Alles öko, alles gut? Großkonzerne, aber auch Politik und NGOs wollen uns weismachen, dass nachhaltiges Wirtschaftswachstum kein Problem sei. Ein fundiert recherchiertes Buch räumt mit diesem Märchen auf. Von Peter Oehler
Es ist bereits das zweite Buch, in dem die Journalistin Kathrin Hartmann Hoffnungen auf eine ökologische Wende im Kapitalismus als Illusion entlarvt. In »Ende der Märchenstunde« zerlegte sie die Ideologie, nach der die Welt durch das richtige Konsumverhalten verändert werden könne. Nun setzt sie sich kritisch mit der Vorstellung von nachhaltigem oder »grünem« Wirtschaftswachstum auseinander.
Für »Aus kontrolliertem Raubbau« reiste Hartmann in die Anbaugebiete angeblich besonders nachhaltiger Produkte: Palmöl aus Indonesien und Zuchtgarnelen mit Ökosiegel aus Bangladesch. Das »nachhaltige« Palmöl bezeichnet die Autorin als den Schmierstoff des »grünen Kapitalismus«, weil der nachwachsende Rohstoff vielseitig verwendbar ist, etwa in Biodiesel oder Fertigprodukten.
Ausbeutung von Mensch und Natur
Das Herzstück des Buchs sind die Beschreibungen ihrer Recherchen vor Ort und der Begegnungen mit Kleinbäuerinnen und -bauern sowie lokalen Umweltschutzorganisationen. In Indonesien besuchte sie Palmölplantagen, auf denen die Arbeiterinnen und Arbeiter unter unmenschlichen Bedingungen ausgebeutet werden. Die Ölpalmen wachsen auf Feldern, die durch Abholzen der Regenwälder entstanden sind – oftmals illegal, aber vom Staat geduldet. Im Namen der Nachhaltigkeit werden weiter Indigene und Kleinbauern aus den übrig gebliebenen Wäldern vertrieben, weil die nun unter Naturschutz stehen.
Hartmann besuchte auch die Aquakulturen in Bangladesch, in denen Shrimps gezüchtet werden. Zuchtgarnelen gelten als nachhaltig, weil sie angeblich eine Lösung für das Problem der Überfischung der Meere darstellen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Ein Drittel aller gefangenen Seefische dient als Futter für Aquakulturen. Zudem versauert und vergiften die Zuchtanlagen die umliegenden Ackerflächen, was zu dauerhaft sinkenden Reisernten führt. Eine neue Kolonialzeit, nennt die Autorin das: »Die satten Shrimpsgenießer in den wohlhabenden Ländern fressen den Hungernden in Bangladesch also buchstäblich die Teller leer.«
Nachhaltig das System bewahren
Die reichen Länder des globalen Nordens kontrollieren mithilfe der Ökozertifizierung den Zugang zum Markt und können so den produzierenden Ländern die Vorgaben diktieren. Unternehmen, Staaten und internationale NGOs geben dem ausbeuterischen und Regenwald vernichtenden Palmölanbau und den Shrimps-Aquakulturen einen »nachhaltigen« Anstrich. Dabei sei »Nachhaltigkeit« jedoch nichts weiter als »ein wohlklingendes Wort für Systemerhalt«: Natur und Klima würden gerade so viel geschont, wie nötig ist, um das Wirtschaftssystem zu erhalten.
Hartmanns Kritik nimmt auch dezidiert als ökologisch deklarierten Anbau nicht aus, da die Plantagen auf gerodeten Regenwaldflächen entstehen und riesige Monokulturen nicht biologisch bewirtschaftet werden können. Staatlichen Einrichtungen, wie der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), und großen Umweltschutzorganisationen wirft Hartmann zudem vor, Nachhaltigkeitsprojekte immer über die Köpfe der betroffenen Bevölkerung hinweg zu entschließen.
Die Autorin benennt den Kapitalismus als die Hauptursache sowohl für Armut und Hunger als auch für die Zerstörung unserer Umwelt. Das ist nicht neu. Was mir vor der Lektüre hingegen nicht so klar war, ist, wie zerstörerisch auch nachhaltige oder sogar ökologische Landwirtschaft weltweit wirkt.
Widerstand gegen die Weltordnung
Das letzte Kapitel des Buchs ist möglichen Alternativen gewidmet. Gesellschaftliche Veränderungen, so Hartmanns Überzeugung, entstehen »stets durch Aufklärung, Erkenntnis, Diskurs, Protest und solidarischen Widerstand«. Eine »Änderung der imperialen Lebensweise des Westens« sei unabdingbar. Hier sieht sie Hoffnung in den Bewegungen von unten, in Protesten wie »Wir haben es satt« und dem Widerstand gegen das Freihandelsabkommen TTIP.
Auch im globalen Süden sind es die Betroffenen mit ihrem Konzept der Ernährungsunabhängigkeit, auf die sie setzt. Denn während ihrer Recherche entdeckte Hartmann nicht nur skandalöse Machenschaften, sondern auch neue Perspektiven: »Weil die Menschen, die ich dort kennengelernt habe, mit einer so großen Leidenschaft und Kraft, Liebe und Solidarität, Phantasie, Klugheit und Mut ganz selbstverständlich Widerstand gegen die Zumutung einer totalitären Gesellschafts- und Weltordnung leisten.«
»Aus kontrolliertem Raubbau« bietet reichhaltige Informationen von einem klaren politischen Standpunkt aus. Als etwas störend habe ich den polemischen Stil der Autorin empfunden, denn die erschlagenden Fakten sprechen eigentlich für sich. Dennoch kann ich dieses Buch sehr empfehlen – insbesondere denjenigen, die meinen, durch gehobenen ökologischen und nachhaltigen Konsum sei doch schon genug für die Umwelt getan.
Das Buch:
Kathrin Hartmann
Aus kontrolliertem Raubbau. Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren
Karl Blessing Verlag
München 2015
448 Seiten
18,99 Euro
Foto: lawrence_baulch
Schlagwörter: Agrarkapitalismus, Bücher, CETA, Die Grünen, Freihandel, Kapitalismus, Konsum, Konsumkritik, Kultur, Nachhaltigkeit, Natur, Ökologie, TTIP, Widerstand