Der Wahlerfolg der griechischen Syriza zieht ganz Europa in seinen Bann. Und schon wird Podemos in Spanien als Kandidatin für die nächste linke Regierungspartei gehandelt, gerade mal ein Jahr nach ihrer Gründung. Zeit für eine kritische Bestandsaufnahme. Von Miguel Sanz Alcántara. Übersetzung: Rabea Hoffmann
Im 25. Januar 2015 verfolgen junge Menschen aus Griechenland und Spanien in Berliner Bars gemeinsam bis spät in die Nacht die Berichterstattung über die griechischen Parlamentswahlen. Sie skandieren: »Syriza, Podemos: venceremos!« (»Syriza, Podemos: Wir gewinnen!«). Beide Parteien entfachen große Begeisterung und wecken Erwartungen, die von der EU verordnete Sparpolitik zu beenden. Syriza und Podemos verkörpern die Hoffnung von Millionen von Menschen aus Südeuropa, die seit dem Beginn der Wirtschaftskrise 2008 viel verloren haben.
Es ist bemerkenswert, dass Podemos weniger als ein Jahr nach der Parteigründung ernsthafte Aussichten hat, die Parlamentswahlen in Spanien im kommenden Herbst zu gewinnen. Die Partei stützt sich zum einen auf eine breite soziale Basis, die sich im Rahmen der Bewegung 15M (so benannt nach der Besetzung der Puerto del Sol in Madrid im Mai 2011 und der damit ausgelösten sozialen Massenbewegung) formiert hat. Zum anderen hat der Erfolg dieser Bewegung den Wunsch nach politischem Wandel in noch weiteren Teilen der Bevölkerung geweckt.
Doch kann Podemos diesen Hoffnungen gerecht werden? Im Laufe des vergangenen Jahres haben sich Struktur und ideologische Ausrichtung von Podemos verändert. Die Partei ist viel weniger horizontal und demokratisch organisiert als anfangs erwartet. Auch wenn die Beteiligungsmöglichkeit bei der Aufstellung von Listen und der Vergabe von Führungspositionen viel größer ist als in allen anderen Parteien, kam dies bisher fast ausschließlich der von Generalsekretär Pablo Iglesias und seinem Team geführten Hauptströmung zugute. Das Resultat – Listen und Führungspositionen sind (fast) ausschließlich mit seinen Anhängerinnen und Anhängern besetzt – erinnert kaum noch an den durch Einheit, Zusammenarbeit und Horizontalität geprägten Geist der Anfangsphase.
Das liegt daran, dass der Führungsanspruch der Gruppe von Intellektuellen um Pablo Iglesias, (mehrheitlich von der Universität Complutense Madrid) unanfechtbar ist. Im Vorlauf der Parteigründung nutzten Iglesias und seine Gruppe die Aufmerksamkeit der Massenmedien, um Vertreterinnen und Vertreter des politischen und medialen Establishments mit ausgefeilten Argumenten zur besten Sendezeit öffentlich bloßzustellen. So gewannen sie eine Popularität, die es ihnen ermöglichte, die Gründung von Podemos zu steuern.
Das zeigt sich besonders an den Regeln für die Besetzung von Parteiposten. Im Mittelpunkt stehen hier nicht unterschiedliche politische Projekte und Organisationsformen, sondern die zur Wahl stehenden Individuen – womit eine ernsthafte Konkurrenz zu Iglesias‘ Team quasi ausgeschlossen ist. Hinzu kommt, dass hauptsächlich nicht in den Zirkeln (Basisgruppen) gewählt wird, sondern per Onlineabstimmung.
Viele Mitglieder, die über die Besetzung innerparteilicher Funktionen abstimmen, nehmen nicht an den Debatten in den Zirkeln teil und kommen kaum in Kontakt mit Vorschlägen und ideologischen Ausrichtungen, die mit denen von Iglesias‘ Gruppe konkurrieren. Die interne Diversität der Partei schlägt sich weder in der zentralen noch in den dezentralen Führungsebenen nieder. Die Gewinnerinnen und Gewinner rechtfertigen dies damit, dass eine »effiziente« Organisation notwendig sei – im Gegensatz zu einer demokratischeren. In den Worten des Politischen Sekretärs Íñigo Errejóns, »eine ›Wahlkriegsmaschine‹, die siegen kann«.
»Eine Partei zum Protestieren und eine zum Gewinnen«
Parallel zur Konsolidierung des homogenen Führungsblocks revidierte Podemos einige ihrer politischen Forderungen. Das Wahlprogramm, mit dem die Partei 1,2 Millionen Stimmen bei den Europawahlen erzielt hat, wurde seiner radikaleren Vorschläge beraubt. Das neue Programm enthält den Entwurf eines Wirtschaftsprogramms, das von den bekannten sozialdemokratischen Intellektuellen Juan Torres López und Vicenç Navarro geschrieben wurde. Diesen Entwurf präsentierte die Führung als »realistisch«, als nötige Anpassung, um bei den Wahlen erfolgreich abzuschneiden. Pablo Iglesias begründete diesen Schritt wie folgt: »Es ist sehr viel einfacher, ein Programm für die Europawahlen aufzustellen, als für die landesweiten Parlamentswahlen, die wir gewinnen wollen.« So wurden Forderungen nach einem allgemeinen Grundeinkommen oder dem Stopp der Schuldentilgung durch solche nach einem höheren Arbeitslosengeld und Neuverhandlungen mit Kreditgeberinnen und Kreditgebern ersetzt. Die Forderung nach der Wiederverstaatlichung strategisch wichtiger Wirtschaftsbereiche ist verschwunden und die geplante Arbeitsgesetzgebung ist sehr viel schwammiger als im Programm für die Europawahl. Die Führung von Podemos versucht damit, ihre soziale Basis auf Bereiche der Mittelschicht auszuweiten, die allzu drastischen Reformen misstrauen. Der herrschenden Klasse soll gezeigt werden, dass es sich um eine »verantwortungsbewusste« Partei handelt, die zu Kompromissen bereit ist – wie auch von Syriza unter Tsipras praktiziert.
Iglesias und sein Team haben ein Organisationsmodell geschaffen, in dem jedwede Kritik – und besonders die Forderung nach einer radikaleren und ambitionierteren Politik in Verbindung mit sozialen Kämpfen – als Gefährdung des Wahlsiegs behandelt wird. Carolina Bescansa, die Hauptverantwortliche des Sekretariats für politische und soziale Analyse sagte im Januar, dass es »eine Partei Podemos zum Protestieren und eine zum Gewinnen« gebe. Ihre Podemos – und die von Pablo Iglesias – würde gewinnen. Andere Strömungen, die mit eigenen Listen zu Wahlen um Führungspositionen in der Partei antraten, wollten hingegen »nur protestieren«.
Nachdrücklich behauptet die derzeitige Führung zudem, es ginge nicht darum, sich in der gesellschaftlichen Linken oder Rechten zu verorten, sondern einzig um den Konflikt zwischen denen »da oben« und denen »da unten«.
Dies wird ausschließlich im Rahmen der institutionellen Politik formuliert, Ziel sei es, dort die Souveränität der einfachen Bürger und Bürgerinnen wiederherzustellen.
Trotz Kurswechsel Anlass zur Hoffnung
Diese eindeutige Ausrichtung gab es vor einem Jahr noch nicht. Damals war Podemos auf die Unterstützung des aktivsten und kämpferischsten Teils der Bewegung 15M und der gesellschaftlichen Linken angewiesen, um das Projekt voranzubringen. Doch je näher die Parlamentswahlen rücken, desto stärker verlagert sich der Fokus auf den Wahlsieg.
Aber die Linkswende der spanischen Gesellschaft hat sich erst durch die sozialen Kämpfe und Massenmobilisierungen der Bewegung 15M vollzogen. Die breite Selbstorganisation angesichts der Auswirkungen der Wirtschaftskrise hat dazu geführt, dass Hunderttausende Menschen mit ihren bisherigen Positionen gebrochen haben und nun politische Maßnahmen unterstützen, die eine soziale Transformation möglich machen.
Heute vertritt jedoch nur eine Minderheit der sozialen Basis von Podemos die Orientierung auf soziale Bewegungen und Gewerkschaften. Diese Strömung entstammt der Bewegung 15M und den sozialen und gewerkschaftlichen Kämpfen, die dem 15. Mai 2011 vorausgegangen sind. Sie versteht Podemos als Werkzeug für gesellschaftliche Veränderung im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung und will eine Partei, die die Arbeit in politischen Institutionen mit sozialen Bewegungen und Selbstorganisation zusammenbringt und sich nicht nur auf Wahlkampf konzentriert.
Die Jahre seit der Entstehung von 15M haben gezeigt, dass Mobilisierungen außerhalb der politischen Institutionen das Potenzial besitzen, die Gesellschaft zu verändern. Beispiele dafür sind die »Plattform der von Hypotheken Betroffenen« (PAH), die mehr Zwangsräumungen durch direkte Blockaden und Proteste verhindert hat als jegliches formelles Vorgehen. Ebenso die »Mareas« (Fluten), eine soziale Bewegung, die von Beschäftigten aus dem Gesundheits- und Bildungsbereich ausging und gegen Privatisierungen und Kürzungen im öffentlichen Sektor gekämpft hat. Schließlich waren da die »Märsche für die Würde«, zu denen unter dem Motto »Brot, Arbeit und ein Dach über dem Kopf« zwei Millionen Menschen nach Madrid gekommen sind – ohne dass eine Partei oder eine der großen Gewerkschaften dazu aufgerufen hatte. Trotz allem ist Podemos nach wie vor ein wichtiges Projekt, das Anlass zur Hoffnung gibt. Allein die Existenz der Partei hat drastische Veränderungen im politischen System Spaniens bewirkt: Der König hat abgedankt, die anderen Parteien haben sich zu mehr Transparenz entschlossen, die Führung der sozialdemokratischen PSOE ist in Rente gegangen, in der Linkspartei Izquierda Unida gibt es Positionsdebatten, welche in der Zukunft zu einer Abspaltung führen könnte, die sich Podemos anschließt.
Der Wahlerfolg von Podemos und die steigende Mitgliederzahl haben in großen Teilen der Bevölkerung die Hoffnung auf wirtschaftliche Reformen geweckt – Reformen, die von der Sozialdemokratie schon vor dreißig Jahren als unmöglich abgetan wurden.
Das liegt nicht nur am Auftreten der Parteiführung, sondern auch an den Aktivitäten der Mitglieder der Zirkel. Ein großer Erfolg war die von Podemos organisierte Demonstration »Marsch der Veränderung« am 31. Januar. Als mehr als 150.000 Menschen die Straßen von Madrid füllten, war die gleiche Kampfkraft zu spüren wie auf dem Höhepunkt des 15M. Die Demonstration hatte eine klare Botschaft für das politische Establishment und die herrschende Klasse: Podemos ist mehr als ein Parteiapparat.
Die Partei strahlt aus und repräsentiert die Sehnsucht nach Veränderung der Bevölkerung. Nun wissen die Wohlhabenden, wenn es nötig ist, kann Podemos sich auch außerhalb der politischen Institutionen durchsetzen. »Tick-tack, tick-tack…«, riefen die Massen in Madrid, um deutlich zu machen, dass ihre Zeit schon fast gekommen ist.
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Schlagwörter: Pablo Iglesias, Podemos, Spanien, Sparpolitik, Syriza