In der Partei DIE LINKE kursiert ein Aufruf „Ihr sprecht nicht für uns“. Dieser Aufruf legt den Bundestagsabgeordneten Annette Groth, Heike Hänsel und Inge Höger den Rücktritt nahe. Anlass sind die Konflikte um den Auftritt der israelkritischen Journalisten David Sheen und Max Blumenthal. Dieser Aufruf ist schädlich, spaltet die Partei und wird den Herausforderungen für die LINKE durch die Eskalation der Lage in Nahost in Ostjerusalem nicht gerecht.
Der Hauptvorwurf an die Bundestagsabgeordneten lautet, sie hätten mit Sheen und Blumenthal Leute eingeladen „die unzulässige Vergleiche Israels mit der deutschen Nazidiktatur“ ziehen. Dazu wird behauptet, dass die genannten Abgeordneten „durch Schürung obsessiven Hasses auf und der Dämonisierung von Israel antisemitische Argumentationsmuster und eine Relativierung des Holocausts und der deutschen Verantwortung für die millionenfache Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden befördern.“
Dass diese Vorwürfe sachlich falsch sind, davon konnten sich die Gäste der kurzfristig verlegten Veranstaltung mit Sheen und Blumenthal überzeugen. Hier berichteten die Journalisten fundiert und sachkundig von einem gefährlichen Rechtsruck in der israelischen Gesellschaft. Wie jüngste Studien belegen, gibt es in Israel einen Aufschwung des Rassismus sowohl gegenüber Arabern als auch gegenüber nicht-weißen jüdischen Zuwanderern. Die harte religiöse Rechte prägt zunehmend das gesellschaftliche Klima. Sie hetzt gegen Andersdenkende und Andersgläubige und organisiert zum Beispiel Demonstrationen gegen interreligiöse Heirat.
Der Ton von Seiten der Rechten hat sich deutlich verschärft: Im August forderte Moshe Feiglin, immerhin stellvertretender Vorsitzender der Knesset, in einem Brief an den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu die endgültige Vertreibung der arabischen Bevölkerung aus dem Gazastreifen, die völlige militärische Zerstörung des gesamten Gebietes und die Umwandlung von Gaza in israelisches Staatsgebiet, also die Annexion. In Feiglins Worten: „Ein Haar auf dem Kopf eines israelischen Soldaten ist kostbarer als die ganze Bevölkerung von Gaza, die Hamas gewählt hat“. Miri Regev, die heutige Vorsitzende des Innenausschusses, bezeichnete 2012 sudanesische Flüchtlinge als „Krebs“ der Gesellschaft.
Solche extremen Stimmen gab es in der israelischen Gesellschaft immer. Die Journalisten David Sheen und Max Blumenthal haben aber darauf hingewiesen, dass sie zunehmend Gehör finden, insbesondere unter jüngeren Israelis.
Die Darstellung dieser Sachverhalte ist nicht antisemitisch. Auch zu benennen, dass die extreme Rechte in Israel sich gegenüber den Palästinensern teilweise eines Jargons bedient, aus dem Vernichtungsfantasien sprechen, ist nicht antisemitisch. Sondern schlichte Tatsache. Hass schüren nicht kritische Journalisten oder linke Bundestagsabgeordnete, sondern die Politik der israelischen Regierung.
Dies wird auch zunehmend so wahrgenommen. Weltweit gibt es Empörung über Tod und Zerstörung in Gaza. Das Unterhaus in Großbritannien und das schwedische Parlament haben erst kürzlich Palästina als Staat anerkannt. Die Untergrabung jeder Selbstbestimmung der Palästinenser durch den fortgesetzten Siedlungsbau ist so eklatant, das selbst die US-Regierung und einige EU-Staaten kritische Worte äußern.
Natürlich versucht die zunehmend isolierte israelische Regierung, ihre Kritiker mundtot zu machen. Sie behauptet, hinter konkreten Kritikpunkten stecke Judenhass. So wurde einer Kommission des UN-Menschenrechtsrats, welche die Situation in Gaza untersuchen wollte, die Einreise verweigert. Begründung: Der Vorsitzende William Schabas, kanadischer Professor für internationales Recht, pflege eine „zwanghafte Feindschaft gegen Israel“. Schabas hatte die israelische Regierung in der Vergangenheit mehrfach auf Basis des Völkerrechts kritisiert, immer in Einklang mit den einschlägigen UN-Resolutionen.
Das Motiv der israelischen Regierung ist die propagandistische Begleitung ihrer fortgesetzten Entrechtungspolitik gegenüber den Palästinensern. Doch eine linke Partei, die für sich in Anspruch nimmt, auf der Seite der Unterdrückten und Entrechteten zu stehen, sollte sich diese Argumentation nicht zu eigen machen.
Vor allem sollte ihr führendes Personal, in diesem Falle Petra Pau und Gregor Gysi, nicht aktiv versuchen, den Kritikern der israelischen Politik einen Maulkorb zu verpassen und ihre Auftritte zu unterbinden – wie im Falle von Sheen und Blumenthal geschehen. Von daher ist auch der Beschluss der Linksfraktion, in Zukunft nicht mit Sheen und Blumenthal zu kooperieren, ein falsches Signal und stärkt den Eindruck, dass die Solidarität der LINKEN mit den Unterdrückten sich nicht auf die Palästinenser erstreckt.
Keine Frage, die Verfolgung von Gregor Gysi durch die wütenden und enttäuschten Journalisten war kontraproduktiv. Sie hat die Kritiker der israelischen Politik in der LINKEN zumindest kurzfristig geschwächt und die Propagandisten Israels gestärkt. Auch stellt sich die Frage, ob die Wahl des Veranstaltungsdatums nicht dem Anliegen geschadet hat. In jedem anderen Land der Welt wäre eine israelkritische Veranstaltung am 9. November unkontrovers. In Deutschland wird am 9. November aber der Reichspogromnacht gedacht – eine Veranstaltung mit Kritik an der israelischen Regierung zu diesem Datum wirkt deshalb wie eine gezielte Provokation, auch wenn dies selbstverständlich nicht so gemeint war.
Trotzdem bleibt aber festzuhalten, dass das eigentliche Problem die Politik des Staates Israels ist und deren Rechtfertigung auch aus den Reihen der LINKEN.
Dabei könnte die LINKE durchaus eine produktive Rolle spielen in der weltweiten Kampagne gegen die Unterdrückung der Palästinenser. LINKE-Gliederungen und Unterstützer haben sich, vor allem in Nordrhein-Westfalen und Berlin solidarisch an den Protesten gegen den Krieg gegen die Bevölkerung in Gaza beteiligt – und durchweg positive Resonanz in der palästinensischen und arabischen Community gefunden.
Mit einer wahrnehmbaren Kritik am Siedlungsbau kann die LINKE ganz konkret aufzeigen, wer die Eskalation in Nahost zu verantworten hat. So würde die Partei auch verlorenen Kredit unter den vielen Aktivistinnen und Aktivisten, die das Leid der Palästinenser bewegt, wiedergewinnen. Das ist wesentlich produktiver als der Versuch der Initiatoren des Aufrufs „Ihr sprecht nicht für uns“, den Nahostkonflikt zu instrumentalisieren um eine parteiinterne Schlacht gegen den linken Flügel auszutragen.
Foto: Stephen D. Melkisethian
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