Hunderte Künstler:innen und Kulturschaffende zeigen sich mit dem Aufruf »Klimaschutz ist kein Verbrechen!« solidarisch mit den Protesten der Gruppe »Letzte Generation«. Wir sprachen mit dem Mitinitiator und Theaterdramaturgen Lothar Kittstein über die Notwendigkeit von Zivilem Ungehorsam und warum die Kunst angesichts der planetaren Krise dabei nicht schweigen darf
marx21.de: Du hast den Aufruf »Klimaschutz ist kein Verbrechen« mitinitiiert. Worum geht es dabei?
Lothar: Angesichts der Hetzte gegen die Proteste für nachhaltigen Klimaschutz der »Letzten Generation« wollten wir als Künstler:innen und Kulturschaffende ein öffentlichen Zeichen setzen.
Und das wäre?
Wir sagen: Ziviler gewaltfreier Widerstand gegen die Klimanotlage ist legitim und notwendig und verdient unsere solidarische Unterstützung.
Was waren deine persönlichen Beweggründe den Aufruf zu starten?
Für das Theater Bonn habe ich ein Stück über radikalen Klimaprotest, »Recht auf Jugend«, geschrieben. In der Recherche trafen wir Menschen von der »Letzten Generation«, und im Lauf der Arbeit sprachen wir mit immer mehr Theaterleuten und Menschen aus der Bildenden Kunst über das Thema. Wir stellten fest, dass es viel Sympathie gab.
Wir verstehen Kunst politisch
Aber die Kunst insgesamt blieb öffentlich still. Parallel gab es immer mehr Hetze und Häme in den Medien, es wurde von einer »grünen RAF« gesprochen, Politiker:innen überboten sich im Wunsch nach Strafverschärfungen wie beispielsweise der Präventivhaft für Klimaschützer:innen. Wir beschlossen, dass es Zeit für ein öffentliches Zeichen war und starteten den Aufruf »Klimaschutz ist kein Verbrechen«
Warum sollte sich die Kunst dazu positionieren?
Wir verstehen Kunst politisch und sehen sie in der Pflicht, gesellschaftlich zu intervenieren. Aber davon abgesehen: Wir sind nicht zuletzt als Künstler:innen selbst von der Klimakatastrophe betroffen, die auch gesellschaftliche Freiräume bedroht, die für künstlerisches Arbeiten nötig sind.
Repression gegen Klimaproteste
Nach dem Lahmlegen des BER-Flughafens durch die Klimaaktivist:innen schrieb der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf Twitter: »Hallo Justizminister! Hallo Innenministerin! Sperrt diese Klima-Kriminellen einfach weg!« und Bundesjustizminister Marco Buschmann forderte »die volle Härte des Gesetzes«. Was ist daran falsch?
Persönlich dachte ich nach der Äußerung von Scheuer spontan: Jemand, der so viele Millionen fahrlässig für die verbockte PKW-Maut verschwendet hat, sollte bei Rufen nach Gefängnisstrafen vorsichtig sein. Aber Straffantasien sind immer reaktionär.
Inwiefern?
Letztlich zeigen solche Äußerungen nur Hilflosigkeit. Gerade der Bereich, den Scheuer jahrelang verantwortet hat, ist ja im Klimaschutz am wenigsten vorangekommen. Law-and-Order-Rufe dienen nur der Verdrängung der Tatsache, dass die Demokratie in ihrer kapitalistischen Form an eine Grenze gekommen ist, nämlich an die planetare Grenze des Wirtschaftens. Es gibt keine neuen Märkte mehr, mit deren Eroberung die aktuellen Krisen abgefedert werden könnten. Der Kapitalismus hat den Planeten gänzlich durchdrungen, er frisst ihn mit Haut und Haar (Lies hier den marx21-Artikel: Klimaschutz – Ist grünes Wachstum die Lösung?). Letztlich sind die autoritären Zwischenrufe von rechts das Pfeifen im Walde von Leuten, die längst ahnen, dass sich etwas grundlegend ändern muss. Sie wollen es nur nicht wahrhaben.
Der AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla forderte sogar den Verfassungsschutz auf, im Fall der »Letzten Generation« aktiv zu werden. Was denkst du darüber?
Solche Äußerungen von ganz rechts sind vorhersehbar. Der Präsident des Verfassungsschutzes, Haldenwang, hat unlängst selbst gesagt, dass die »Letzte Generation« nicht verfassungsfeindlich sei, was auch vollkommen richtig ist: Die Bewegung stellt keine Systemforderungen, sondern appelliert durch genau gezielte, gewaltlose Grenzüberschreitungen an die Verantwortlichen innerhalb des Systems. Abgesehen davon ist die Forderung einer verfassungsfeindlichen Partei, als die ich die AfD ansehe, nach dem Verfassungsschutz natürlich sowieso ein schlechter Scherz.
Wie viele Aktive der »Letzten Generation« sind zur Zeit im Gefängnis?
Das ändert sich täglich, wenn man den Kurzzeitgewahrsam mit einbezieht. Die in Bayern nach dem skandalösen Polizeiaufgabengesetz für Wochen inhaftierten Aktivist:innen sind wieder frei. Es bleibt abzuwarten, wie viele in der kommenden Woche erneut eingesperrt werden, wenn die Blockaden in München, wie angekündigt, erneut losgeht. Insgesamt wird der Staat den Widerstand der »Letzten Generation« durch Haft nicht brechen, weil Strafen ja Teil des Kalküls der Protestierenden sind. Wer tatsächlich entschlossen ist, Widerstand gegen eine Katastrophe zu leisten, die nach den Worten des Klimaforschers Johann Rockström die Existenz der menschlichen Zivilisation in ihrer jetzigen Form bedroht, den werden ein paar Wochen Haft nicht abschrecken.
Das Amtsgericht in Freiburg hat einen junger Mann der sich im Frühjahr 2022 an drei Straßenblockaden beteiligte, bei denen es unter anderem zu 18 km Stau auf der Autobahn kam, in allen Anklagepunkten freigesprochen. Gibt es noch weitere Beispiele richterlichen Entscheidungen, die friedlichen zivilen Widerstand im Klimanotfall für juristisch Angemessen bewerten?
Es gibt mindestens einen Freispruch am Amtsgericht Berlin Tiergarten, der mir wichtig scheint, weil er die Klimanotlage, in der wir uns bereits befinden, als Begründung für den Protest anerkennt und auch den Zusammenhang einer Protestform, die in den fossil angetriebenen Individualverkehr eingreift, mit dem Ziel des Protests berücksichtigt. Im Hintergrund steht möglicherweise auch die verfassungsrechtliche Erwägung, dass die derzeitige Klimapolitik den Ansprüchen des GG bezüglich Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen für kommende Generationen nicht gerecht wird, aber im engere Sinne verfassungsrechtlich argumentiert bisher m.W. kein Gericht.
»Klimaschutz ist kein Verbrechen« und die Gerichte
Freisprüche auf der einen und Präventivhaft auf der anderen Seite: Wie erklärst du dir die unterschiedliche Rechtssprechung?
Das Phänomen der Straßenblockade in dieser Form ist neu. Neu ist aber auch das Ausmaß der Klimakrise als Gegenstand des Protests. Klimaschutz kann man ja nicht als ideologisches Partikularziel abtun. Beim Klima gibt es wissenschaftlich nur eine akzeptierte Meinung, und auch die kurzfristige Dringlichkeit der Krise ist Konsens. Ebenso ist Konsens, dass die Regierungspolitik bisher zu kurz greift, insofern sie die eigenen Klimaziele verfehlen wird. Juristisch galt bisher der Gedankengang, dass man ein persönliches politisches Fernziel, auch wenn es lobenswert ist, nicht durch Nötigung anderer verfolgen darf.
Die Politik will von der Klimakrise ablenken
Ein alle gesellschaftlichen Widersprüche überwölbendes Fernziel wie die Abwendung der Klimakatastrophe, das zugleich aber – da wir die Auswirkungen jetzt schon spüren – ein Nahziel ist, ist für diese Rechtsprechung eine Herausforderung. Die Justiz muss Neuland beschreiten, daher wird es dauern, bis sich eine einheitliche Linie herausgebildet hat. Letztlich spiegelt die unterschiedliche Rechtsprechung aber die Unfähigkeit einer bürgerlichen Gesellschaft, sich mit den Widersprüchen auseinanderzusetzen, in die sie sich durch das Beharren auf dem Wirtschaftsprinzip des Wachstums selbst notwendig verstrickt.
Warum hetzen Teile der Konservativen und auch die Liberalen so vehemmt gegen die Aktionen der »Letzten Generation«?
Bürgerliche Politik insgesamt möchte die Klimadebatte als Ablenkungsdiskussion führen, um von systemischen Fragen abzulenken. Die Klimakrise zeigt seit Jahren immer aufs Neue, dass das kapitalistische Wachstumsprinzip notwendig zur Zerstörung führt – es erzeugt eine Krise, die nicht mehr ausgelagert werden kann, weil ihre Ausmaße planetar sind. Für diese Krise zahlen die Schwächsten, die am wenigsten dafür können, den höchsten Preis. Das möchte die Politik nicht wahrhaben, weshalb der radikale Protest dafür genutzt wird, von den eigentlichen Fragen abzulenken, die sich auf die Veränderung der Produktionsverhältnisse richten müssten. Der Streit um die »Letzte Generation« und die teils hysterischen Einlassungen konservativer Politiker:innen zur angeblich entstehenden »grünen RAF« sind insofern auch ein Zeichen dafür, dass Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft unter dem Druck der selbstverschuldeten Klimakrise jetzt aufbrechen.
Was bedeutet für dich Klimagerechtigkeit?
Klimaschutz ist ein unpolitischer Begriff. »Klimagerechtigkeit« dagegen anerkennt, dass die Industrienationen eine Krise verursacht haben, für die zuallererst die armen Länder zahlen müssen. Klimagerechtigkeit bedeutet, dass man nicht einfach »die Menschen« schützen muss, sondern dass die reichen Staaten eine besondere Verantwortung tragen und dieser gerecht werden müssen. Klimagerechtigkeit bedeutet, dass wir, bevor wir afrikanischen Staaten erklären, dass sie kein Erdgas fördern sollen, selbst ernsthaft anfangen, unsere Wirtschaft zu dekarbonisieren – während in der jetzigen Energiekrise das genaue Gegenteil geschieht. Natürlich bedeutet Klimagerechtigkeit auch, dass Ausgleichszahlungen für Klimaschäden geleistet werden müssen. Auf der COP27 ist dafür ein Mechanismus beschlossen worden, bezüglich dessen Umsetzung man aber skeptisch sein muss. Denn die bisher schon zugesagten Gelder für ärmere Länder sind ja auch nie in der versprochenen Höhe gezahlt worden.
Wenn du dich entscheiden müsstest: Das Programm der Grünen oder der LINKEN zum Klimaschutz?
Ich kenne beide Programme nicht im Detail und kann sie nicht vergleichen.
Laut Carbon Majors Report sind seit 1988 nur rund 100 Konzerne verantwortlich für mehr als 70 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Wie denkst du darüber?
Ein »Erfolg« bürgerlicher Politik war in den letzten Jahrzehnten, dass es lange gelungen ist, den Klimaschutz als Verantwortung der Individuen hinzustellen. Bekanntlich hat ausgerechnet BP die Idee eines »C02-Fußabdrucks« für eine große Werbekampagne genutzt, weil dadurch jeder verführt wird, das Problem im eigenen, persönlichen Konsum zu suchen. Dabei müssen die großen Hebel umgelegt werden, und natürlich betrifft das auch große Verschmutzerkonzerne, die meiner persönlichen Ansicht nach im Zweifel zerschlagen oder ganz einfach enteignet und anschließend liquidiert werden müssten. Ein wichtiger Aspekt des Protests der »Letzten Generation« ist in diesem Zusammenhang, dass es ihr explizit nicht um das Konsumverhalten der Einzelnen, sondern um große Stellschrauben geht, die die Regierungen drehen müssten. Diese Politisierung des Klimadiskurses – weg vom individuellen Konsum, hin zu strukturellen Veränderungen – ist wichtig (Lies hier den marx21-Artikel: Welche Strategie für die Klimabewegung?).
Was erhofft ihr euch von dem Aufruf »Klimaschutz ist kein Verbrechen!«?
Wir wollen ein öffentliches Zeichen setzen, so dass es den Gegner:innen der »Letzten Generation« schwerer fällt, einen Gegensatz von Kunst und Klimaprotest zu konstruieren. Wir wollen außerdem auch innerhalb der Kunst einen Diskurs befördern, der sich mit der eigenen Verantwortung auseinandersetzt. Verantwortung nicht in dem unpolitischen Sinne, dass man sich bemüht, nachhaltige Materialien zu verwenden. Das wäre das Äquivalent zur privaten Mülltrennung als Beitrag zum Umweltschutz, was bekanntlich nicht ausreicht und von den Strukturproblemen ablenkt. Verantwortung denken wir in dem Sinne, dass man sich als Kunst politisch positioniert und im Angesicht der planetaren Krise öffentlich entsprechend zu Wort meldet.
Vielen Dank für das Gespräch, Lothar!
Mehr Informationen zum Aufruf »Klimaschutz ist kein Verbrechen!« findest Du hier.
Bilder: © Letzte Generation / letztegeneration.de
Interview: Yaak Pabst
Schlagwörter: Klima, Klimabewegung, Klimakatastrophe, Klimapolitik, Protest, Widerstand