Nachdem Refugees in Berlin-Kreuzberg eine Schule besetzten und für ihr Bleiberecht protestierten, wollten die Grünen in den letzten Tagen eine Räumung durchsetzen – und errichteten nebenbei einen Polizeistaat. Doch die Bevölkerung erklärte sich mit den Geflüchteten solidarisch und verhinderte dies mit Sitzblockaden.
Seit der letzten Berlin-Wahl 2011 bin ich Bezirksverordneter für DIE LINKE in Friedrichshain-Kreuzberg. Seitdem habe ich einige Illusionen über Kommunalpolitik und die vermeintlich „progressiven“ Grünen aufgegeben, bzw. aufgeben müssen. Allerdings war das, was sich in den letzten anderthalb Wochen in Kreuzberg abgespielt hat, für mich unter den gegebenen Bedingungen unvorstellbar:
- ein innerstädtisches Gebiet, das tagelang von fast 2.000 Polizisten umstellt wird,
- dass es zu gewaltsamen Übergriffen der Polizei kommt. Letztlich muss ein Teilnehmer einer Solidaritätsdemo von Berliner Schülerinnen und Schülern wohl noch um sein Augenlicht fürchten. Mehrere Dutzend weitere Menschen haben zum Teil erhebliche Verletzungen davongetragen,
- abgesperrte Straßenzüge, Anwohnerinnen und Anwohner, die nur noch in Begleitung von Polizisten in ihre Wohnungen gelangen können.
- Ladengeschäfte, die wegen der Abriegelung vor der Pleite stehen.
- Und vor allem: Ein zynisches Spiel mit dem Leben der auf den Dach der Gerhart-Hauptmann-Schule ausharrenden Flüchtlinge.
Vordergründig scheint diese Krise mit dem „Kompromiss“ vom Abend des 2.Juni beigelegt. Positiv ist zu bewerten, dass zumindest das Räumungsersuchen des Bezirks vom Tisch ist, die Flüchtlinge in der Gerhart-Hauptmann-Schule bleiben können und Absperrungen und Polizeipräsenz fürs Erste nicht mehr das Bild des Kiezes rund um die Reichenberger Straße prägen.
Völliges Versagen der Verantwortlichen
Die politische Auseinandersetzung ist aber keineswegs beendet: Die Forderung nach einem Bleiberecht der Flüchtlinge steht nach wie vor im Raum – die jetzt präsentierte „Lösung“ verhindert nicht, dass sich die Situation jederzeit wieder verschärfen kann.
Zu guter Letzt bleibt das völlige Versagen der Verantwortlichen im Bezirk und im Berliner Senat aufzuarbeiten. DIE LINKE in Friedrichshain-Kreuzberg hat deshalb eine Sondersitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gefordert und wird gemeinsam mit den Piraten die Abwahl von Stadtrat Panhoff (Grüne) beantragen, der für das Räumungsersuchen verantwortlich war.
Ein kurzer Abriss der Vorgeschichte
Seitdem 2012 Flüchtlinge nach Berlin marschiert sind, haben sich die Besetzungen zunächst des Oranienplatzes und später der Gerhart-Hauptmann-Schule als symbolträchtige und sichtbare Ausdrucksformen des politischen Protestes der Flüchtlinge gegen die deutsche und europäische Asylgesetzgebung und -praxis etabliert. Die große Mehrheit der Bezirksverordneten hat das unterstützt – nicht zuletzt auch der größte Teil der Grünen.
Dass der Berliner SPD/CDU-Senat dem Ganzen von Beginn an nicht gerade positiv gegenübergestand und steht, ist ausreichend dokumentiert. Ein großer Teil der Verantwortung für die Entwicklung der letzten Woche ist hier zu suchen. Um die Flüchtlinge auf dem Oranienplatz zum Abzug zu bewegen, wurden Zusagen gemacht, die letztlich nicht eingehalten wurden.
Dieses Agieren der rot-schwarzen Stadtregierung führte nun schließlich dazu, dass ein Teil der Flüchtlinge dem gefundenen „Kompromiss“ zur besetzten Schule nicht vertrauen wollten und sich auf dem Dach der Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg eingerichtet hatten. Das Ausmaß der Verzweiflung und der Traumatisierung dieser Menschen wurde an den Selbstmorddrohungen deutlich, die absolut ernst zu nehmen sind. Der Berliner Innensenator Henkel (CDU) war dennoch nicht bereit, sich in der Frage des Bleiberechts für die Geflüchteten zu bewegen.
Ein Spiel mit dem Leben von Menschen
In dieser Situation ein Amtshilfeersuchen zur Räumung der besetzten Schule zu stellen, ist nicht nur politisch instinkt- und verantwortungslos, es ist das Spiel mit dem Leben von Menschen. Diese Entscheidung des Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrates Panhoff und die Tatsache, dass seine ebenfalls grünen Amtskolleginnen nicht eingeschritten sind, muss Konsequenzen haben.
Ebenso wie das Vorgehen von Sicherheitskräften gegen Unterstützerinnen und Unterstützer der Flüchtlinge und die Etablierung eines Szenerios im ehemals als „linksalternativ“ bekannten Kreuzberg, das man sonst nur aus Polizeistaaten kennt. Ich mag mir nicht vorstellen, welche Auswirkungen dies alles auf die Flüchtlinge hat, die vor Verfolgung in ihren Heimatländern geflohen sind und sich hier einer derartigen Polizeipräsenz gegenüber sehen.
Wir als LINKE in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg haben in den letzten Monaten einige Entscheidungen der grünen Bezirksmehrheit kritisiert: Die Weigerung, die hygenischen Verhältnisse in der Schule zu verbessern, das als „Geheimbeschluss“ bekannt gewordene „Daueramtshilfeersuchen“ an die Polizei, um zukünftig Besetzungen öffentlicher Flächen von vornherein zu unterbinden, bis hin zur Nichtbeachtung gefasster Beschlüsse des Plenums und der Verschiebung der aktuellen BVV-Sitzung auf Ende August.
Solidarität mit den Geflüchteten zeigen
Die Entwicklung bis zum gestrigen Abend ist indiskutabel. Jenseits des üblichen parteipolitischen Streits gilt es jetzt, alles zu tun, um die weitergehenden Forderungen der Geflüchteten politisch zu unterstützen und ihnen einen dauerhaften und sicheren Verbleib zu garantieren. Jenseits dessen fordern wir die grünen Bezirksamtsmitglieder auf, ihre politische Verantwortung wahrzunehmen und ihre Ämter zur Verfügung zu stellen. Zumindest Stadtrat Panhoff aber muss umgehend abgewählt werden, sollte er nicht selbst zurücktreten.
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