Das Tempest Collective Editorial Board hat mit David McNally die aktuelle weltpolitische Dynamik, die ökonomischen Entwicklungen und Arbeitskämpfe und die daraus folgenden Perspektiven für Sozialist:innen 2024 diskutiert. Dies ist der zweite Teil des Interviews. Den ersten Teil findest du hier
David McNally ist spezialisiert auf die Geschichte und die politische Ökonomie des Kapitalismus. Er lehrt am Department of History der University of Houston in Texas, USA und hat unter anderem folgende Bücher geschrieben:
Global Slump: The Economics and Politics of Crisis and Resistance
Monsters of the Market: Zombies, Vampires and Global Capitalism
Blood and Money: War, Slavery, Finance, and Empire
Tempest Collective: Was ist dein Blick auf den Stand des Widerstands und die Bewegungen international? Es ist toll anzusehen, wie die Palästinabewegung zur Zeit wieder entflammt. Wenn man ins Ausland reist, bekommt man den Eindruck, dass Menschen auf die Bewegung in den USA schauen und die Relevanz sehen, insbesondere wegen der Rolle der US-Regierung gegenüber Israel. Seit der Initiative des Boykotts, Divestment, Sanktionen (BDS) von 2005 wurde die Palästinabewegung immer als Feind betrachtet. Jetzt wird sie mit einer Repression konfrontiert, einer noch extremeren Form von McCarthyismus wie wir sie seit Jahrzehnten nicht gesehen haben. Was ist deine Einschätzung zur Entwicklung der Palästinabewegung, ihrem politischen Profil und den Herausforderungen, vor der sie steht?
David McNally: Die Welle von McCarthy-artiger Repression, die wir an den Universitäten, in Hollywood und an anderen Orten gesehen haben, ist erschreckend, aber sie wird nicht anhalten. Das heißt nicht, dass sie nicht gefährlich ist. Aber ich glaube, dass die Repression die ideologische Schwäche überkompensiert. Israel und die USA befinden sich gegenüber Palästina in einer Legitimationskrise. Es zeigen sich aktuell Merkmale einer Vietnambewegung, eine Abfolge von Ereignissen, die zu starken sozialen Unruhen in den USA und anderswo führen können.
Die Symptome sind sehr klar ersichtlich. Beginnen wir mit dem Ausmaß der Mobilisierung. Ich gehe schon seit mehr als 50 Jahren auf Demonstrationen. Im November letzten Jahres habe ich an der größten Demonstration meines Lebens teilgenommen. In London war ich in Solidarität mit Palästina mit mindestens 600.000 Menschen auf der Straße. Ein paar der Organisator:innen haben von 800.000 gesprochen. Ich war noch nie mit 600.000 Menschen auf der Straße. Allein das sagt uns schon so einiges.
Eine nicht geringe Anzahl von Angestellten von Präsident Biden haben vorm Weißen Haus maskentragend gegen die US-Unterstützung für den Krieg gegen Gaza protestiert. Beschäftigte des Welternährungsprogramms haben einen Protestbrief gegen den Krieg an ihren Boss geschickt – ein von der US-Regierung auf diesen Posten gesetzter Vasall. BBC Journalist:innen haben einen offenen Brief geschrieben, in dem sie die vorverurteilende Berichterstattung gegenüber Palästinenser:innen durch die BBC anprangern. Große Gewerkschaften, wie die UAW (United Auto Workers of America) und die Postgewerkschaft in den USA fordern einen sofortigen Waffenstillstand. Während des Vietnamkrieges hat es fünf oder sechs Jahre gedauert, bis sich überhaupt eine große Gewerkschaft gegen den Krieg ausgesprochen hat. Das sind Anzeichen für das Zerbrechen des vorherrschenden Zionismus.
Israel und die USA befinden sich gegenüber Palästina in einer Legitimationskrise. Es zeigen sich aktuell Bestandteile einer Vietnambewegung, eine Abfolge von Ereignissen, die zu starken sozialen Unruhen in den USA und anderswo führen können.
Das ist einer der Gründe, weshalb die Pro-Israel Kräfte derzeit so virulent sind. Sie wissen, dass sie die Unterstützung der jüdischen Jugend verlieren. Organisationen wie die »Jewish Voice for Peace« (JVP) spielen hier eine wichtige Rolle. Was hier entsteht, ist ein Generationenkonflikt, wie wir ihn im Vietnamkrieg auch gesehen haben. Es gibt Millionen von jungen Menschen, die in Totalopposition zur eigenen Regierung sind. Wie vorher schon gesagt, dieser Bruch zeigt sich auch auf ziemlich hohem institutionellem Niveau: im Weißen Haus bei Angestellten von Biden, dem Auswärtigen Amt und beim Welternährungsprogramm. Dies sind große Erfolge und sie passieren viel früher als während des Vietnamkrieges. Ein Grund dafür ist die seit Jahren stärker werdende Kampagnen der Palästinasolidarität – die BDS-Kampagne, die Students for Justice in Palestine-Gruppen an den Universitäten und viele mehr.
Wir haben eine Art stufenweiser Veränderung gesehen, die jetzt angesichts des Genozids an Fahrt aufnimmt. Das ist ein großes Problem für die herrschende Klasse. Biden benutzt jetzt ein Wort, das die New York Times vor 30 Jahren noch zensiert hat, als Thomas Friedman (gerade der) das Wort »indiscriminate« (deutsch: »unterschiedslos«) in einem New York Times-Bericht zur Beschreibung der Bombardierung im Libanon verwendet hatte. Die Herausgeber hatten das Wort damals gestrichen. Sie wollten das nicht in ihrer Zeitung sehen. Und jetzt benutzt Biden genau diesen Begriff und spricht in Bezug auf Gaza selbst von »unterschiedsloser Bombardierung« durch Israel. Und das aus einem Grund: Sie lesen die Umfrageergebnisse und wissen, dass sie die Unterstützung der jungen Menschen verlieren und speziell die der jungen arabischstämmigen US-Amerikaner:innen. Ich glaube, dass wenn irgendetwas Bidens Wiederwahl verhindern kann, dann wird das seine Haltung zu Palästina sein. Der Verlust der Jugend und der Arab-Americans wird ihn sehr hart treffen.
Wir sollten uns daran erinnern, dass der Protest von 1968 während des Parteikongresses der Demokratischen Partei in Chicago stattfand. Soziale Bewegungen haben gegen einen Präsidenten der Demokraten mobilisiert, der einen imperialen Krieg in Vietnam anführte. Am Anfang vielleicht unbewusst, haben die Biden-Demokraten mit ihrer Unterstützung für den Genozid in Gaza diese Art von Dynamik wieder in Gang gesetzt. Und jetzt fangen sie an zu erkennen, was sie da losgetreten haben. Sie sehen sich jetzt mit einem Problem konfrontiert, dass, wenn beide großen politischen Parteien eine völlig andere Haltung zu diesem Krieg haben, wie Millionen von jungen Menschen, ein großer sozialer und politischer Freiraum entsteht. Dieses Vakuum wurde in den 1960er und frühen 1970er Jahre durch soziale Bewegungen ausgefüllt.
Die sozialen Bewegungen, die es zur Zeit gibt, sind dieser Aufgabe jedoch noch nicht gewachsen. Wir brauchen eine viel stärkere Massenmobilisierung und Organisierung. Und wenn diese Bewegung weitergeht – und das ist immer noch ein wenn – glaube ich an die Möglichkeit einer viele Jahre anhaltenden sozialen Bewegung und Mobilisierung für Palästina. Interne Dokumente zeigen, dass das israelische Kriegskabinett ein weiteres Jahr Krieg in Gaza plant. Es könnte sein, dass diese Pläne scheitern, aber sie diskutieren offen die Vertreibung von zweieinhalb Millionen Menschen auf die Sinai Halbinsel oder sogar in den Süden Libanons. Egal was passiert, wir werden in den nächsten Monaten Wellen von Epidemien in Gaza beobachten. Das ist das Resultat der Zerstörung von Wasserversorgung und Gesundheitsinfrastruktur.
Es könnte also sein, dass wir mit einer langanhaltenden globalen Mobilisierung für die Solidarität mit Palästina rechnen müssen. Wenn das zutrifft, sollten wir uns anschauen, wie die Organisierung einer solchen langen sozialen Bewegung – wie z.B. die Bürgerrechtsbewegung – ausgesehen hat. Während Dr. Martin Luther King auf nationalem Niveau in der Southern Christian Leadership Conference (SCLC) eine wichtige Position eingenommen hat, haben King und der SCLC Mitte der 1960er bei der Basisorganisierung keine wichtige Rolle gespielt. Führend bei der Organisierung des »Freedom Summer«, der Wählerregristrierungskampagnen etc. war das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC). Der SNCC wuchs explosionsartig. Er wurde zum Dreh- und Angelpunkt sowohl in der Bürgerrechtsbewegung, wie auch in der Anti-Vietnamkriegsbewegung. Eine Zeitlang wurde auch der Congress of Racial Equality zum Träger der Bewegung und spielte eine zentrale Rolle in der Organisierung.
Das heißt, mit anderen Worten, dass sich eine Bewegung in ihren Organisationsformen immer neu erfindet. Wir sollten also nicht von der Annahme ausgehen, dass die aktuellen Organisationsstrukturen in Stein gemeißelt sind. Wenn diese Bewegung weiter wächst, wird notwendigerweise eine Bündnisstruktur entstehen, in der sich Gewerkschaften, Glaubensgemeinschaften, Student:innenorganisationen, dissidente Wissenschaftler:innen und Organizer:innen versammeln können.
In der Auseinandersetzung um Palästina wird eine »Befriedung«, wie es beim BLM-Aufstand gab, nicht so schnell möglich sein.
Ich habe das bereits in Toronto beobachtet. Ursprünglich ging die Organisierung der Palästinasolidarität von einer einzigen Jugendorganisation in Toronto aus. Aber schnell entstand ein Bündnis aus Gewerkschaften, migrantischen Bürgerrechtsorganisationen, Student:innenvereinigungen, Glaubensgemeinschaften und Künstler:innenvereinigungen. Ergebnis dieses Bündnisprozesses war, dass die Demonstrationen von 5.000 auf 50.000 wuchsen. Hier werden Konflikte entstehen, insbesondere weil Gewerkschaftsführungen gerne aus ihren Hinterzimmern versuchen, die Kontrolle zu behalten.
Das ist die Herausforderung. Wird es uns in den kommenden Monaten gelingen, Visionen und Strategien zu entwickeln und dazu beizutragen, dass ein neuer, breiter und basisorientierter Kampagnenrahmen entsteht? Wenn wir das schaffen, dann birgt das in einem Land wie den USA das Potential der Entstehung einer Bewegung, die Millionen umfasst. Eine solche Entwicklung ist etwa in Großbritannien bereits erkennbar. Wie ich schon sagte, war ich mit 600.000 oder mehr in London auf der Straße. Massendemos fanden am gleichen Tag auch in Manchester, Glasgow und anderen Städten statt.
Ich glaube aber auch, dass wir vor großen Herausforderungen stehen – zum einen, weil unsere Protestinfrastrukturen durch jahrzehntelangen Neoliberalismus am Boden liegen, zum anderen, weil wir daran denken müssen, dass die Bewegungen, die die Linke in den 1960er-Jahren in den USA wieder aufbauten, erst nach der McCarthy-Ära entstanden. Sie entstanden aus der Zerschlagung der alten Linken. Es ist also möglich, sich neu aufzubauen und neu zu erfinden, aber das ist auch eine große Herausforderung vor der wir stehen. Ich will nicht die Schwierigkeiten kleinreden. Sie sind real. Aber ich will auch nicht, dass die Leute das Potential einer Massenorganisierung unterschätzen, wie wir sie zum Beispiel bei Black Lives Matter (BLM) und bei den Aufständen nach George Floyd gesehen haben. Diese Bewegung war leider zu kurzlebig für die Entwicklung einer neuen starken Massenorganisation.
In der Auseinandersetzung um Palästina wird eine »Befriedung«, wie es beim BLM-Aufstand gab, nicht so schnell möglich sein. Den Demokraten war das dort gelungen. Barack Obama hat mit LeBron James gesprochen und damit dem Streik der Basketballer beendet. Sie wollten keine weiteren Spielstreiks – aus Angst, dass das die Wahlkampfkampagne von Biden behindern könnte. Sie haben ein Ende der Streiks erreicht, weil sie versprochen haben, dass in Basketballstadien Wählerregistrierungen stattfinden würden. Die Demokraten können das in Bezug auf Palästina nicht wiederholen. Sie können weder Obama, Biden noch irgendeinen anderen Demokraten schicken, um die Bewegung zu stoppen. Die Gefahr eines Völkermords ist zu groß. Eine der strategischen Diskussionen, die wir in der Linken in den USA in den kommenden Monaten führen müssen, ist, wie wir diesen breiten Rahmen und Bündnisse für die Palästinasolidarität und Mobilisierung schaffen können. Die Gelegenheit ist da.
Tempest Collective: Während sich die Demokratische Partei zunehmend diskreditiert, findet zeitgleich national und international das Wiedererstarken der extremen Rechten statt. Die Diskreditierung und Schwächung der Unterstützung von Biden hatte schon vor dem 7. Oktober begonnen, also vor der bedingungslosen Unterstützung des Völkermords durch die Demokraten. Es ist der extremen Rechten gelungen, sich als einen mächtigen Gegenpart zum problematischen Vorgehen des Establishments – dem Sumpf – wie sie es nennen, zu verkaufen. Und es ist längst nicht nur Trump, sondern etwa auch Javier Milei in Argentinien. Die extreme Rechte präsentiert sich überall als Player – und der Linken gelingt genau das nicht.
David McNally: Ihr habt vollkommen recht, das zu betonen. Die politische Initiative – insbesondere im Wahlkampf – ging von den Rechten, und in einigen Fällen – und das ist besonders erschreckend – von der extremen Rechten aus. Es wäre fatal, wenn wir das als sozialistische Linke unterschätzen oder gar verharmlosen würden. Denn was sie versuchen zu tun – und in einigen Fällen mit Erfolg – ist die Wut der Arbeiter:innenklasse auf die Bosse auf die unterdrückten Schichten der eigenen Klasse abzulenken.
Das ist eine Dynamik, die wir kennen. Wir können auf großartige Texte aus den 1970er Jahren schauen, etwa einen aus »Policing the Crisis« von Stuart Hall et.al., in dem es heißt: »Hört zu, sie versuchen uns die ökonomische Krise des Kapitalismus als eine Frage der Kriminalität und zu wenig Polizei zu verkaufen. Sie attackieren People of Color als Verursacher der sozialen Krise. Und wenn wir dem nichts entgegenhalten, haben wir ein Problem.«
Ein Aspekt des Problems war, dass frühere Formen von Klassensolidarität nicht mehr funktionierten. In einigen Fällen wurden sie institutionell zerstört. Und wir müssen uns immer die Taktik klarmachen, dass der Erfolg des Neoliberalismus auf der Zerstörung von gewerkschaftlichen Strukturen beruht und so weiter funktioniert. Margaret Thatcher in Großbritannien war bewusst, dass die National Union of Mine Workers (Nationale Minenarbeitergewerkschaft) verlieren musste, damit der Neoliberalismus sich durchsetzen kann. Und wenn du die Solidarität der Arbeiter:innenklasse brechen wolltest, mussten die Minenarbeiter verlieren. In Bolivien waren das die Zinnminenarbeiter, wahrscheinlich die militanteste Gewerkschaft in ganz Südamerika. 1985 wurden Tausende von ihnen auf einer Demonstration von der Armee angegriffen.
Weniger dramatisch, aber ebenso signifikant war die Zerschlagung des Fluglotsenstreiks in den USA durch Ronald Reagan. Wenn die Organisationen und Gewerkschaften, die die institutionelle Basis der Solidarität der Arbeiter:innenklasse ausmachen, zerschlagen oder dezimiert werden, dann suchen sich die Menschen individuelle Wege zu überleben. Es sei denn, eine andere Form von Organisierung von links füllt dieses Machtvakuum. Und das führt zu Wettbewerb und Rivalität, statt zu Kooperation und Solidarität.
Die Wahlarena ist eine besserer Ort für die Rechten, weil sie nicht die Institutionen des kapitalistischen Systems angreifen.
Die extreme Rechte arbeitet weiter mit diesen Spaltungsmechanismen. Ihre Botschaft ist: Wenn ihr individuell weiterkommen wollt, dann helfen wir euch, indem wir euch höher bewerten als die »Schwachen«, die wegen den »Handouts« durch die liberalen Eliten in der Form von Antidiskrimierungsprogrammen (affirmative action), Diversität, Gleichheit, Inklusion, Wohlfahrtsprogrammen, Verharmlosung von Verbrechen etc. aufsteigen konnten. Das wird so weitergehen, bis die Reorganisation von großen Teilen der Arbeiter:innenklasse durch Gewerkschaften und anderen Organisationen durch kollektive Projekte und kollektive Organisationsformen gelingt.
Wie ich bereits gesagt habe, verbreitet sich die Palästinasolidarität auch an den Arbeitsplätzen. Starke soziale Bewegungen können eine sehr wichtige Rolle spielen. Auch wenn sie nicht die kollektive Ausrichtung von Gewerkschaften haben, führen sie zu einer neuen kollektiven Solidarität. Sie werden zum Auslöser einer neuen politischer Identifikation und damit Politisierung. Die Vorstellung, dass Massenaktionen erfolgreich sein können, führt zu anderen Arten von Organisierung – wie Organizing in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz.
Als Sozialist:innen müssen wir versuchen mit den kleinen Pflänzchen zu arbeiten, die sich durch Organizing am Arbeitsplatz und der Gewerkschaft entfalten. Es ist extrem wichtig, sie zu fördern und zu unterstützen. Aber wir müssen auch erkennen, welche wichtigen Kanäle sich auftun, die zu einer noch größeren und mächtigeren Organisierung führen können, weil nur diese die jungen Arbeiter:innen und insbesondere Workers of Color anzieht.
Wenn es uns gelingt eine breite, massenhafte Palästinasolidaritätskampagne von unten aufzubauen, wird diese alles durchdringen. Es bedeutet nicht, dass die extreme Rechte bei Wahlen keine Rolle mehr spielen wird, aber ein Grundsatz ist strategisch für die Linke: Die Wahlarena ist für uns nicht ein so günstiges Feld wie für die Rechte. Die Wahlarena ist eine besserer Ort für die Rechten, weil sie nicht die Institutionen des kapitalistischen Systems angreifen. Für uns ist sie sehr ungünstig, weil die Linke zurückstecken und Kompromisse eingehen muss, wenn sie ins Staatsgefüge vordringt, selbst in den gewählten Strukturen. Natürlich können durch soziale Massenbewegungen starke Gegengewichte entstehen, ich sage also nicht, dass innerhalb der Wahlarena die Macht nicht angegriffen werden soll. Aber eins haben wir gesehen: Wenn die von der Linken unterstützten gewählten Repräsentant:innen nicht in sozialen Bewegungen verwurzelt sind, die ein Gegengewicht ausüben, passen sie sich an – und das kann schlimme Folgen für uns haben.
Im Moment müssen die Wahlambitionen der Rechten mit allen Mitteln bekämpft werden. Aber wenn wir – als Beispiel – den Angriff auf reproduktive Rechte in den USA stoppen wollen, sollten wir nicht darauf fokussieren, dass demokratische Kandidat:innen gewählt werden. Stattdessen müssen wir eine Massenbewegung für reproduktive Rechte aufbauen. Das haben wir woanders bereits gesehen und es wird auch in den USA geschehen – genau wie in den 1970ern – wo der Kampf für reproduktive Rechte gewonnen wurde.
Soziale Massenbewegungen schaffen eine andere Art von Politik. Durch sie erfahren die Menschen eine Politik, die sich nicht den Clintons dieser Welt unterordnet. Wir werden niemals die Arbeiter:innenklasse für uns gewinnen, wenn wir ihr als Zukunftsperspektive eine technokratische Elite wie Biden etc. anbieten, die ihr ganzes Leben in der politischen Maschinerie der Demokratischen Partei gewesen sind.
Wir werden nichts erreichen und letztendlich verlieren, wenn wir uns auf so etwas verlassen würden. Die wirkliche Herausforderung für uns ist, ein massenhaftes Gegengewicht und eine politische Perspektive zu schaffen, die eine andere Art von Politik, von Organizing und des Kampfes vorwegnimmt. Das wird unausweichlich Nebeneffekte bei den Wahlen hervorbringen. Wie z.B. die Mississippi Freedom Democratic Party oder die Peace an Freedom Party, die sich mit der Black Panther Party in Kalifornien zusammengetan haben. Es wird neue Parteigliederungen geben, aber im Moment muss die Schaffung einer linken Kraft in der Politik priorisiert werden, die eine Gegenmacht zu den Rechten darstellt. Letzten Endes brauchen wir linke Massenbewegungen, um das zu erreichen. Wir müssen wieder die Mobilisierung auf der Straße, in den Nachbarschaften und am Arbeitsplatz als den Schlüssel für Erfolg sehen. Es gibt mit der Palästinabewegung eine Öffnung dafür. Ich hoffe, dass wir diese Chance nicht wieder vermasseln.
Dieser Beitrag ist zuerst auf Englisch bei Tempest – A Revolutionary Socialist Collective erschienen. Übersetzung ins Deutsche von Silvia Habekost.
Schlagwörter: Palästina, USA