Israels erneute Eskalation gegen die Palästinenser:innen war ein Schuss nach hinten für Benjamin Netanjahu und lässt dem palästinensischen Widerstand nur eine Tür offen: den Kampf für einen einheitlichen demokratischen Staat auf dem gesamten Gebiet des historischen Palästinas. Von Alex Callinicos
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat den Palästinenser:innen den Krieg erklärt. Die Fähigkeit der gigantischen israelischen Militärmaschine, Gaza mit Tod und Verwüstung zu überziehen, stand nie im Zweifel. Aber wenn es sich um einen nationalen Befreiungskampf wie den der Palästinenser:innen handelt, gewinnt die Politik über die militärische Schlagkraft die Oberhand.
Alle, die Gillo Pontecorvos wunderbaren Film gesehen haben, wissen, dass die französische Armee die Schlacht um Algiers im Jahr 1956 gewann. Aber der hartnäckige Widerstand hat den Durchhaltewillen der französischen herrschenden Klasse gebrochen, so dass sie schließlich von Algerien losließ.
Vor diesem neuerlichen Krieg konnte sich der rechte Premierminister Benjamin Netanjahu damit brüsten, die Palästinenser:innen mundtot gemacht zu haben.
Er hatte den geteilten Hass gegen die Islamische Republik Iran ausgenutzt, um sich den superreichen Autokratien der Golfstaaten anzunähern. Mit der begeisterten Unterstützung Donald Trumps unterzeichnete er einen Friedensvertrag mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Er hoffte, eine ähnliche »Abraham-Vereinbarung« mit der Regionalmacht Saudi-Arabien unter Dach und Fach zu bringen.
Netanjahus Schuss nach hinten
Die islamistische Bewegung Hamas war in Gaza eingesperrt. Währenddessen blies die korrupte und handlungsunfähige Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die das Westjordanland und Ostjerusalem verwaltet, die angesetzten Wahlen ab – aus Furcht vor einem erneuten Sieg der Hamas.
Netanjahu hat wiederholt damit gedroht, Teile der besetzten Gebiete zu annektieren. Aber dann übernahm er sich. Um an der Macht und nicht im Gefängnis zu landen, stachelte er seine ultrarechten Verbündeten an, ihre Kampagne zur Enteignung der palästinensischen Familien im Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah zu intensivieren.
Diese Kampagne war ein regelrechter Schuss nach hinten. Denn die Palästinenser:innen leisteten Widerstand. Die Zurschaustellung israelischer Arroganz und Gewalttätigkeit trieb die palästinensische Minderheit innerhalb Israels auf die Straßen. Sie erlebte, wie die Aufstandspolizei wiederholte Male die Al-Aqsa-Moschee, eine der heiligsten islamischen Stätten, stürmte.
Israels Misserfolg trotz Übermacht
Die Palästinenser:innen innerhalb der israelischen Staatsgrenzen machen ein Fünftel der Bevölkerung aus. Sie sind Bürger zweiter Klasse in einem Staat, der sich jüngst zum »Nationalstaat des jüdischen Volks« erklärt hat. Während rechte jüdische Siedler:innen die Palästinenser:innen zurückzutreiben versuchten, griffen die Proteste auf das Westjordanland über. Dann setzten die Raketenangriffe der Hamas ein.
Ex-Premierminister Ehud Olmert kommentierte: »Wie misst man Erfolg gegen Misserfolg? Auf der einen Seite haben wir das mächtigste militärische Imperium in der gesamten Region, und auf der anderen eine terroristische Organisation, die nur über eins verfügt: Raketen, und dazu noch eher einfachere. Die Tatsache ist, dass es Hamas gelungen ist, fast das ganze Land einzuschüchtern.«
Es ist bemerkenswert, dass Netanjahu es nicht wagte, Bodentruppen in Gaza zu entsenden – vermutlich, weil er Todesopfer auf Seiten der israelischen Armee (IDF), wie beim letzten Krieg 2014, vermeiden wollte. Ein Experte sagte der Financial Times: »Die Israelis wollten nicht da reingehen, weil es ein blutiges Handwerk ist, und sie wollen nicht eine Menge Leute verlieren oder sich in Häuserkämpfe verwickeln lassen.«
Militärisches Patt zwischen Hamas und IDF
Aber Hamas hat Gazas Durchhaltevermögen unter Beweis gestellt und hat den Anspruch der PA, die Palästinenser:innen anderorts zu vertreten, herausgefordert. »Hamas ist aus ihrem Käfig ausgebrochen«, brachte es ein Kommentator auf den Punkt.
Wichtig vor allem ist, dass sich die Palästinenser:innen als einiges Volk behauptet haben, das Israels Versuche, es zum Schweigen zu bringen und zu fragmentieren, abgewehrt hat. Das macht es viel schwieriger für die Golfregime, sich Israel anzunähern. Das saudische Königshaus bezeichnet sich als Hüter der heiligen Stätten des Islam. Die Entweihung von Al-Aqsa auszublenden, spielt in die Hände seiner regionalen Rivalen Iran und Türkei.
Netanjahus Strategie bewirkt auch auf lange Sicht das Gegenteil des Erhofften. Er hat den »Friedensprozess« sabotiert, den Washington in den frühen 1990er Jahre initiiert hatte. Vor allem zerstört er jegliche Aussicht auf eine Zwei-Staaten-Lösung, in der Israel Seite an Seite mit einer PA in den besetzten Gebieten koexistieren würde.
Israels Politik lässt nur einen Ausweg
Je weiter Israel diesen Weg beschreitet, desto mehr lässt es den Palästinenser:innen nur eine Tür offen – nämlich den Kampf für einen einheitlichen demokratischen Staat auf dem gesamten Gebiet des historischen Palästinas aufzunehmen.
Das wird kein einfacher Kampf sein und setzt Umwälzungen in der gesamten Region voraus. Aber je mehr sich die Golfautokratien und die ägyptische Militärdiktatur an Israel anheften, desto mehr fachen sie die Flammen des Aufstands an, die sie eines Tages verschlingen werden.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Socialist Worker. Übersetzung aus dem Englischen von David Paenson.
Foto: Hosny Salah
Schlagwörter: Israel, Netanjahu, Palästina