Die Ausrufung der Unabhängigkeit durch das katalanische Parlament ist ein Erfolg des massenhaften Widerstands. Die Bewegung trotze nicht nur der Polizeigewalt, sondern verhinderte auch den Ausverkauf durch die rechte politische Führung. Doch der Kampf ist alles andere als vorbei
In ganz Katalonien feiern Millionen Menschen die langersehnte Unabhängigkeitserklärung, für die das katalanische Parlament am Freitag stimmte. Die Erklärung war bereits vor zwei Wochen verabschiedet, aber umgehend vom katalanischen Präsident Carles Puigdemont ausgesetzt worden. Während die Menschen auf den Straßen Barcelonas in Jubel ausbrachen, weigert sich der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy die Unabhängigkeit anzuerkennen und gelobt »der Staat werde die Legalität in Katalonien wiederherstellen«. Der Spanische Senat stimmte mittlerweile für die Auflösung der Autonomieregierung.
Der Druck von unten
Die Unabhängigkeitserklärung wurde nur möglich, durch den beeindruckenden Widerstand von hunderttausenden Katalaninnen und Katalanen, die das Ergebnis des Referendums vom 1. Oktober gegen den Spanischen Staat verteidigten — unter anderem mit einem zwei Tage später stattfindenden Generalstreik. Während der rechte Flügel der Unabhängigkeitsbewegung um Puigdemont vor der Erpressung der Zentralregierung und dem Druck der katalanischen Wirtschaftsbosse endgültig einzuknicken drohte, machte das brutale und unnachgiebige Vorgehen der spanischen Regierung die Basis der Bewegung nur umso entschlossener. Am Ende war die Erklärung der Unabhängigkeit das Resultat einer Kombination zweier Faktoren: der Weigerung der rechten Regierungspartei Partido Popular (PP) überhaupt irgendwelche Zugeständnisse zu machen und der beeindruckenden Reaktion von unten.
Als Puigdemont versuchte die Bewegung wieder einzufangen und Neuwahlen auszurufen, formierte sich eine gewaltige Demonstration in Barcelona. Auch dem rechten Flügel des katalanischen Nationalismus wurde klar, dass ein Abwürgen der Bewegung ihr politisches Ende bedeutet hätte.
Die Republik auf der Straße verteidigen
Doch der Kampf ist alles andere als vorbei. Nur durch massenhaften zivilen Ungehorsam kann der Repression des spanischen Staates etwas entgegengesetzt und ein Verrat durch die wankelmütige katalanische Regierung verhindert werden. Massendemonstrationen, Besetzungen und Streiks haben die Unabhängigkeitserklärung möglich gemacht und es wird noch viel mehr davon brauchen, um sie auch durchzusetzen.
Viele der Demonstrantinnen und Demonstranten brachen in Tränen aus, als das Ergebnis der Parlamentsabstimmung verkündet wurde. Einige von ihnen kämpfen bereits seit Jahrzehnten für die Unabhängigkeit Kataloniens. Menschen sind dafür ins Gefängnis gegangen. Im Jahr 1992, vor den Olympischen Spielen in Barcelona, sperrten die Behörden hunderte von Unabhängigkeitsbefürwortern ohne Gerichtsprozess in den Knast, um »störungsfreie« Spiele zu ermöglichen. Auch heute sitzen mit Jordi Sanchez und Jordi Cuixart die Führungspersonen zweier großer Unabhängigkeitskampagnen im Gefängnis und erwarten ihren Prozess wegen »Anstiftung zum Aufruhr«.
Ein Produkt jahrzehntelanger Kämpfe
Der Sieg vom Freitag ist das Produkt der jahrzehntelangen sozialen Kämpfe in Katalonien: die antikapitalistische Bewegung der frühen 2000er Jahre, die gewaltigen Proteste gegen den Irakkrieg im Jahr 2003 und der Kampf gegen Faschismus — sie alle haben die heutige Bewegung mit geformt. Erst im Februar dieses Jahres fand in Barcelona eine Massendemonstration statt, auf der die Menschen für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen protestierten. Nach den Terroranschlägen vom August gingen Tausende auf die Straße und forderten ein Ende von Waffenexporten, sprachen sich gegen Rassismus und Islamfeindlichkeit sowie für eine offene und bunte Gesellschaft aus.
Eine solche vielfältige Gesellschaft ist es auch, die den Sieg vom Freitag möglich gemacht hat und dies ist ein Schlüsselfaktor für die weitere Entwicklung der Bewegung. So tobt im katalanischen Parlament eine Auseinandersetzung darüber, wie katalanische und spanische Identität zu definieren sind. Während der Sprecher der rechten PP eine sehr enge Definition benutzte, um seine Opposition zur Unabhängigkeit zu verteidigen, verwendet die Linke — von der antikapitalistischen Candidatura d’Unitat Popular (CUP) bis zum reformistischen katalanischen Vizepräsidenten Oriol Junqueras — eine wesentlich integrativere und pluralere Definition. Ihre Vision für die katalanische Gesellschaft schließt auch Migrantinnen und Migranten ein — Menschen aus den anderen Teilen des Spanischen Staates und von überall auf der Welt. Sie alle sollen Teil einer bunten Gesellschaft sein und gemeinsam die katalanische Republik aufbauen.
Katalonien zeigt: Wir können gewinnen
Die Aktivistinnen und Aktivisten werden noch viel Arbeit vor sich haben, um eine solche Republik zu errichten und der Repression des Spanischen Staates zu trotzen. Aber die Erklärung der Unabhängigkeit ist ein großer Schritt nach vorne und könnte der Beginn einer Entwicklung sein, die auch über Katalonien hinaus in eine progressive Richtung weist. Die Macht der Straße hat sowohl gegen die Polizeigewalt als auch den versuchten Ausverkauf durch die politische Führung Kataloniens um Puigdemont gesiegt. Damit senden die Katalaninnen und Katalanen eine klare Botschaft in die Welt: Gemeinsam können wir gewinnen.
Foto: Fotomovimiento
Schlagwörter: Barcelona, Katalonien, Massenbewegung, Rajoy, Spanien, Unabhängigkeit, Unabhängigkeitsbewegung