In einer Rede im hessischen Landtag kritisierte die Fraktionsvorsitzende der LINKEN, Janine Wissler die Sammelabschiebungen nach Afghanistan. Wir sprachen mit ihr über die Reaktionen auf ihre Rede, den weiteren Protest gegen Abschiebung und die Rolle der LINKEN.
marx21: Deine Rede im hessischen Landtag hat auf unserer Facebook-Seite viel Beachtung gefunden. Mehr als 500.000 Personen erreichte das Video, Tausende haben es geteilt, geliked und kommentiert. Was ist deine Erklärung dafür?
Janine Wissler: Erstmal freut mich das natürlich. Es zeigt, wie wichtig es ist, dass wir als LINKE uns zu diesem Thema klar positionieren. Viele Menschen sind besorgt, schockiert aber auch wütend darüber, dass die Bundesregierung Schutzsuchende nach Afghanistan abschieben will.
Laut Global Peace Index ist Afghanistan – nach Irak, Südsudan und Syrien – das viertgefährlichste Land der Welt. Dass die Bundesregierung Kinder, Frauen und Männer, selbst Kranke, in ein Kriegsgebiet abschiebt, ist für mich ein Skandal. Es zeigt, wie skrupellos, unmenschlich und unverantwortlich die Asylpolitik der Bundesregierung ist.
Viel Menschen haben dir auf Facebook dafür gedankt, dass du in deiner Rede den »Einzelfällen« ein Gesicht gegeben hast…
Ich wollte zeigen, dass hinter jedem Einzelfall ein Mensch steht. Und die Fälle, die öffentlich bekannt sind, zeigen die Härte und die Willkür beim Vorgehen der Bundesregierung.
Die Betroffenen haben Angst, sie leben in permanenter Unsicherheit. Vor kurzem wurde in Hessen eine 16jährige aus dem Schulunterricht geholt, um sie abzuschieben. Wer so etwas tut, nimmt in Kauf, dass Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus ihre Kinder aus Angst nicht mehr zur Schule schicken.
Um welche Leute ging es bei den Sammelabschiebungen nach Afghanistan?
Abgeschoben werden sollte zum Beispiel Fereidun aus Hamburg. Er ist 35, lebt seit 21 Jahren in Deutschland, hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag, er hat vor kurzem geheiratet und ist vor einem Monat Vater geworden. Seine Abschiebung konnte zum Glück, durch einen Eilantrag seiner Anwälte, im letzten Moment verhindert werden. Aber er war, wie viele andere, bereits mitten in der Nacht von der Polizei aus seiner Wohnung geholt worden. Abgeschoben werden sollte auch der Angestellte einer Allgäuer Bäckerei, für dessen Bleiberecht sich die ganze Firma eingesetzt hatte. Abgeschoben wurde ein langjähriger Mitarbeiter einer Landshuter Baufirma. Und abgeschoben wurde der 24jährige Samir Narang, der seit vier Jahren in Hamburg gelebt hat. Er ist Hindu und gehört damit einer religiösen Minderheit an, d.h. er ist besonders gefährdet in Afghanistan.
In den Reaktionen zu deiner Rede gab es natürlich auch Widerspruch in den Kommentaren. Ein häufiges Argument lautete: »Warum sollen kriminelle Flüchtlinge nicht abgeschoben werden«?
Die weit überwiegende Mehrheit dieser Menschen ist nicht vorbestraft. Bei der ersten Sammelabschiebung galt das auch für die allermeisten. Aber ganz abgesehen davon: Selbst wenn Flüchtlinge oder hier lebende Ausländer straffällig geworden sind, kann man sie doch nicht in ein Kriegsgebiet abschieben. Man sollte das Strafrecht vom Aufenthaltsrecht trennen. Wer in Deutschland strafbare Handlungen durchführt, wird nach dem Strafrecht verurteilt.
Du warst in Frankfurt bei einem Treffen von afghanischen Hindus und Sikhs und hast dort gesprochen. Wie waren die Reaktionen dort?
Das Treffen wurde sehr kurzfristig einberufen, trotzdem war der Raum überfüllt. Hunderte kamen zu dem Treffen, viele kamen gar nicht mehr in den Raum rein. Das Bedürfnis zum Protest gegen die Entscheidung der Bundesregierung Afghaninnen und Afghanen abzuschieben war groß. In Deutschland lebende afghanischen Hindus und Sikhs haben Angst. Sie fühlen sich durch die Entscheidung der Bundesregierung bedroht.
Warum?
Mehr als 6.000 afghanische Hindus und Sikhs leben in Deutschland. Viele haben die deutsche Staatsbürgerschaft aber ca. 1/3 sind jetzt von Abschiebung bedroht. Hindus haben in Afghanistan noch immer mit Diskriminierung in allen öffentlichen Bereichen des Lebens zu kämpfen. Sie sind Bürger zweiter Klasse und werden daran gehindert ihre Religion auszuleben. Ihre Gesundheit und Unversehrtheit ist durch den afghanischen Staat nicht sichergestellt.
Warum ist dir als Fraktionsvorsitzende der hessischen LINKEN dieses Thema so wichtig?
Das Asylrecht wurde ausgehöhlt und was gestern noch Menschenrechte waren, soll heute nicht mehr gelten. Ich weigere mich einfach, Recht anzuerkennen, wenn es der Menschenwürde entgegenläuft und im Widerspruch zu den Menschenrechten steht. Wenn es rechtmäßig ist, Kinder, Frauen und Männer, selbst Kranke, in ein Kriegsgebiet abzuschieben und deren Leben und Unversehrtheit zu gefährden, dann hat das mit Recht nichts zu tun. Und wenn Gesetze, Verordnungen und Abkommen diese Gefährdung von Menschenleben legitimieren, dann müssen diese Regelungen weg und nicht die Menschen. Der Slogan: »Kein Mensch ist illegal« bringt es für mich auf den Punkt.
Vor 100 Jahren, erklärte Karl Liebknecht, der damals als sozialdemokratischer Abgeordneter des preußischen Landtages und als Rechtsanwalt häufig mit dem Ausländerrecht zu tun hatte: »Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung!«. Ist das für dich ein Bezugspunkt in den Debatten heute?
Ja auf jeden Fall. Ich finde die LINKE darf nicht zulassen, dass Flüchtlinge und Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft gegeneinander ausgespielt werden. Der Kampf gegen Rassismus und der Kampf um soziale Gerechtigkeit gehören zusammen. Wir müssen, so wie Liebknecht damals, deutlich machen, dass die Grenzen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten verlaufen. Liebknecht erkannte, dass die Herrschenden inländische und ausländische Lohnabhängige gegeneinander ausspielten, um aber letztlich beide Gruppen besser ausbeuten zu können.
Aber das ist 100 Jahre her…
Und noch immer aktuell. Rassismus ist kein Nebenthema, sondern muss von der LINKEN als eine Ideologie der Spaltung angegriffen werden. Die deutsche Volkswirtschaft ist eine der reichsten der Welt. Niemand müsste arbeitslos oder arm sein. Wir leben in einer Überflussgesellschaft, in der die oft genannte Grenze der Belastbarkeit noch nicht annähernd erreicht ist. Die angeblich »beschränkten Aufnahmekapazitäten« von denen heute oft gesprochen wird, soll von der seit Jahren stattfindenden Ausplünderung der öffentlichen Haushalte ablenken. Die Zukunft der öffentlichen Daseinsvorsorge ist tatsächlich bedroht, allerdings nicht von Flüchtlingen, sondern von Reichen, Banken, Konzernen und einer Regierung, die deren Interessen umsetzt. Wir müssen klarmachen, dass Menschen die in Deutschland von Hartz IV betroffen sind oder zu Niedriglöhnen arbeiten keinen Cent mehr in der Tasche haben, wenn Menschen abgeschoben werden.
Die Bundesregierung will die Sammelabschiebung fortsetzen. 2017 ist Bundestagswahlkampf und die Rechte wird das Thema Flüchtlingspolitik, Abschiebung und Innere Sicherheit im Wahlkampf besetzen. Wie sollte die LINKE darauf reagieren?
Wir müssen dagegenhalten und deutlich machen, dass wir jede Verschärfung des Asylrechts ablehnen. Nicht Geflüchtete oder offene Grenzen sind das Problem, sondern dass Milliarden für Bankenrettungen ausgegeben wurden und der Reichtum ungleich verteilt ist. Flüchtlinge zu Sündenböcken zu machen – wie es AfD, Pegida und Konservative tun –, ist ein Ablenkungsmanöver. Es vergiftet das gesellschaftliche Klima, wenn, wie jetzt nach dem Anschlag in Berlin, Muslime und Flüchtlinge unter Generalverdacht gestellt werden. Wir müssen zeigen, wie gefährlich diese Stimmungsmache ist. Politikerinnen und Politiker aber auch Teile der Medien haben mit ihrem Gerede über die angebliche »Jahrhundertwelle an Flüchtlingen« und »beschränkte Aufnahmekapazitäten« den Neonazis und Rassisten neuen Zulauf beschert. Aus den Worten von vielen werden Taten von einigen: 2016 gab es im Durchschnitt täglich drei gewalttätige Angriffe auf Geflüchtete.
Deswegen müssen wir uns den Rechten in den Weg stellen. Der Erfolg der AfD beruht auch darauf, dass sie die diffuse Unzufriedenheit auf Migranten, Flüchtlinge und Muslime lenkt. Darauf muss DIE LINKE mit einem klar antirassistischen Profil reagieren.
Du warst mit Hunderten anderen am Frankfurter Flughafen bei den Protesten gegen die erste Sammelabschiebung. Wie geht es jetzt weiter?
Klar ist: Das war leider erst der Anfang. Letzte Woche sind 34 Menschen abgeschoben worden, das Ziel der Bundesregierung ist es, 12.500 Menschen abzuschieben. Dagegen brauchen wir Proteste, auch um die gesellschaftliche Stimmung zu verändern und Druck auf SPD und Grüne auszuüben. Es gibt rechtliche Spielräume, die ja bisher auch genutzt wurden. Es ist eine politische Entscheidung, verstärkt nach Afghanistan abzuschieben. Die meisten Bundesländer beteiligen sich zur Zeit noch nicht daran. Abschiebungen zu verhindern ist nicht leicht, man muss in jedem Einzelfall schauen, was man tun kann. Aber es ist auch wichtig, ein politisches Zeichen zu setzen. Nach unseren Informationen soll am 7. Januar 2017 die nächste Sammelabschiebung stattfinden. Ich hoffe, dass der Druck der Öffentlichkeit, der Kirchen, von Pro Asyl und zahlreichen Flüchtlingsinitiativen und Menschenrechtsorganisationen so groß ist, dass sich möglichst viele Bundesländer nicht daran beteiligen. Deswegen wird es auch eine Protestaktion am 7. Januar geben, um gegen die inhumane Asyl- und Flüchtlingspolitik zu demonstrieren.
Interview: Yaak Pabst
Foto: Rasande Tyskar
Das Video:
Quelle Video: Hessischer Rundfunk
Schlagwörter: Abschiebung, Abschiebungen, Afghanen, Afghanistan, Asylpolitik, Asylrecht, Bundesregierung, Flüchtlinge, Flüchtlingspolitik, Inland, Kabul, Menschenrechte, Sammelabeschiebung, Sammelabschiebung