In Spanien erzielt die rechtsextreme Plattform für Katalonien einen Wahlsieg nach dem anderen. Doch als Linke sich der Partei und ihrem Rassismus entgegenstellen, sinkt der Stern der Rechten. David Karvala ist einer der Initiatoren des am Widerstand beteiligten Bündnisses UCFR. Wir sprachen mit ihm über antifaschistische Strategien, die Bedeutung kleiner Erfolge und Geduld.
David Karvala ist Gründungsmitglied von En lucha, einer revolutionär-antikapitalistischen Organisation in Spanien. Zudem gehört er zu den Initiatoren und führenden Aktivisten des Bündnisses UCFR.
marx21: David, du bist Mitbegründer der UCFR – Unitat Contra el Feixisme i el Racisme (Vereinigung gegen Faschismus und Rassismus). Dem im Jahr 2010 gegründeten Bündnis gehören mittlerweile mehr als 500 Organisationen an, darunter sämtliche linke Parteien – von der Sozialdemokratie bis zur radikal-antikapitalistischen Linken – sowie alle Gewerkschaften, verschiedene Verbände von Migrantinnen und Migranten als auch religiöse Organisationen. Wie habt ihr es geschafft, ein solch breites Bündnis aufzubauen?
David Karvala: Unser Konzept ist denkbar einfach (lacht). Auf der Linken gibt es zwar verschiedene Erklärungen und Gründe dafür, den Faschismus zu bekämpfen. Doch wenn wir gewinnen wollen, müssen wir trotz der Unterschiede zusammenarbeiten. Der Kampf gegen den Faschismus kann nicht einer kleinen linksradikalen Minderheit, einer antirassistischen NGO oder den Migrantinnen und Migranten alleine überlassen werden. Wir wollten alle diese Gruppen und noch viele weitere zusammenbringen – nicht nur für einzelne Protestaktionen, sondern eine stetige Bewegung gegen rechts.
Anscheinend ist es relativ einfach, beim Aufbau breiter Bündnisse gegen Rassismus und Faschismus die formelle Unterstützung großer Organisationen außerhalb der radikalen Linken zu erhalten…
Nein, leider war es überhaupt nicht einfach. Selbst für die bloße Unterstützung auf dem Papier mussten wir kämpfen. Ein Schlüsselfaktor war die Überzeugung von Aktivistinnen und Aktivisten der lokalen Organisationen. Diese haben dann wiederum Druck auf ihre Spitzen ausgeübt, sich der UCFR anzuschließen.
Aber was bringt ein breites Bündnis, das viele Organisationen zusammenbringt, ohne gemeinsame Praxis? Wie habt ihr die Organisationen dazu gebracht auch ihre Mitglieder tatsächlich für konkrete Aktivitäten zu mobilisieren?
Du hast Recht: Formelle Unterstützung eines Bündnisses oder Aufrufs ist eine Sache, echte Mobilisierung eine andere. Für uns war die Arbeit an der Basis der Schlüssel. Nachdem wir die Unterschriften der Führungsspitzen unter unsere Aufrufe bekommen haben, beginnt die eigentliche Arbeit: Die UCFR-Gruppen vor Ort müssen auf die Parteimitglieder zugehen und sagen: »Eure Organisation unterstützt die UCFR, also engagiert euch bitte hier.«
Und das macht den Unterschied?
Naja… manche ignorieren das natürlich. Aber in der Regel gibt es in jeder Organisation Mitglieder, denen Antirassismus und Antifaschismus Anliegen sind und die sich betätigen wollen. Die formelle Unterstützung ihrer Organisation hilft solchen Aktivistinnen und Aktivisten bei der Mobilisierung ihrer Gliederungen vor Ort.
Die Stärke von UCFR sind die Basisgruppen. Wie entstehen diese Gruppen?
Gruppen werden gegründet, weil jemand in der Gegend uns zustimmt und sich am Aufbau der UCFR beteiligen will. Wir fragen also über unseren E-Mail-Verteiler, der aktuell über 2000 Menschen und Organisationen umfasst, sowie auf Facebook oder Twitter (12.000 Freunde und 14.000 Follower) andere Menschen aus der Gegend an und bitten sie, sich zu melden. Zusätzlich bitten wir die großen Organisationen, ihre Aktivisten vor Ort einzuschalten. Dann organisieren wir in der jeweiligen Ortschaft ein Treffen dieser Menschen und stellen vor, wie UCFR funktioniert. Und wenn alles gut geht, bildet sich daraus eine funktionsfähige lokale Gruppe.
Was machen diese Gruppen?
Ein erster Schritt ist, die UCFR bekannter zu machen. Dafür verteilen die Gruppen unsere Broschüren in der Stadt. Wichtig ist zu Beginn aber auch, öffentliche Veranstaltungen zu organisieren. Wir bieten an, bekanntere Referentinnen und Referenten zu vermitteln, die neben Vertreterinnen und Vertretern lokaler Organisationen sprechen können. In Orten, in denen es konkrete Probleme mit Rassismus oder Faschisten gibt, entwickeln UCFR-Gruppen eigene Initiative und versuchen, sich mit Aktiven anderer Gegenden austauschen. Dadurch, dass wir ein Netzwerk sind – keine getrennten, isolierten Gruppen – können die Erfolge einer Gruppe als Inspiration für andere dienen. Es ist außerdem sehr einfach, Solidarität aus anderen Gegenden für eine Gruppe zu erhalten, die mit besonderen Problemen konfrontiert ist.
Was habt ihr damit erreicht?
So ein Prozess vollzieht sich nicht über Nacht, aber er zeigt Ergebnisse. Die Demonstration der UCFR am 19. März dieses Jahres, dem internationalen Tag gegen Rassismus, war unsere bisher größte überhaupt. 15.000 Menschen sind in Barcelona auf die Straße gegangen. Dieses Jahr haben die großen Organisationen ihre Mitglieder tatsächlich mobilisiert. Das wäre so nicht passiert, wenn wir nicht mit kleineren Erfolgen über die letzten Jahre mit ihnen zusammengearbeitet hätten.
Was meinst du mit kleineren Erfolgen?
Wir haben das Bündnis in Katalonien gegründet, weil die rechtsradikale Partei Plattform für Katalonien (Plataforma per Catalunya, PxC) einen Wahlerfolg nach dem anderen feierte. Im Oktober 2010 wäre sie fast ins katalanische Parlament eingezogen und nach den Kommunalwahlen im Jahre 2011 hatte die Partei 67 Stadt- und Gemeinderäte in 39 Kommunen. Doch parallel zum Wachstum des Bündnisses UCFR ist die PxC immer schwächer geworden. Das lag vor allem an der Arbeit der lokalen UCFR-Gruppen, die in den größeren und kleineren Städten Kataloniens die PxC konfrontiert haben.
Ist die PxC denn eine faschistische Partei?
Die PxC ist ein Klon des französischen Front National (FN) von Marine Le Pen. Ihre Repräsentanten tragen Anzüge, lassen sich zu Wahlen aufstellen und leugnen, faschistisch zu sein. Geführt wird die Partei jedoch von altbekannten Faschisten. Die Seriosität ist Fassade. Sie wollen eine Organisation aufbauen, die nicht nur darauf abzielt, rassistische Politik umzusetzen, sondern tatsächlich die (höchst mangelhafte) Demokratie abzuschaffen, die wir aktuell haben. Sie wollen also nicht nur Stimmen gewinnen, sondern auch eine Organisation auf der Straße aufbauen. Aktuell beschränkt sich das vielleicht noch auf das Aufstellen von Tischen, an denen für Essen »nur für spanische Familien« gesammelt wird, und die ein oder andere Demonstration. Doch Mitglieder der PxC waren auch schon an Neonazi-Übergriffen beteiligt. Sie haben auch direkte Verbindungen zur offen faschistischen Partei Goldenen Morgenröte in Griechenland.
Kann man die PxC mit der AfD vergleichen?
Die AfD war ja zunächst eine rechtspopulistische und keine faschistische Partei. Solche Parteien wollen Stimmen gewinnen, aber sie organisieren nicht den »Kampf um die Straße«. Und doch gibt ihr Rassismus den Faschisten Bewegungsspielraum. Die Niederlage des ehemaligen Vorsitzenden Bernd Lucke im vergangenen Jahr und die Verlagerung hin zu noch rechteren und fremdenfeindlicheren Positionen ist ein Einschnitt. Noch relevanter finde ich die Zusammenarbeit mit der rassistischen Straßenbewegung Pegida, die sich selbst auch weiter in Richtung offener Faschismus bewegt zu haben scheint – und den Versuch, auf der Straße zu mobilisieren. International hat die AfD offen den Schulterschluss mit anderen europäischen Faschistenparteien im Anzug gesucht – darunter auch mit der PxC und, viel wichtiger, mit der FN und der FPÖ aus Österreich.
In der antifaschistischen Linken herrscht eine heftige Auseinandersetzung darüber, wie solchen Organisationen zu begegnen ist. Manche sagen, dass die direkte Konfrontation ihnen nur Öffentlichkeit und damit mehr Zulauf verschafft. Sollen wir ihre Veranstaltungen aktiv blockieren?
Wir sollten auf jeden Fall versuchen, sie zu konfrontieren. Der FN konnte in Frankreich wachsen, weil ein Großteil der Linken und der sozialen Bewegungen keine direkte Gegenbewegung aufgebaut haben. Gruppen wie SOS Racisme, die gegen Rassismus kämpfen, ohne sich auf die Faschisten zu konzentrieren, machen nützliche Arbeit – gegen den FN allerdings haben sie versagt. Andere Gruppen in Frankreich haben es mit klassischen Antifa-Aktionen gegen die Faschisten versucht und waren damit auch wenig effektiv. Der Schlüsselfaktor ist nicht die Taktik – Veranstaltungen blockieren oder nicht – sondern die Strategie.
Was meinst du damit?
Wir müssen eine breite Bewegung aufbauen, an der eine große Bandbreite an Menschen längerfristig beteiligt ist. Diese Bewegung kann dann lernen und besprechen, was die beste Taktik ist.
Was hat die UCFR in dieser Hinsicht gegen die PxC für Erfahrungen gemacht?
In der UCFR gab es Debatten als wir das erste Mal vorgeschlagen hatten, vor PxC-Wahlversammlungen zu protestieren. Aber wir haben uns darauf verständigt, es auszuprobieren und wir haben unter Beweis gestellt, dass wir friedliche Proteste abhalten, laut sein und Transparente hochhalten können, auf denen die Partei als faschistisch angeprangert wird. Für uns war in der Debatte das Beispiel der Bürgerblockaden gegen den Naziaufmarsch in Dresden sehr hilfreich. Außerdem haben wir im Wahlkampf hunderttausende Flugblätter und Broschüren produziert, die eine einfache Botschaft hatten: »Diese Leute sind Faschisten, wählt sie nicht.« Einige Aktivistinnen und Aktivisten haben sich beschwert, dass wir damit doch nur Werbung für die PxC machen würden. Andere meinten, die Botschaft sei zu simpel, und dass wir ein politisches Programm als Alternative zu den Faschisten anbieten sollten.
Wie ist die Debatte ausgegangen?
Ich würde sagen: Der Erfolg hat unsere Strategie bestätigt. Bei den Kommunalwahlen im Mai 2015 hat die PxC fast alle Ratssitze (bis auf acht) eingebüßt. Interessant ist: Überall dort, wo es eine stabile UCFR-Gruppe gab, hat die PxC jeden einzelnen Ratsposten verloren. Unsere Strategie ist aufgegangen. In den zwei Wahlen Ende letzten Jahres gab es keine einzige faschistische Liste mehr in ganz Katalonien. Zum ersten Mal seit 20 Jahren!
Kannst du uns ein paar Worte zur Kampagne »Stop Islamophobia« sagen?
Diese Kampagne ist einer der größten Erfolge der UCFR. Mit Islamhass beschäftigen wir uns schon seit einigen Jahren. Wir haben die Auseinandersetzung innerhalb der UCFR dahingehend für uns entscheiden können, dass sich folgende Ansicht durchgesetzt hat: Angriffe auf Muslime und den Islam haben nichts mit »Säkularismus« zu tun, sondern mit Rassismus – genau wie die Angriffe auf Juden in den 1930er-Jahren. Wir müssen angegriffene Gruppen unterstützen, anstatt die Angriffe zu rechtfertigen oder den Opfern die Schuld dafür zu geben. Nach den »Charlie Hebdo«-Morden konnten wir dementsprechend schnell reagieren und einerseits natürlich die Morde verurteilen, andererseits aber auch jeglichen Versuch, Muslimen die Schuld dafür zuzuweisen. Unsere Erklärung wurde von allen linken Parteien (von Reformern bis hin zu Antikapitalisten), von Gewerkschaften und Nachbarschaftsorganisationen unterschrieben. Wir haben diverse Veranstaltungen organisiert und Argumente gegen Islamhass vorgestellt – und der Hauptslogan unserer zentralen Demonstration im März 2015 war: »Stop Islamophobia«. Islamhass ist nach wie vor ein echtes Problem in Katalonien, aber ich glaube, dass wir die Diskussion zumindest in der Linken weitgehend für uns entschieden haben. Immerhin haben die Spitzen aller linken Parteien klar Position gegen Islamhass bezogen. Das ist eine sehr viel bessere Ausgangslage als beispielsweise in Frankreich.
Welche Rolle spielen Muslime in der UCFR?
Eine zunehmend aktive Rolle. Wir pflegen sehr gute Beziehungen zu verschiedenen muslimischen Organisationen und Kulturzentren. Wir haben schon viele Veranstaltungen im Centro Cultural Islámico Catalán organisiert und der Vorsitzende des Zentrums ist Mitglied unseres Koordinationskreises, zusammen mit anderen muslimischen Aktivistinnen und Aktivisten. Diese beteiligten sich entscheidend an unserem »Sozialforum gegen Islamhass und Rassismus jeder Art« am 20. Februar, an dem etwa 400 Menschen an zehn verschiedenen Seminaren teilgenommen haben. Ihre Rolle in der UCFR wird immer größer, und nicht nur in Bezug auf das Thema Islamophobie. Heute sind wir vertraut miteinander, diskutieren gemeinsam viele politische Themen, weit über Rassismus und Faschismus hinaus.
Möchtest du den Aktivistinnen und Aktivsten von Aufstehen gegen Rassismus abschließend noch etwas mit auf den Weg geben
Ja. Erstens: Eure Arbeit ist wichtig und kann erfolgreich sein! Die meisten Menschen sind keine Rassisten, und darauf müssen wir aufbauen: mit einer Bewegung der 99 Prozent, die gegen Faschismus sind. Zweitens: Habt Geduld. Es ist ein langwieriger und manchmal schwieriger Prozess. Letzten Endes aber freue ich mich darauf, von euren Erfolgen zu hören – und auch von den Problemen zu erfahren, mit denen ihr konfrontiert seid. Ihr seid nicht allein, sondern Teil einer wachsenden und immer besser koordinierten international-solidarischen Bewegung gegen Rassismus und Faschismus. Wir können uns gegenseitig Kraft geben. Und wir müssen uns noch besser koordinieren und weiter voneinander lernen. Es steht viel auf dem Spiel, aber wenn wir effektiv arbeiten, können wir gewinnen.
Das Interview führte Miguel Sanz Alcántara. Übersetzung ins Deutsche von Marion Wegscheider.
Schlagwörter: AfD, Antifaschismus, Antimuslimischer Rassismus, Barcelona, Faschismus, Faschisten, Front National, Islamophobie, Katalonien, Muslime, Nazi, Pegida, Rassismus, Spanien