Warum sich vieles im Koalitionsvertrag von R2G gut anhört, sich an Mietsteigerungen, Verdrängung und Spekulationen in Berlin aber auch in den nächsten Jahren nichts ändern wird. Von Max Manzey
Das Thema Wohnraum stand im Berliner Wahlkampf zum Abgeordnetenhaus ganz oben auf der Agenda aller Parteien. Kein Wunder in einer Stadt, in der seit 2007 die Mieten für Altmieter durchschnittlich um 26 Prozent (5,84 netto/kalt) und bei den Angebotsmieten um sogar 50 Prozent (9 netto/kalt) gestiegen sind. Die Folge ist, dass sich Menschen mit geringen Einkommen kaum noch die Miete leisten können, aus ihren alten Wohnungen ausziehen (Verdrängung aus der Innenstadt) oder in anderen Lebensbereichen deutliche Abstriche machen müssen (Verdrängung aus dem Lebensstil). R2G will das ändern und entsprechend betitelt ist das Kapitel im Koalitionsvertrag: »Bezahlbares Wohnen für alle«. Die neue rot-rot-grüne Koalition wird sich daran messen lassen müssen, ob sie dieses Versprechen auch tatsächlich einlösen kann.
Hört sich gut an, wird aber wenig verändern
Vieles von dem, was im Koalitionsvertrag zum Thema Wohnen und Stadtentwicklung steht, liest sich gut: mehr sozialer Wohnungsbau, eine sozialere Ausrichtung der kommunalen Wohnungsunternehmen, keine Privatisierungen mehr von öffentlichen Flächen und es soll endlich eine Lösung für den Bestand der Sozialwohnungen gefunden werden. Es ist auch eine Niederlage für den rechten Flügel der SPD, der mit dem bisherigen Senator Andreas Geisel und seinem Staatssekretär Engelbert Lütke-Daldrup (ELD) die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung fest im Griff hatte und diese nun an die zukünftige Senatorin Katrin Lompscher von der LINKEN abgeben muss.
Doch wenn man sich drei der wichtigsten Themenkomplexe (auf die der Senat tatsächlich Einfluss hat) herausgreift, dann ist es eher ernüchternd. In den nächsten 5 Jahren soll der öffentliche Wohnungsbestand um 55.000 zusätzliche Wohnungen erhöht werden. Davon allerdings nur 15.000 neugebaute Sozialwohnungen. In der gleichen Zeit werden jedoch durch das Auslaufen der Bindungen im bestehenden Sozialen Wohnungsbau mindestens 20.000 (wahrscheinlich deutlich mehr) bisherige Sozialwohnungen verloren gehen. Unter dem Strich also ein Minusgeschäft, statt eine Ausweitung. Von den 25.000 anzukaufenden Wohnungen kommen 15.000 von der Berlinovo, einem landeseigenen Unternehmen, das die Erblast des Bankenskandals verwaltete. Auch wenn zu begrüßen ist, dass dann auch diese Wohnungen von den Neuregelungen bei den kommunalen Wohnungsunternehmen profitieren, werden damit keine bisher privaten Wohnungen in öffentliches Eigentum gebracht. Es wird zwar gebaut und angekauft, aber zu wenig.
Offene Fragen und herbe Enttäuschungen
Der zweite wichtige Themenkomplex ist der bisherige Bestand des Sozialen Wohnungsbaus. Durch die absurde Fördersystematik von der Nachkriegszeit bis in die 80er Jahre sind die Mieten in diesen Beständen höher als der Berliner Mietendurchschnitt. MieterInnen in Wohnungen, die aus der Bindung fallen, können bisher mit unvorstellbaren Mieterhöhungen bis zur sogenannten Kostenmiete rechnen. Konzepte zur Lösung des Problems liegen auf dem Tisch, doch wurden bisher von SPD, CDU und Stadtverwaltung nicht aufgegriffen. R2G will nun eine einkommensabhängige soziale Richtsatzmiete (also eine staatlich festgeschriebene Höchstmiete) für diese Wohnungen einführen. Dass diese Zielsetzung im Koalitionsvertrag steht, ist zunächst ein großer Erfolg von Initiativen wie Kotti&Co und dem Mietenvolksentscheid, die das Thema immer wieder in die Öffentlichkeit gebracht haben. Aber wie genau diese Richtsatzmiete ausgestaltet wird, soll erst in Zukunft entschieden werden. Vieles spricht dafür, dass Verwaltung und SPD für eine zu hohe Untergrenze eintreten werden. Auch die Frage der Rekommunalisierung bestimmter Objekte, wie am Kottbusser Tor, wird zwar benannt, aber offen gelassen. Für beides gilt: hier ist noch nichts gewonnen.
Eine echte Enttäuschung ist, dass die Grunderwerbssteuer nicht angetastet wird. Die Grunderwerbssteuer fällt beim Kauf von Grundstücken an und ist (zumindest potenziell) eine starke Waffe gegen Immobilienspekulationen. Darüber hinaus könnten darüber zusätzliche staatliche Einnahmen generiert werden. Eine Erhöhung hätte darum positive Folgen und sollte eigentlich zum Standardrepertoire einer linken Stadtregierung gehören.
Darüber hinaus finden sich viele sehr positive Punkte im Koalitionsvertrag. Um nur einige zu nennen: Die Senkung der jährlichen Mieterhöhung in den kommunalen Wohnungsunternehmen von 4 auf 2 Prozent und die Senkung der Modernisierungsumlage von 9 auf 6 Prozent, die Reform des »Einfrierungsgrundsatzes« (was jedoch nur wenige Wohnungen betrifft), eine bessere Liegenschaftspolitik und die Einrichtung von Wohnungsämtern in allen Bezirken. Auch soll die vom Mietenvolksentscheid erstrittene Anstalt öffentlichen Rechts zur Kontrolle der kommunalen Wohnungsunternehmen wirklich eingerichtet und mit einigen Kompetenzen ausgestattet werden.
Alles in allem könnte man sagen, dass es viele kleine Schritte in die richtige Richtung sind. Aber diese Schritte werden nicht dazu führen, dass es »bezahlbaren Wohnraum für alle« gibt. Im Gegenteil: Trotz der anstehenden Maßnahmen wird sich die Situation in Berlin in den nächsten Jahren sogar noch verschlechtern. Die Schuld daran trägt weniger die Koalition, als vielmehr die Rahmenbedingungen unter denen diese Regierung arbeiten wird.
Denkbar schlechte Rahmenbedingungen für R2G
Diese sind nämlich denkbar schlecht. Laut einer aktuellen Bevölkerungsprognose der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wird Berlin in den nächsten Jahren um jährlich 40.000 Menschen wachsen. Damit werden 2020 fast eine halbe Million Menschen mehr in Berlin leben als 2000 (von 3,3 auf 3,8 Millionen). Das Problem dabei ist nicht, dass es viele Menschen nach Berlin zieht, sondern dass sich der Wohnungsbau seit Mitte der 90er Jahre weitgehend vom Bevölkerungswachstum entkoppelt hat. Während zwischen 1992 und 2014 die Zahl der Haushalte um 328.000 anstieg, wurden nur 210.000 zusätzliche Wohnungen gebaut1. Der Hauptgrund für diese Entwicklung findet sich in der Wohnungsmarktlogik: Die Modernisierung und »Aufwertung« bisher günstiger Altbaubestände ist für privates Kapital in der aktuellen Situation attraktiver als Neubau. Ein Immobilienkonzern wie die »Deutsche Wohnen« kauft sich lieber für relativ wenig Geld ehemals staatliche Wohnungen (GSW), führt Modernisierungen durch, verdrängt die bisherigen Bewohner und vermietet (oder verkauft) die freigewordenen Wohnungen für ein Vielfaches, anstatt Neubauwohnungen mit hohem Kapitaleinsatz zu bauen. Diese Entwicklung wird durch einen im Zuge der Krise entfachten Spekulationsboom angefeuert. So führt der Markt zu Verdrängung anstatt zu einer Versorgung mit ausreichend Wohnraum.
Entsprechend ist der einzige Akteur, der hier tatsächlich etwas bewegen könnte der Staat. Doch die letzten Jahrzehnte waren in dieser Hinsicht eine Katastrophe: von der völlig absurden Fördersystematik des Sozialen Wohnungsbaus der 1960-80er Jahre, über die staatlichen Gentrifizierungsprogramme der 1990er und die Privatisierungen kommunaler Wohnungsbestände (z.B. der GSW im Zuge des Bankenskandals) bis hin zum Komplettversagen bei der Schaffung von ausreichend Wohnraum für Geflüchtete. Über die Jahre hat sich der berühmte Berliner Immobilienfilz aus SPD, Immobilienlobby und landeseigenen Wohnungsunternehmen gebildet. Letztere sind heute kaum noch ein Garant für günstigen Wohnraum, sondern agieren (mit ihrer Lobbyorganisation BBU im Rücken) wie normale Immobilienkonzerne. So stellte eine Studie fest, dass die kommunalen Wohnungsunternehmen in Sachen Zwangsräumungen ganz vorne mit dabei sind. Unter dem Strich reduzierte sich dadurch das Segment der öffentlichen und regulierten Wohnungsversorgung seit 1993 um fast die Hälfte auf heute noch knapp 385.000 Wohnungen. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Haushalte mit sehr geringem Einkommen um 50.000 auf 490.000 an.
Letztendlich gehört auch zu den Rahmenbedingungen, dass ein Großteil der Mietrechtsgesetzgebung Bundessache ist und das Land Berlin keinen Einfluss darauf hat (zum Beispiel die nicht funktionierende Mietpreisbremse oder die Umlage bei energetischer Sanierung). Die Schuldenbremse verhindert darüber hinaus in einem hochverschuldeten Land wie Berlin, einen Großteil staatlicher Interventionsfähigkeit.
AfD als einzige wahrnehmbare Opposition
Die Rahmenbedingungen sind damit für jede Regierung denkbar schlecht. Die Maßnahmen im Koalitionsvertrag wirken dagegen wie ein Tropfen auf dem heißen Stein – erst recht für eine Regierung, die »bezahlbaren Wohnraum für alle« verspricht. Hinzu kommt, dass mit der SPD eine Partei in der Regierung sitzt, die selbst führender Akteur des Berliner Filz ist und nach Jahren in der Regierung mehr oder weniger die Partei der Stadtbürokratie darstellt und somit wenig Raum für linke Reformen lässt. R2G ist dadurch dazu verdammt, das Elend von 20 Jahren neoliberaler Stadtpolitik zu verwalten. Und das ist ein Spiel mit dem Feuer. In der aktuellen Konstellation, wird sich die berechtigte politische Wut gegen R2G richten. Davon wird die AfD profitieren und als einzige wirklich wahrnehmbare Oppositionspartei die Schuld bei der linken Regierung und den Geflüchteten verorten. Umso wichtiger ist, dass es eine wahrnehmbare linke Opposition innerhalb und außerhalb der LINKEN gibt, die weiterhin Druck auf die Regierung aufbaut und eine politische Alternative zur AfD darstellt.
1vgl. Holm/Harman/Kaltenborn (2016): Die Legende vom Sozialen Wohnungsbau.
Foto: Libertinus
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