Warum Konsumkritik am falschen Hebel ansetzt und die Rede von der »Macht der Verbraucher« ein Märchen ist. Von Nicole Möller-Gonzalez, Sergen Canoglu und Martin Haller
Die schlechte Nachricht ist: »Wir konsumieren uns zu Tode.« Die gute Nachricht: »Wir haben es selbst in der Hand. Die Macht des Konsumenten kann die Welt verändern.« So zumindest behaupten es unzählige Zeitungskommentatoren, Buchautorinnen, Lebensratgeber und nicht zuletzt die wachsende Bio- und Fair-Trade-Branche. »Verändert euch!« lautet die Botschaft.
Die Rede vom »bewussten Konsum«, der »nachhaltigen Lebensweise« und der »Verantwortung der Verbraucherinnen und Verbraucher« ist keineswegs neu. Doch mit dem wachsenden Bewusstsein über das Ausmaß der Klimakrise hat auch die Konsumkritik einen erneuten Aufschwung erfahren.
Konsumkritik verdeckt den Blick auf die tatsächlichen Verursacher der Klimakrise
Darf ich noch mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen, trotz der fatalen Folgen für meinen individuellen CO2-Fußabdruck? Darf ich noch Fleisch essen, obwohl die Herstellung eines Steaks so viele Treibhausgase verursacht wie 50 Portionen Gemüse? Millionen Menschen beginnen sich diese Fragen zu stellen und das ist auch gut so, denn es ist Ausdruck des gleichen wachsenden Problembewusstseins, das auch die Schülerinnen und Schüler von Fridays for Future zu Hunderttausenden auf die Straße treibt oder die Zehntausenden, die sich im Hambacher Wald den Kohlebaggern von RWE entgegenstellten.
Das neoliberale Credo der Eigenverantwortung
Ja, die Zukunft des Planeten liegt in unserer Hand. Doch Konsumkritik ist keine sinnvolle Strategie, um mit der ökologischen Krise umzugehen und den Klimakollaps zu verhindern.
So verwundert es nicht, dass sich die Forderung nach einem bewussten Konsum auch in bürgerlichen Kreisen wachsender Beliebtheit erfreut. Jede und jeder Einzelne sei selbst verantwortlich – das passt perfekt zum neoliberalen Credo der Herrschenden. Denn die Konsumkritik verdeckt den Blick auf die tatsächlichen Verursacher der Klimakrise – die großen Energie- und Industriekonzerne.
Nun mag man entgegnen: Aber sind es nicht wir alle, die die Produkte dieser Konzerne konsumieren und dadurch ihre Geschäfte erst möglich machen? Wir sind es doch, die ihre Autos, Handys, Kühlschränke, Waschmaschinen und Lebensmittel kaufen, die ihren Strom nutzen und unsere Wohnungen mit der von ihnen produzierten Energie heizen. Sind nicht also doch letztlich »wir alle« verantwortlich? Und wichtiger noch: Können dadurch nicht auch »wir alle« durch ein Umdenken und bewusstes Handeln einen Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise einleiten? Haben wir als Konsumentinnen und Konsumenten nicht die Macht, darüber zu entscheiden, was, wie und wieviel produziert wird?
Das Märchen von der Konsumentenmacht
Die Antwort lautet: nein. In einem kapitalistischen System orientiert sich die Produktion nicht an den Bedürfnissen der Menschen, sondern an den Profitinteressen der Kapitalistinnen und Kapitalisten. Um das zu sehen, müssen wir nicht erst in die ärmsten Länder der Welt schauen, in denen Millionen Hunger leiden, während die lokale Landwirtschaft Agrarprodukte für den Export produziert – etwa Palmöl für Biodiesel oder Kaffee mit Ökosiegel. Es reicht ein Blick in deutsche Großstädte, in denen statt der dringend benötigten bezahlbaren Wohnungen Luxusappartements und Bürogebäude gebaut werden, obwohl Millionen Quadratmeter Büroflächen leer stehen. Nicht die Bedürfnisbefriedigung, sondern die Gewinnerwartungen bestimmen im Kapitalismus was, wie und wieviel produziert wird.
Das Bild vom Aldi-Wurst mampfenden Billigurlauber als größtem Klimasünder ist eine Lüge
Eines der Kernprobleme der Konsumkritik besteht darin, dass sie unterstellt, wir alle säßen im selben Boot und trügen gemeinsam dazu bei, dass es langsam sinkt. Klar ist: Der Klimawandel wird von Menschen verursacht. Aber das ist nur die halbe Wahrheit: Wer arm ist, ist nicht nur oft schwerer vom Klimawandel betroffen, sondern trägt auch am wenigsten dazu bei. Und umgekehrt: Je reicher ein Mensch ist, desto größer ist seine oder ihre persönliche Belastung des Klimas.
Klimakrise als Klassenfrage
Während in der Debatte um nachhaltigen Konsum und Umweltbewusstsein oft das Bild vom Aldi-Wurst mampfenden Billigurlauber als größtem Klimasünder gezeichnet wird, sind es in Wahrheit die Reichen, die unsere Luft mit Abstand am meisten verpesten. So kommt eine Studie von Oxfam aus dem Jahr 2015 zu dem Schluss, dass jemand aus dem reichsten Prozent der Weltbevölkerung 175 mal so viele Emissionen verursacht wie jemand aus den ärmsten 10 Prozent. 50 Prozent der Gesamtemissionen können den reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung zugeschrieben werden.
Auch in Deutschland gilt: »Wer mehr verdient, lebt meist umweltschädlicher«, so der Titel einer Studie des Umweltbundesamtes von 2018. Menschen mit hohem Umweltbewusstsein haben laut der Studie nicht zwangsläufig eine gute persönliche Ökobilanz. Menschen aus »einfacheren Milieus«, die sich selbst am wenigsten sparsam beim Ressourcenschutz einschätzen und ein eher geringes Umweltbewusstsein haben, belasten die Umwelt hingegen am wenigsten. Wir sitzen, bezogen auf den Klimawandel, zwar alle im selben Boot, aber einige wenige tragen weit mehr dazu bei, dass es sinkt.
Das macht die Konsumkritik in erster Linie zu einem Appell an die Reichen, doch bitte ihr Konsumverhalten zu ändern. Das ist nicht nur ein stumpfes Schwert im Kampf gegen den Klimawandel, sondern angesichts der Ausmaße der Krise und der Dringlichkeit des Problems eine fatale Strategie.
Konsumkritik: Der Kunde als König?
Die meisten Menschen auf diesem Planeten verfügen über keine Spielräume, um ihr Konsumverhalten zu ändern, weil sie am Existenzminimum leben. In den hochindustrialisierten Ländern ist das jedoch etwas anders: Auch Teile der Arbeiterklasse haben einen gewissen Lebensstandard, besitzen ein Eigenheim, fahren Auto und fliegen auch mal in den Urlaub. Aber welchen Einfluss haben ihre Konsumentscheidungen darauf, was produziert wird und unter welchen Bedingungen dies stattfindet? Ist der Kunde König, wie es uns der Handel glauben machen will?
Niemand möchte hormonverseuchte Schnitzel aus tierquälerischer Massenhaltung essen
Wiederum lautete die Antwort: nein. Der Konsum ist in jeder Hinsicht abhängige Variable der kapitalistischen Produktion. Die Produktion definiert nicht nur Umfang, Art und Preis der Güter, sondern auch das Einkommen der Verbraucherinnen und Verbraucher, das sie überhaupt erst zum Konsum befähigt. Konsumentinnen und Konsumenten können nur ausgeben, was sie verdienen, und nur kaufen, was ihnen für dieses Geld geboten wird. Sie bestimmen nicht das Warenangebot, sondern können gar nichts anderes tun, als ihre Bedürfnisse ihrem Geldbeutel und dem Angebot auf dem Markt anzupassen.
Nicht die Bedürfnisse bestimmen darüber, was produziert wird, sondern die Produkte schaffen neue Bedürfnisse – ganz gleich welche Folgen dies für uns und unsere Umwelt hat. Verbraucherinnen und Verbraucher sehen sich umstellt von einer Horde konkurrierender Geschäftsleute, die nicht nur über ihre Geldbeutel, sondern mit ihren diversen Produkten auch noch über ihre Sicherheit und Gesundheit herfallen: Niemand möchte hormonverseuchte Schnitzel aus tierquälerischer Massenhaltung essen. Niemand möchte, dass Kinder für die Schokolade in unseren Supermarktregalen zur Arbeit auf Kakaoplantagen gezwungen werden. Niemand möchte, dass Verschleißteile in unsere Handys eingebaut werden, so dass sie nach kurzer Zeit nicht mehr zu gebrauchen sind. Dennoch sind all diese Waren im Angebot.
Bio und Fair-Trade als Alternative?
Selbst wenn wir es uns leisten können, einen Preisaufschlag für Bio- und Fair-Trade-Produkte zu zahlen, ist es ein Trugschluss, dass dies unseren Konsum nachhaltig machen würde. Über Biolebensmittel gibt es viele Illusionen: Gesünder, besser für die Umwelt, von Höfen aus der Heimat, mit glücklichen Tieren. Die Wahrheit sieht anders aus.
Im Jahr 2015 wurden in Deutschland 8,62 Milliarden Euro für Biolebensmittel ausgegeben. Binnen eines Jahrzehnts hat sich der Umsatz mehr als verdoppelt. Woher stammen die Produkte? Wie viel Bio ist drin, wenn Bio draufsteht? Und wer kontrolliert das? Die Suche nach Antworten führt zu den Profiteuren des Booms.
So sind etwa in Südspanien, aber auch in China riesige Gewächshäuser und Plantagen entstanden, auf denen Biolebensmittel für den Bedarf in Deutschland angebaut werden. Mit ökologischer oder nachhaltiger Landwirtschaft hat all das nichts zu tun. Wasser wird verschwendet und die Verschmutzung des Grundwassers geduldet. Tagelöhner schuften zu Niedriglöhnen unter den Plastikfolien zigtausender Gewächshäuser. Produzenten in Deutschland kommen bei den niedrigen Lohnkosten nicht mit. Hierzulande beträgt der Anteil der landwirtschaftlichen Fläche, die biologisch bewirtschaftet wird, daher auch nur 6,5 Prozent. Deshalb kommen immer mehr Biolebensmittel aus dem Ausland. Jede zweite Möhre wird importiert, jeder dritte Apfel, jeder dritte Liter Milch und jedes vierte Schweinesteak, schätzt die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft. Biotomaten stammen sogar zu knapp 90 Prozent aus dem Ausland. Eine Flotte aus Fliegern, Lastwagen und Containerschiffen schafft die Ware herbei.
Während die Nachfrage nach Fleisch hierzulande stetig sinkt, steigt die Fleischproduktion immer weiter an
Während zahlreiche Bio- und Ökosiegel den Konsumentinnen und Konsumenten ökologische Produktionsbedingungen suggerieren, ist es tatsächlich für die Käuferinnen und Käufer kaum zu überblicken, wie die Waren hergestellt werden. Neun Anbauverbände werben in Deutschland mit eigenen Biosiegeln. Der Staat hat die Hauptkontrollen an private Firmen übertragen, die Behörden selbst testen nur stichprobenartig. In der Praxis bedeutet das: Die Biobauern suchen sich die private Kontrollstelle aus und zahlen Gebühren. Die Kontrolleure haben somit ein wirtschaftliches Interesse daran, sich mit den Betrieben gut zu stellen, um Aufträge zu generieren.
Mit dem sogenannten Fairen Handel verhält es sich nicht besser: Die Anzahl verschiedener Definitionen, was »fairen Handel« ausmacht, ist fast genauso groß wie die Anzahl der unterschiedlichen »Fair-Trade«-Gütesiegel, die auf verschiedenste Produkte aufgebracht werden. Es gibt keinen gesetzlich verbindlichen Standard, jede Organisation definiert ihre Kriterien selbst.
Konsumkritik: Ökostrom und Vegetarismus
Selbst durch vollständigen Verzicht auf besonders klimaschädliche Produkte können Konsumentinnen und Konsumenten keinen spürbaren Einfluss auf die Produktion nehmen. So steigt die Zahl der Vegetarierinnen und Vegetarier in Deutschland seit Jahren. Doch während die Nachfrage nach Fleisch hierzulande stetig sinkt, steigt die Fleischproduktion immer weiter an. Im Jahr 2016 waren es 8,25 Millionen Tonnen – so viel wie noch nie.
Der Grund für den Anstieg der Fleischproduktion trotz Nachfragerückgang ist die zunehmende Exportorientierung der hiesigen Fleischindustrie. Zwar ist der gesamte Ausfuhrwert zuletzt gesunken, das liegt aber nicht an einer geringeren Menge, sondern an gesunkenen Preisen. Während sich etwa die Schweinefleischimporte in den letzten zehn Jahren mengenmäßig praktisch nicht verändert haben, haben sich die Exporte in diesem Zeitraum fast verzehnfacht. Der überwiegende Anteil geht in andere EU-Staaten, aber auch China wird ein immer größerer Abnehmer von Fleischprodukten aus Deutschland. Während der Biospargel hierzulande immer öfter aus Fernost stammt, landen dort zunehmend die überschüssigen Fleischprodukte aus Deutschland.
Es geht um politisches Handeln und nicht um private Konsumentscheidungen
Um die klimaschädliche Fleischproduktion zu verringern, braucht es gesetzliche Regulierungen wie ein Verbot von Massentierhaltung oder höhere Mindestlöhne in der Fleischindustrie. Es geht um politisches Handeln und nicht um private Konsumentscheidungen.
Obwohl immer mehr Haushalte auf Ökostrom umsteigen, produzieren die großen Energiekonzerne weiter Kohlestrom, weil der Gesetzgeber sie lässt und sie damit gewaltige Profite machen.
Bruch mit der Kohle-, Öl- und Autoindustrie
Genauso ist es eine politische Entscheidung, ob der Staat in den Straßenausbau oder in den Schienenverkehr investiert, ob er Flugreisen subventioniert oder den öffentlichen Nah- und Fernverkehr mit der Bahn. Als vereinzelte Konsumentinnen und Konsumenten haben wir darauf keinen Einfluss. Der Appell, auf den Sommerurlaub mit dem Flieger zu verzichten, läuft ins Leere, wenn keine preiswerte Alternative mit der Bahn zur Verfügung steht. Und nicht nur durch die finanziellen Möglichkeiten sind unseren Konsumentscheidungen enge Grenzen gesetzt, sondern auch, wenn etwa der Weg zur Arbeit aufgrund mangelnder Alternativen nur mit dem Auto zu bewerkstelligen ist.
Wer die Klimakatastrophe aufhalten will, muss letzten Endes den Wachstumszwang und die Profitmaximierung der bestehenden Wirtschaftsweise in Frage stellen
Wir brauchen einen klaren Bruch mit der Kohle- und Ölindustrie und ein zügiges Umlenken vom autobetriebenen Individualverkehr hin zu einem kostenlosen öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Dafür müssen wir den Auto- und Energiekonzernen den Kampf ansagen. Die private Entscheidung, auf den eigenen PKW zu verzichten oder auf Ökostrom umzusteigen, wird ihre Macht nicht brechen. Im Konsum ist die Arbeiterklasse vereinzelt, es ist die Produktion, in der sie das Potenzial hat, ihre kollektive Macht zu entfalten. Bewusstseinsveränderung geschieht, wenn Menschen sich zusammenschließen und gemeinsam kämpfen, statt mit dem Zeigefinger auf andere und ihre »falsche« Konsumweise zu zeigen.
All das bedeutet natürlich nicht, dass wir nach dem Motto leben sollten: »Nach mir die Sintflut«. Aber auf den Appell zum bewussten und nachhaltigen Konsum zu setzen, ist als politische Strategie zum Scheitern verurteilt und letztlich ein Geschenk an die tatsächlichen Verursacher der Krise. Wer die Klimakatastrophe aufhalten will, muss letzten Endes den Wachstumszwang und die Profitmaximierung der bestehenden Wirtschaftsweise in Frage stellen und für eine demokratisch geplante Wirtschaft kämpfen, die die natürlichen Ressourcen nicht privaten Interessen im Wettbewerb überlässt: System change!
Schlagwörter: Klima, Klimabewegung, Klimakrise, Konsum, Konsumkritik