DIE LINKE ist weit mehr als parlamentarische Kraft. Welche Aufgaben ihr für eine zeitgemäße Klassenpolitik zukommen, analysiert eine neue Broschüre. Von Jürgen Ehlers
Die neue Ausgabe von theorie21 »Klassenpolitik in Zeiten der Pandemie und darüber hinaus« setzt sich mit der Bedeutung von sozialen Bewegungen sowie der Rolle der LINKEN dabei auseinander. Erfahrungen aus der Mieter-, der Klimaschutz- und Gewerkschaftsbewegung stehen im Mittelpunkt. Ziel der einzelnen Diskussionsbeiträge ist auch, sich der Frage zu stellen, warum DIE LINKE schwächelt und wie sie wieder stärker werden kann.
Verglichen mit den vielen sozialen Bewegungen, die die politische Diskussion in Deutschland stark beeinflussen, sind die betrieblichen Kämpfe in den letzten zehn Jahren deutlich weniger wahrnehmbar gewesen. Das lag nicht daran, dass es überhaupt keine Verteilungs- und Abwehrkämpfe gab, aber die Gewerkschaftsbewegung hat es bisher nicht geschafft, ihre defensive Grundhaltung zu überwinden.
In einem Beitrag zum »Stand der Klassenkämpfe in Deutschland heute« werden die Ursachen dafür in den Blick genommen, aber auch Möglichkeiten einer gewerkschaftlichen Erneuerung diskutiert.
Ist die Sozialpartnerschaft der Gewerkschaften heute noch vertretbar?
Die Schwäche und Defensive der Gewerkschaften ist der Hauptgrund, warum sich an der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben seit Gründung der Partei DIE LINKE nichts geändert hat. Die Enttäuschung darüber, dass das Versprechen »Links wirkt!« nicht eingelöst wurde, ist an den Wahlergebnissen ablesbar.
Die Hoffnungen in den Parlamentarismus sind bei den meisten Parteimitgliedern ungebrochen – obwohl die vergangenen Kämpfe immer wieder gezeigt haben, dass außerparlamentarischer Druck den Ausschlag für soziale und politische Erfolge gegeben hat.
DIE LINKE bietet aber nach wie vor eine große Chance, die heutigen politischen und sozialen Kämpfe zusammenzuführen und zu stärken. In vielen Bewegungen und Kämpfen spielen Mitglieder der LINKEN eine wichtige Rolle. Bis heute aber hat DIE LINKE keine eigene Vorstellung entwickelt, wie eine Gewerkschaftspolitik aussehen soll, die sich von der sozialdemokratischen unterscheidet und einen Weg aus der Defensive weist.
Getrieben von der Angst eines weiteren Bedeutungsverlustes der Gewerkschaften gibt es seit längerem Versuche von offensiver, konfliktorientierter Gewerkschaftsarbeit. Eine zentrale Rolle spielen dabei Ansätze des Organizing, die nach langen Debatten auch in Deutschland von Gewerkschaften angewendet werden, wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise.
Organizing kann Klassenpolitik verbinden
Organizing-Ansätze sind in den Gewerkschaften insbesondere dann sehr umstritten, sobald sie den Anspruch haben, über das Gewinnen von neuen Mitgliedern oder den Kampf um einen Tarifvertrag hinauszugehen, um durch Überwindung des Stellvertretertums die Gewerkschaftsbewegung aus der Defensive zu führen.
Warum genau dies jedoch nötig ist, erklärt die US-Gewerkschafterin Jane McAlevey im Interview. Wie eine Politisierung der Gewerkschaften konkret aussehen kann, zeigt die Aktivistin Julia Kaiser in ihrem Beitrag zur »Allianz von Fridays for Future und ver.di im Bereich Nahverkehr als Exempel ökologischer Klassenpolitik«. Wie gewerkschaftliche Erneuerung durch konfliktorientierte Formen des Organizing funktioniert, wird am Beispiel der Streikbewegung in den Krankenhäusern analysiert.
Doch Klassenkampf findet nicht nur im Betrieb statt, wie die Beiträge zur Mietenbewegung oder zum Verhältnis von Migrations- und Klassepolitik zeigen.
DIE LINKE muss das Bindeglied zwischen Bewegungen und Betrieben sein
Den Autor:innen zufolge besteht eine wichtige Aufgabe der LINKEN darin, die Erfahrungen aus vergangenen Kämpfen aufzugreifen und daraus für die zukünftigen Kämpfe einen gemeinsamen Diskussions- und Lernprozess zu initiieren, mit dem Ziel, der Überwindung des Kapitalismus näher zu kommen.
Das können uns Gewerkschaften und soziale Bewegungen nicht abnehmen, denn in ihren Reihen werden sehr unterschiedliche politische Ideen gehandelt, die miteinander konkurrieren. Die Kunst besteht darin, das Trennende auszuhalten und die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen, ohne den eigenen Kompass aus den Augen zu verlieren. Wie dies konkret gelingen kann, wird in diesem Buch anschaulich beleuchtet.
Das Buch:
theorie21
Klassenpolitik in Zeiten der Pandemie und darüber hinaus
Edition Aurora
September 2021
177 Seiten
6,50 Euro
Schlagwörter: Bücher, Buchrezension, Corona, Inland, Pandemie, Rezension