Der frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, ist tot. Warum Annan bei seinem Streben nach einer friedlichen Welt die falschen Mittel wählte, erklärt Hans Krause in seinem kritischen Nachruf
Selten werden verstorbene Politiker so einstimmig gelobt wie Kofi Annan. Sueddeutsche.de titelt: »Kofi Annan – Der Menschheit zu Diensten«, faz.de schreibt: »Ein humanitärer Interventionist« und welt.de meint, Annan sei: »Das unüberhörbare Weltgewissen«. Auch Kanzlerin Merkel teilte mit, Annan sei ein »herausragender Staatsmann im Dienste der Weltgemeinschaft« gewesen.
Eine kriegerische Welt
Doch tatsächlich begannen in seiner Amtszeit als UNO-Generalsekretär von 1997 bis 2006 einige der mörderischsten Kriege unserer Zeit. Schon 1994 ist es Annan als Leiter der UNO-Abteilung für ihre angeblichen »Friedenstruppen« nicht gelungen, etwas gegen den Völkermord in Ruanda zu unternehmen, bei dem etwa 1 Million Menschen ermordet wurden; eben so wenig wie 1995 gegen das Massaker von Srebrenica in Bosnien-Herzegowina (Lese hier einen Artikel zur Frage: »Srebrenica: Das vermeidbare Massaker«). In einem späteren Bericht schrieb Annan selbst: »Im Namen der Vereinten Nationen erkenne ich das Versagen an und drücke meine tiefe Reue aus.«
Auch in seiner Zeit als Generalsekretär der UNO wurde die Welt nicht friedlicher: 1999 führte die NATO Krieg in Serbien, Montenegro und Kosovo, mit Beteiligung deutscher Kampfflugzeuge. Die USA eroberten 2001 Afghanistan, woraufhin mit Unterstützung der UNO die Besatzungsarmee ISAF geschaffen wurde, die dort bis heute Krieg führt. Noch während die US-Armee in Afghanistan einmarschierte, bekam Annan im Oktober 2001 den Friedensnobelpreis und ähnlich wie bei der Verleihung an Barack Obama 2009, wusste niemand warum. Laut Nobelpreis-Komitee bekam Annan den Preis, weil er den Menschenrechten Priorität einräumte. Was ihm tatsächlich jedoch niemals gelang.
Propaganda im Sicherheitsrat
2003 hielt Außenminister Colin Powell bei der Sitzung des UNO-Sicherheitsrats die Präsentation über angebliche Massenvernichtungswaffen in Irak, die den folgenden Krieg der USA rechtfertigen sollte. Als sich herausstellte, dass Powells »Belege« gefälscht waren, lief der Krieg bereits und ermordete hunderttausende Menschen. Obwohl Kofi Annan diesen und vielen anderen Kriegen ablehnend oder zurückhaltend gegenüberstand, gelang es der UNO doch nie, die beteiligten Regierungen von ihren Plänen abzubringen. Die Ursache liegt in der Funktionsweise der UNO selbst, die entgegen vieler Behauptungen niemals eine »Völkergemeinschaft« war, sondern das Gegenteil: eine Versammlung mächtiger Regierungen.
Kapitalismus, Krieg und die UNO
Schon vor Gründung der UNO 1945 gab es Versuche, den Frieden zu bewahren, indem man die mächtigen Regierungen an einen Tisch bringt. Vor 1914 gab es eine Reihe von Friedenskonferenzen genau der Regierungen, die bald darauf die Hölle des Weltkriegs über Europa brachten. Nach dem Krieg wurde der Völkerbund gegründet, praktisch der Vorgänger der UNO, der aber bekanntlich auch nichts gegen den Zweiten Weltkrieg ausrichten konnte.
Auch die UNO ist heute eine Organisation, in der die Vertreter von kapitalistischen Staaten zusammenkommen. Für diese Regierungen sind Vereinigungen wie die UNO nur insoweit interessant, als sie nützlich sind, ihre Interessen durchzusetzen. Zudem ist das höchste Gremium der UNO nicht etwa die Vollversammlung aller Mitglieder, wie in jeder halbwegs demokratischen Organisation oder Partei. Stattdessen kann die zumindest theoretisch völkerrechtlich bindenden »Resolutionen« nur der UNO-Sicherheitsrat beschließen.
Kriegstreiber regieren UNO
Dieser wird jedoch nicht von Regierungen geführt, die sich besonders um den Weltfrieden bemühen, sondern von den USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China, den Staaten mit den größten Armeen, der größten Zahl an Atombomben und dem Recht, jede Entscheidung des UNO-Sicherheitsrats mit einem »Veto« zu verhindern. Diese undemokratischen Strukturen der UNO sind das Spiegelbild der realen wirtschaftlichen und militärischen Verhältnisse auf der Welt. Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats machten in der Vergangenheit regen Gebrauch von ihrem Veto-Recht, um Verurteilungen und Sanktionen gegen sich selbst oder befreundete Staaten abzuwenden. Die meisten Vetos legte bis 2007 Russland (inkl. Sowjetunion) ein, nämlich 123, gefolgt von den USA mit 82. Unter anderem der Angriffskrieg auf den Irak durch die USA im Jahre 2003 hatte durch deren Veto keinerlei völkerrechtliche Konsequenzen.
Dass uns dieser Aufbau der »Vereinten Nationen« selbstverständlich und sinnvoll erscheint, liegt nur daran, dass er schon seit 1945 unverändert ist und von keiner großen politischen Partei in Frage gestellt wird. Es ist jedoch nicht so, dass die UNO tatsächlich funktioniert und Frieden schafft. Vielmehr war sie vor, während und nach Annans Amtszeit ein Werkzeug der mächtigsten Regierungen der Welt. Dieses Werkzeug haben sie mal mehr, mal weniger eingesetzt, um vorzutäuschen, dass ihre militärischen Ziele »gerecht« oder »legal« seien.
Die UNO reformieren?
Bislang ist jede Initiative, die UNO zu reformieren gescheitert. Die mächtigen Nationen setzen ihr gesamtes finanzielles und diplomatisches Gewicht ein, um Reformen zu ihren Ungunsten zu verhindern. Das hat auch Kofi Annan zu spüren bekommen, als er 2003 einen Prozess zur Reform der Vereinten Nationen auf den Weg brachte. Eine Vereinigung von kapitalistischen Staaten wird immer das bleiben, was sie ist: Ein Instrument zur Durchsetzung imperialistischer Interessen. Aus vielen Wölfen wird niemals ein Schaf.
Diplomatie bereitet Kriege vor
Dass Annan dem Weltfrieden näherkommen wollte, indem er sich mit den schlimmsten Kriegstreibern an den Tisch setzt, mag menschlich verständlich sein. Schließlich stammt er aus einer der reichsten Adelsfamilien Ghanas, die ihm ein Studium unter anderem an der Elite-Universität MIT in Cambridge, USA ermöglichte. Doch erfolgreich war er damit nicht. Denn auch wenn uns Schulbücher und Medien immer wieder sagen, dass Diplomatie die Alternative zum Krieg sei und Politiker die miteinander reden, nicht aufeinander schießen, so halten sich eben diese Politiker in Wirklichkeit leider sehr selten an solche Kindergarten-Psychologie. Denn für die Herrscher dieser Welt ist Diplomatie oft die Vorbereitung des Krieges oder das Schmieden einer Militärallianz und sie haben kein Problem, wie 2017 am selben Tag bei einer »Friedenskonferenz« über Syrien zu sprechen und ihren mörderischen Krieg in Syrien ungebremst weiterzuführen.
UNO-Einsätze schaffen keinen Frieden
Wenn Regierungen Krieg geführt haben, standen Kofi Annan und der Rest der UNO entweder hilflos am Rand oder haben die militärische Besatzung eines Landes unterstützt, wie in Afghanistan (Lese hier ein Interview mit der afghanischen Aktivistin Malalai Joya über die aktuelle Situation in Afghanistan). Doch auch ein aggressiveres militärisches Vorgehen der UNO ist keine friedensversprechende Lösung.
Besonders der Völkermord in Ruanda 1994 wird immer wieder als Argument für die Notwendigkeit einer kriegführenden UNO-Armee angeführt. Doch was hätte Annan als Leiter der sogenannten »Friedenstruppen« in Ruanda damals tun sollen? Der Völkermord an den Tutsi wurde von der amtierenden Regierung, der staatlichen Armee und von ihnen befehligten Milizen begangen. Um das zu verhindern, hätten die UNO-Blauhelm-Truppen die ruandische Armee auf dem Schlachtfeld besiegen und die Regierung stürzen müssen. Mit einem solchen Befehl hätte Annan nicht nur gegen zahlreiche Artikel des Völkerrechts verstoßen. Es ist auch äußerst fraglich, ob ein solcher Krieg tatsächlich Menschenleben gerettet oder nicht eher zu noch mehr Todesopfern geführt hätte.
Bewegungen können Kriege stoppen
Müssen wir dem Morden auf der Welt also hilflos zusehen? Nein, denn ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es immer wieder gelungen ist, Kriege zu verhindern und zu beenden, wenn sich die Menschen in den kriegführenden Staaten und Armeen selbst dagegen gewehrt haben. Der Massenaufstand gegen den Ersten Weltkrieg führte in Russland 1917 und in Deutschland 1918 zum Ende des Krieges, zum Sturz der Kaiser und zu Revolutionen. Der US-amerikanische Krieg in Vietnam bis 1975 wurde entscheidend vom Widerstand in der Armee und in den USA selbst beendet. Daraufhin wagte 16 Jahre lang keine US-Regierung mehr, einen größeren Krieg zu führen. Und auch wenn Regierungspolitiker das niemals zugeben, so ist es doch die große Ablehnung von Kriegen in der Bevölkerung und aktive Proteste gegen NATO-Kriege in Irak und anderswo, die verhindern, dass die deutsche Armee heute in große Kampfeinsätze geschickt wird.
Mit Gesprächen mit kriegführenden Regierungen zum Frieden zu gelangen ist Kofi Annan unvermeidlich gescheitert. Dass ihn heute Politiker, die für Krieg und Aufrüstung verantwortlich sind, für sein Engagement für Frieden loben, ist verlogen. Gewinnen können wir jedoch mit dem Aufbau einer Antikriegsbewegung, die weder Trump noch Putin, weder Erdogan noch Assad oder Merkel unterstützt, sondern sich gegen jeden dieser Massenmörder und für Frieden unter den Menschen einsetzt. Damit können wir die Herrschenden nicht überzeugen, sondern zwingen, von ihrem militärischen Wahnsinn abzulassen.
Foto: UN Geneva
Schlagwörter: Antikriegsbewegung, Imperialismus, Kofi Annan, Kriege, Nachruf, UN, Uno