etwas entgegenzusetzen. Die Nein-Seite hatte immer den Vorteil, über große finanzielle Mittel zu verfügen (zum großen Teil aus den USA), und war in den Medien eher überrepräsentiert, vor Ort aber zahlenmäßig unterlegen. Sie zeichneten das Bild eines Irlands der Vergangenheit und versuchten durch falsche Darstellungen von Föten Angst und Scham zu erregen. Unsere Teams haben den Leuten unmissverständlich gesagt, dass wir uns nicht einschüchtern lassen – diese Zeiten sind vorbei.
»Führungspersonen der offiziellen Kampagne Together for Yes wollten nicht über das Recht der Frau auf Selbstbestimmung sprechen«
In diesem Zusammenhang gab es eine wichtige Debatte innerhalb der Ja-Kampagne. Die Führungspersonen der offiziellen Kampagne Together for Yes (Gemeinsam für das Ja), zu der auch Mitglieder von Fine Gael und der Labour Party gehörten (die Labour Party in Irland ist klein, steht ziemlich weit rechts und ist sehr neoliberal), waren sehr vorsichtig und wollten nicht über das Recht der Frau auf Selbstbestimmung sprechen. Sie beriefen sich auf Ergebnisse von »Fokusgruppen« (organisierte Gruppendiskussionen), wonach die Erwähnung von »Selbstbestimmung« die sogenannte Mitte entfremde, und sie unternahmen ernsthafte Anstrengungen, uns davon abzuhalten, darüber zu sprechen. Wir Linke, insbesondere wir von People Before Profit, haben nachdrücklich argumentiert, dass die »Entscheidungsfreiheit« und das Recht der Frau, selbst über ihren Körper bestimmen zu können, zunächst einmal als Grundsatz richtig ist. Gleichzeitig war dies auch das stärkste Argument, um die Arbeiterinnen und Arbeiter bei unseren Haustürgesprächen zu überzeugen. Wie sich zeigte, wurden wir voll und ganz bestätigt. Die Umfragen für die ersten Hochrechnungen zeigten, dass der wichtigste Grund für eine Ja-Stimme das Recht der Frau auf Selbstbestimmung war. Ein weiterer wichtiger Faktor in der Kampagne waren die Menschen, die ihre persönlichen Geschichten erzählten, vor allem, wenn sie unter verzweifelten Umständen gezwungen waren, nach England überzusetzen, um dort einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Eine der Wegbereiterinnen war Bríd Smith von People Before Profit, die als Erste und bisher einzige Abgeordnete zugegeben hat, dass sie eine Schwangerschaft abbrechen ließ.
Der Kampf für Selbstbestimmung hat jetzt erst begonnen
Jetzt, nach dem Erringen dieses Siegs, stehen wir vor der Aufgabe, auf dieser Dynamik aufzubauen, um kostenlose Empfängnisverhütung, säkulare Sexualerziehung, Beendigung der kirchlichen Kontrolle über Schulen, Trennung von Kirche und Staat insgesamt durchzusetzen. Wir müssen für die Einführung des Rechts auf Selbstbestimmung im erzreaktionären nordirischen Staat kämpfen. Und dann geht es auch um erschwingliche Wohnungen, menschenwürdige Arbeit und angemessene Gesundheitsversorgung, damit das Recht einer Frau, ein Kind zu haben, auch materiell abgesichert ist.
Weltweit ist klar, dass »die Frauen aufstehen«. Diese spektakuläre Abstimmung bedeutet, dass Irland sich verändert hat und irische Frauen und Männer ein wichtiger Teil dieser Bewegung sind.
Zcbeaton, Savita Halappanavar mural, Dublin, CC BY-SA 4.0
Schlagwörter: Abtreibung, Feminismus, Irland, Referendum, Selbstbestimmung