Die aktuellen Ereignisse in Afghanistan nach dem Abzug der imperialistischen NATO-Truppen veranschaulichen die verheerenden Folgen des Interventionskriegs für die afghanische Bevölkerung. Der 2018 erschienene Film »Kabul, City in the Wind« des Regisseurs Aboozar Amini zeigt in drastischen Szenen den Alltag der Menschen in Kabul. Ein Beitrag von Helena Zohdi
Der Dokumentarfilm »Kabul, City in the Wind« gewährt einen Einblick in den schmerzhaften Alltag der Menschen in Kabul, einer Stadt mit mehr als vier Millionen Einwohner:innen, in der tödliche Anschläge alltäglich sind.
Der Film veranschaulicht, welche Folgen mehr als vierzig Jahre Krieg auf die Bevölkerung haben – ein Krieg an dessen Kriegsverbrechen in den letzten zwei Jahrzehnten auch die Bundeswehr und die NATO beteiligt sind. Obwohl der »Global Peace Index« Afghanistan als gefährlichstes Land der Welt einstuft, hat die Bundesregierung bis vor einer Woche noch jeden Monat geflüchtete Menschen dorthin abgeschoben. Dies kann man nicht anders als ein Todesurteil verstehen.
Der prekäre Alltag steht im Vordergrund
»Kabul, City in the Wind« ist aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Der Film zeigt die prekäre Lebensrealität des Busfahrers Abbas und der beiden Brüder Afshin und Benjamin.
Der Teenager Afshin und sein kleiner Bruder Benjamin sind auf sich allein gestellt und müssen sich selbst versorgen. Ihr Vater, ein ehemaliger Soldat, befindet sich in Lebensgefahr und muss aus dem Land fliehen. Die Jungs müssen sich nun um das alltägliche Leben und den Haushalt kümmern. Aber der Krieg lässt sie nicht los. In ihrer Freizeit spielen die beiden Brüder statt auf einem Spielplatz in einem verlassenen Panzer.
Vor seiner Flucht geht der Vater mit seinen Söhnen auf den Friedhof. Sie besuchen die Gräber der »Märtyrer«, die im Krieg getötet wurden. Aufgrund der vielen Anschläge nimmt die Zahl der Gräber täglich zu. In einem der Gräber ist ein enger Freund des Vaters begraben. Nur durch Zufall überlebte der Vater den Anschlag, bei dem sein Freund getötet wurde. Auf dem Friedhof sind viele begraben, die, als sie getötet wurden, noch nicht einmal volljährig waren. Diese Szene ist repräsentativ für ein Leben im Krieg, bei dem unsicher ist, ob man am Abend wieder unversehrt nach Hause zurückkehren wird.
Es stehen unzählige Geschichten hinter Opferzahlen
Regisseur Amini zeigt eindringlich den oft schmerzhaften Alltag von Menschen, deren Verwandte und Freunde fliehen mussten. Er verdeutlicht, dass hinter den Opferzahlen, die ab und zu in der westlichen Berichterstattung erscheinen, Menschen stecken, die Familien, Hoffnungen und Träume hatten.
Das Leben des verschuldeten Busfahrers Abbas ist die zweite Geschichte, die Aboozar Amini erzählt. Abbas musste sich viel Geld leihen, um einen Bus für die Arbeit zu kaufen. Der Bus geht leider kaputt, weshalb Abbas in Schwierigkeiten gerät. Er versucht alles, um seine hohen Schulden abzubezahlen. So sehen wir Szenen, in denen er Tag und Nacht damit verbringt, den von Einschusslöchern überzogenen Bus zu reparieren, damit er wieder arbeiten und Geld verdienen kann. Seine Frau arbeitet ebenfalls, aber das Geld reicht nur gerade noch aus, um die mehrköpfige Familie zu ernähren.
Trotz der psychischen und physischen Belastungen bringt er die Energie auf, nach einem langen Arbeitstag mit seinen Kindern zu Hause liebevoll zu spielen. Abbas’ Situation ist bestürzend. Er berichtet, dass er seit seiner Kindheit schwer arbeiten musste und tragische familiäre Schicksalsschläge erlitt.
Weg von orientalistischen Bildern und der Stilisierung passiver Opfer
Dem Dokumentarfilm »Kabul, City in the Wind« gelingt es, die Protagonisten in ihrer Vielschichtigkeit darzustellen und sie nicht, wie so oft der Fall ist, wenn es um Dokumentationen über Afghanistan geht, als passive Opfer zu stilisieren oder orientalistische Bilder zu reproduzieren. Aboozar Amini erlaubt einen Blick in das Leben von Menschen, die trotz ihres prekären Alltags in Kabul weiter nach einem »normalen Leben« streben.
Der Dokumentarfilm:
Aboozar Amini (Regisseur)
Kabul, City in the Wind (2018)
88 Minuten
Schlagwörter: Afghanistan, Filmrezension, Kultur