Sollte DIE LINKE den Kampf gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie zugunsten ökonomischer Forderungen vernachlässigen? Eine Replik auf Dieter Dehm und Wolfgang Gehrcke. Von Rosemarie Nünning und Boris Marlow
Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke, Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKEN, haben in einem Debattenbeitrag für die Tageszeitung »Neues Deutschland« einen Vorschlag entwickelt, wie die Linke die Arbeiterklasse erreichen kann, die sie anscheinend immer mehr an weit rechts stehende Parteien wie die AfD verliert. Sie meinen, »große Mehrheiten«, die für den Erhalt des Sozialstaats und für Frieden mit Russland seien, verlören ihre festen Bezugspunkte angesichts »politisch-korrekter Bevormundung«, »Umerziehungsgehabe« und »Diktaten von political correctness«. Dem stellen sie eine Einigung der »Sozialstaatler« auf zwei Kernpunkte entgegen: »Tariflohn- und Rentenerhöhung, Schluss mit Freihandelsdiktaten und Nato-Säbelrasseln«.
Alexandra Wischnewski und Kerstin Wolter, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen bei Linksfraktion bzw. -partei, bestehen in ihrer Antwort darauf, die Kämpfe für soziale Gerechtigkeit mit denen für Geschlechtergerechtigkeit, Homosexuellen- und Trans*rechten sowie Antirassismus zu verbinden.
Ralf Krämer wiederum bescheinigt Wolter und Wischnewski, »keinerlei Gespür und Verständnis dafür« zu haben, »inwieweit Dehm und Gehrcke Realität beschreiben«, auch wenn Letztere Betroffenheit und Engagement »vieler junger Leute gegen Sexismus und Rassismus nicht hinreichend ernst« nähmen.
AfD-Wähler erreichen
Dehm und Gehrcke treibt offenbar um, dass ein höherer Anteil männlicher Arbeitsloser und Arbeiter die AfD gewählt haben. Eben diese wollen sie insbesondere ansprechen, indem sie den ihnen zu Recht oder zu Unrecht unterstellten Sexismus, die ihnen zugeschriebene Homophobie und den Rassismus vernachlässigen – oder schlimmer noch: bedienen – wollen zugunsten »ökonomischer« Forderungen. Sie berufen sich hierbei auf vermeintlich geschichtliche Erfahrungen der Kommunistischen Partei der Weimarer Republik, die durch ihren Internationalismus (die politische Korrektheit der damaligen Zeit?) den Nazis ihre Anhängerschaft zugetrieben habe. Das ist nicht nur bizarr, sondern in der Schlussfolgerung hoch gefährlich!
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Nazis außer bei den Arbeitslosen kaum in die organisierte und beschäftigte Klasse der Arbeiterinnen und Arbeiter eindringen konnten. Ihre Hauptanhängerschaft stammte aus dem Kleinbürgertum und der Mittelschicht. (Anderson, S. 195) Noch 1929 erregten die »nationalistischen Tiraden der extremen rechten Parteien nur geringes Interesse«, stellt die Historikerin Evelyn Anderson (S. 191) fest. Bis zum Jahr 1933 richtete sich die Hauptpropaganda der Nazis gegen »das System«, die Sozialdemokratie und den Marxismus, also die Organisationen der Arbeiterklasse. (Gluckstein, S. 76) Es war Klassenbewusstsein, das die Arbeiterinnen und Arbeiter bis zum Schluss mit der Sozialdemokratie und der KPD verband, und das Versprechen des Kampfs gegen den Faschismus, wie falsch er auch geführt wurde: Dem Reichsbanner der SPD gehörten Millionen an, dem Kampfbund gegen den Faschismus der KPD, gegründet 1930, immerhin zeitweise einhunderttausend.
Sozialfaschismusthese der KPD
Der neue Kurs der KPD von 1931, auf den sich Dehm und Gehrcke beziehen, war nur eine bedingte Korrektur der bisherigen Linie, die Sozialdemokratie als eine Variante des Faschismus zu bezeichnen und selbst sozialdemokratische Betriebsräte als »sozialfaschistisch« zu denunzieren. Damit hatte sich die Partei bereits in den Betrieben von Gewerkschafts- und SPD-Anhängern isoliert. Außenpolitische Interessen Moskaus standen hinter diesem Schwenk. Er bedeutete eine Abkehr von der in den Jahren 1921/22 von der Kommunistischen Internationale entwickelten und in der Folge erfolgreich durchgeführten Einheitsfrontpolitik. Hierbei handelte es sich um eine außerparlamentarische Bündnisstrategie, bei der die Kommunisten an die Führung der linken Arbeiterorganisationen appellierte, gemeinsame Aktivitäten für bestimmte Forderungen zu entfalten und auf diese Weise deren Basis zu erreichen. Ein beeindruckendes Beispiel für diese Politik lieferte der Volksentscheid zur Fürstenenteignung im Jahr 1926, als SPD und KPD gemeinsam weit über ihre eigene Wählerschaft ausgreifen konnten.
Nun, im Jahr 1931, vertrat die KPD-Führung die »Einheitsfront von unten«. Damit rückte sie zwar von dem bisherigen Kurs ab, die Arbeiter und Arbeitslosen der Sozialdemokratie als »sozialfaschistisch« zu denunzieren, und versuchte sie für gemeinsame Aktivitäten zu gewinnen – aber nur »von unten«, ohne die SPD-Führung. Das musste eine inhaltsleere Formel bleiben, denn hätte die Basis der Sozialdemokratie sich bereits von ihrer Führung gelöst, wäre sie wohl schon der KPD beigetreten.
Schlimmer noch aber war der Schwenk zu einer nationalsozialen Rhetorik: Die KPD rief die »Volksrevolution« statt der proletarischen Revolution als strategische Parole aus (Carr, S. 31 u. 49). Ernst Thälmann proklamierte: »Ohne soziale keine nationale Befreiung!« (Thälmann, S. 296). Die Parteizeitung »Rote Fahne« appellierte an die „schaffenden Volksgenossen“ der NSDAP und SA und bescheinigte ihnen, »ehrliche Kämpfer gegen das Hungersystem« zu sein, die sich »in die Einheitsfront des Proletariats« eingereiht hätten.
Das alles geschah ungeachtet der Tatsache, dass die Nazis Gewerkschaftslokale und linke Arbeitertreffpunkte angriffen und Kontrolle über die Straßen zu gewinnen suchten. ZK-Mitglied Willi Münzenberg warnte richtigerweise, Genossen, »die täglich damit rechnen müssen, von den Nationalsozialisten erschlagen zu werden«, könnten diese Politik nicht nachvollziehen (Bois, S. 363).
Die KPD trug so zur Konfusion bei und schadete ihrem eigenen Einfluss. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise war sie zu einer Partei der Arbeitslosen geworden mit einer Fluktuation in der Mitgliedschaft von teils über 50 Prozent. Sie schlug sich trotz aller Versuche, ideologisch Brücken nach rechts zu bauen, mit den Nazis (»schlagt sie, wo ihr sie trefft«), hatte aber keine signifikante Verankerung in den Betrieben mehr, dem wichtigsten Bollwerk und der entscheidenden Basis für den Kampf gegen den Faschismus (Bois, S. 362; Rosenhaft, S. 45). Nach Machtantritt der Nazis wurde sie das erste Opfer der faschistischen Unterdrückung.
Selbstentwaffnung der Linken
Zugeständnisse an rechte oder gar faschistische Ideologien heißt letztendlich Selbstentwaffnung der Linken. Wenn Sahra Wagenknecht in der Talkshow »Maischberger« Frauke Petry Seriosität unterstellt, sie argumentativ auf dem wirtschaftlichen Feld zu schlagen versucht, sie aber nicht mit ihrer manifesten Frauenfeindlichkeit und ihrem erbarmungslosen Rassismus konfrontiert, hilft das Petry und schadet uns.
Der Kampf gegen Rassismus ist nicht allein auf der ökonomisch-sozialen Ebene auszufechten, sondern muss auch auf der ideologisch-politischen geführt werden, begleitet von einer antirassistischen Bewegung nach Vorbild der Einheitsfront, wie sie von den Kommunisten in den 1920er Jahren erfolgreich durchgeführt wurde, um die Nazi- und Rassistenbewegungen zurückzudrängen.
Verwendete Literatur
Evelyn Anderson: Hammer oder Amboss. Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Frankfurt am Main 1981.
Marcel Bois: Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik. Eine Gesamtdarstellung, Essen 2014.
E. H. Carr: The Twilight of Comintern 1930–1935, Houndsmill 1982.
Donny Gluckstein: The Nazis, Capitalism and the Working Class, London 1999.
Eve Rosenhaft: Beating the Fascists? The German Communists and Political Violence, Cambridge 1983.
Ernst Thälmann: Reden und Aufsätze 1930–1933, Bd. 2, Köln 1975.
Die Autorin und der Autor:
Rosemarie Nünning ist Mitglied im Bezirksvorstand der Partei DIE LINKE in Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg und Übersetzerin des Werks von Chris Harman: »Wer baute das siebentorige Theben? Wie Menschen ihre Geschichte machen« (Laika Verlag 2016).
Boris Marlow ist Redakteur von marx21.
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Schlagwörter: AfD, DIE LINKE, Ernst Thälmann, Homophobie, KPD, Rassismus, Sexismus, Sozialfaschismus, Weimarer Republik