Oskar Lafontaine vertritt in der Debatte um Migration, Zuwanderung und offene Grenzen die Position rechter Sozialdemokraten vor 1914. Die Debatten von damals und heute ähneln sich frappierend, meint Volkhard Mosler. Ein Blick zurück könnte also lehrreich sein
Oskar Lafontaine hat in der Vergangenheit mehrfach die Positionen der LINKEN zu Migration und offenen Grenzen scharf kritisiert und sich stattdessen für eine Begrenzung der Zuwanderung ausgesprochen. In einem Interview mit der WELT sagte er: »Der Staat [müsse] darüber entscheiden können, wen er aufnimmt. Das ist nun mal die Grundlage staatlicher Ordnung«. Und weiter: »Da eine Gesellschaft ebenso wie jeder einzelne Mensch nur in begrenztem Umfang helfen kann, kommt auch die Linke an einer Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung nicht vorbei«. Aus diesem Grund muss die Linke auch für Abschiebungen eintreten: »Wer illegal über die Grenze gekommen ist, der sollte ein Angebot bekommen, freiwillig zurückzugehen. Wenn er dieses Angebot nicht annimmt, bleibt nur die Abschiebung.«
Lehren aus der Geschichte der Arbeiterbewegung
Das solche rechten Positionen auch von Linken vertreten werden ist nicht neu. In der Geschichte der Arbeiterbewegung gab es auf die Bedrohung bereits erkämpfter Mindest-Lebensstandards durch die »gewissenlose Weise« der Ausbeutung von Migranten durch das Kapital schon immer zwei entgegen gesetzte Positionen. Die bis 1914 in der Sozialdemokratie vorherrschende war die der internationalen Klassensolidarität. Der russische Revolutionär und Marxist Wladimir I. Lenin fasste diese Position 1913 in einen kleinen Aufsatz zum Thema »Arbeitsmigration und Kapitalismus« zusammen. Darin heißt es: »Der Kapitalismus hat eine besondere Art der Völkerwanderung entwickelt (…) Es besteht kein Zweifel, dass nur äußerstes Elend die Menschen veranlasst, ihre Heimat zu verlassen, und dass die Kapitalisten die eingewanderten Arbeiter in gewissenloser Weise ausbeuten.« Lenin sah darin auch die Chance des internationalen Klassenkampfes, der internationalen Verbrüderung und Durchmischung von Ethnien unterschiedlicher Herkunft und Tradition: » … nur Reaktionäre können vor der fortschrittlichen Bedeutung dieser modernen Völkerwanderung die Augen verschließen.« Der Kapitalismus selbst sei es, der so dazu beitrage, »die nationalen Schranken und Vorurteile zu durchbrechen«.
Als Lenin dies schrieb, konnte er auf eine lange Diskussion in der Arbeiterbewegung seiner Zeit zurückgreifen. Auf den Kongressen der II. Internationale hatten sich in Amsterdam (1904) und in Stuttgart (1907) ein linker, revolutionärer Standpunkt und ein rechter, reformistischer Standpunkt in der Frage von Einwanderungsbeschränkungen gegenübergestanden. Der rechte Flügel trat für eine Begrenzung der Zuwanderung aus ökonomisch rückständigen Ländern und Kulturen ein. Er begründete dies im Namen der Verteidigung des »Fortschritts« und des erreichten Lebensstandards der Arbeiter der fortgeschritteneren Industrieländern. Dieser Flügel sah im Schutz der »nationalen Arbeit« durch den bürgerlichen Staat eine unverzichtbare Maßnahme im Kampf um sozialen Fortschritt. Der russische Marxist Nikolai Bucharin benutzte für eine solche Allianz von Arbeiterbewegung und bürgerlichem Staat den Begriff des sogenannten Arbeiterprotektionismus. Er nannte ihn »sogenannt«, weil es sich um einen vermeintlichen Schutz der Arbeiter vor ausländischer Konkurrenz handelt, sei es durch Schutzzölle auf Importwaren, sei es durch Einwanderungsbeschränkungen.
Die Gefahr des »Arbeiterprotektionismus«
Eine große Gefahr dieses »Arbeiterprotektionismus« ist damals wie heute, dass die Grenze zum Rassismus fließend ist und dass er immer wieder als Türöffner für das Vordringen rassistischer Vorurteile in die eigene Klasse dient. Im Allgemeinen war sich die Arbeiterbewegung vor dem ersten Weltkrieg der Gefahr bewusst, dass die Unternehmer sich der billigeren ausländischen Arbeitskräfte bedienten, um erkämpfte soziale Reformen, Tariflöhne und Arbeitszeiten zu unterlaufen und dass einzig die Überwindung nationaler, religiöser und kultureller Spaltungen in der Lage sei, dieser Gefahr wirksam entgegenzutreten. Allerdings blieb sie anfällig, Ausnahmen zu machen. So schrieben die Autoren des Parteiprogramms des »Parti Ouvrier« Jules Guesde und Paul Lafargue 1883, »dass die französischen Arbeitgeber (»Patrons«) sich bisher mit europäische Fremdarbeitern zufrieden geben, die sie ohne Transportkosten unter ihr Kommando nehmen können: aber eines Tages wird der Tag kommen, an dem sie die Chinesen holen werden; die bürgerlichen Ökonomen träumen bereits davon.«
Guesde und Lafargue befürworteten mit einem solchen Hinweis auf die zukünftige chinesische Konkurrenz auf den Arbeitsmärkten die Notwendigkeit einer Gesetzgebung zur Beschränkung der Konkurrenz zwischen französischen und ausländischen Arbeitern. Zugleich lehnten sie aber die Massenausweisung von Arbeitsimmigranten aus Frankreich ab und forderten die Aufhebung von Gesetzen und Verordnungen, die Migranten mit Ausweisung bedrohten.
»Chinesische Kulis« galten damals als Synonym für Anspruchslosigkeit und Unterwürfigkeit und Guesde stellte diesen »fernöstlichen Menschenschlag« als das absolute Gegenstück zum französischen Arbeiter mit dessen Hang zu einem Leben in Genuss und mit gutem Rotwein hin. Auch in der großen kontroversen Debatte auf dem internationalen Sozialistenkongressen in Amsterdam 1904 spielten die »chinesischen Kulis« die Rolle von Schreckgespenstern, deren freie Einwanderung keiner Arbeiterklasse der »Kulturländer« zuzumuten sei.
Ausnahmen für Chinesen und Schwarze?
Die vorgeschlagene Resolution der Antragskommission zum Tagesordnungspunkt 7 («Einwanderung und Auswanderung«) hatte einerseits betont, »wie gefährlich für das Einwanderungsland der Zuzug schlecht bezahlter, gefügiger und arbeitswilliger Elemente ist, die von gewissenlosen Kapitalisten herbeigelockt werden, um die eingeborenen Arbeiter durch billiges Arbeitsangebot zu unterbieten, um Streikbrecher zu stellen und stellenweise blutige Zusammenstöße zwischen den Arbeitern verschiedener Länder herbeizuführen.« Aber wie ließe sich das verhindern? Die vorgeschlagene Resolution war hier eindeutig. »Er (der Kongress) verurteilt jedoch jede Gesetzesmaßregel, welche die Auswanderung hindern oder fremde Arbeiter im Einwanderungslande ausschließen oder schlechter behandeln wollte.« Man sei überzeugt, dass unter dem Einfluss einer aktiven sozialistischen und gewerkschaftlichen Agitation »die eingewanderten Arbeiter sich nach einiger Zeit auf die Seite der eingeborenen und organisierten Arbeiter stellen und denselben Lohn wie diese verlangen werden und er verurteilt die kurzsichtige Politik zurückgebliebener Arbeiterorganisationen, die den Eingewanderten den Zutritt zu ihren Reihen versagen.«
Die sozialistischen Vertreter in den Parlamenten müssten schärfere Maßnahmen gegen Kapitalisten verlangen und zugleich dafür eintreten, dass »Einwanderer in kurzer Frist die politischen und bürgerlichen Rechte im Einwanderungsland erhalten ohne auf diese Rechte in ihren Herkunftsländern verzichten zu müssen.«
Dagegen wandten sich Vertreter der holländischen, amerikanischen und australischen Delegationen. Im Allgemeinen stimmten sie der Forderung zu, dass Gesetze zum Verbot oder zur Verhinderung der Einwanderung fremder Arbeiter abzuschaffen seien. Aber sie wollten Ausnahmen für Chinesen und Schwarze. In ihrem Resolutionsentwurf heißt es, »dass die Arbeiter rückständiger Rassen (wie Chinesen, Neger usw.) oft von Kapitalisten importiert werden, um die eingeborenen Arbeiter durch billiges Arbeitsangebot niederzuhalten.« Der Import solcher Arbeiter diene dazu »die Organisationen der Arbeiter zu vernichten und dadurch den Fortschritt und die eventuelle Verwirklichung des Sozialismus aufzuhalten.« Daher müssten die Sozialisten den Import solcher Arbeitskräfte »mit allen ihren Kräften bekämpfen.«
Der amerikanische Delegierte Hillquitt erklärte, warum Australier, Holländer und Amerikaner gezwungen seien, »einen Unterschied zu machen zwischen Arbeitern zivilisierter Länder und unzivilisierter, zwischen Arbeitern, die im Klassenkampf begriffen oder wenigstens im Entwicklungsprozess des Klassenbewusstseins begriffen sind und solchen, die dazu auch nicht die geringste Vorbedingung aufweisen.« Das möge »reaktionär klingen«, sei aber »unausweichlich, wollten wir nicht die ganze Arbeiterbewegung zugrunde richten, denn es ist ein Lebensinteresse unser Arbeiterbewegung, die Kulis und die Neger fernzuhalten.«
Freie Zuwanderung für alle Nationalitäten
Die Ausnahmen gegen »Chinesen und Neger« waren ein Zugeständnis an den rassistischen Zeitgeist und an die in den USA und Australien damals akuten Formen des Rassismus. Dagegen protestierte der Delegierte Nicolas Klein im Namen der Minderheit der amerikanischen Delegierten mit dem Vorwurf, dass diese Auffassung dem Satze: »Proletarier aller Länder vereinigt Euch!« und der ganzen sozialistischen Gedankenwelt widerstreite. »Kulis« seien auch Menschen, auch Arbeiter und hätten dasselbe Recht wie die andern. Mache man einmal Unterschiede zwischen den Nationen, so müsse man »auch Italiener, Polen usw. von Amerika fernhalten.«
Auf dem Amsterdamer Kongress wurde eine Entscheidung auf Antrag der englischen Delegation vertagt, der Stuttgarter Kongress entschied drei Jahre später klar für eine Politik der offenen Grenzen und gegen jede Beschränkung der Freizügigkeit, indem er sich gegen »die Ausschließung bestimmter Nationen und Rassen von der Einwanderung« wandte. Zugleich wurde die »Abschaffung aller Beschränkungen, welche bestimmte Nationalitäten oder Rassen vom Aufenthalt in einem Lande und den sozialen politischen und ökonomischen Rechten der Einheimischen ausschließen oder sie ihnen erschweren,« gefordert.
Hillquitt, der wieder für die amerikanische Delegation sprach, erklärte, dass sie (die amerikanischen Sozialisten) »bei dem Einwanderungsverbot natürlich (!) stets nur an einen Stamm, an die Chinesen (dachten).« Aber sie hätten sich belehren lassen, »dass jedes Ausnahmegesetz gegen eine Rasse oder Nation vom sozialistischen Standpunkte aus unzulässig ist.«
»Völlige Gleichstellung der Ausländer«
Die deutsche Marxistin Clara Zetkin schrieb über die Beschlüsse von Stuttgart: »Der Kongress hat hier, im Sinne und Geiste der deutschen Gewerkschaften und ihrer Praxis entsprechend, die Solidarität der Klasse als eines großen Weltbundes des Proletariats aller Rassen und Nationen hochgehalten…«. Karl Liebknecht, der damals als sozialdemokratischer Abgeordneter des preußischen Landtages und als Rechtsanwalt häufig mit dem Ausländerrecht zu tun hatte, überschrieb seinen Rückblick auf den Kongress mit: »Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung!« »Die völlige Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern auch in Bezug auf das Recht zum Aufenthalt im Inlande« sei »die erste Voraussetzung dafür, dass die Ausländer aufhören, die prädestinierten Lohndrücker und Streikbrecher zu sein.« Die Beschäftigung mit der sogenannten »Wanderungsfrage« sei »ein Ruhmesblatt für den Internationalen Kongress.« In der theoretischen Zeitschrift der SPD »Die Neue Zeit« hieß es in einem Grundsatzartikel zur Frage von Einwanderungskontrollen: »Durch Solidarität, durch Unterstützung der Zurückgebliebenen, nicht durch Exklusivität, durch Abschließung und Niederhaltung dieser kann ein vorgeschrittenes Proletariat sich behaupten. Wo es unter dem Einfluss kurzsichtiger Zünftlerei der letztern Methode verfällt, macht sie früher oder später bankrott und wird sie von vorneherein eines der verderblichsten Mittel zur Lähmung des proletarischen Emanzipationskampfes.«
Umgekehrt kritisierten die Vertreter des rechten Flügels den Beschluss von Stuttgart. Beide Richtungen gingen von der Gefahr aus, dass Migration von den Kapitalisten dafür missbraucht wird, einmal erkämpfte soziale Standards zu unterlaufen. Aber der linke, marxistische Flügel lehnte es ab, diese Gefahr mit Hilfe von Polizei und Justiz zu bekämpfen, weil er sich darüber im Klaren war, dass diese für die Arbeiterklasse keine Bündnispartner im sozialen Befreiungskampf sind. Sie schlugen stattdessen eine gesetzliche, für alle Beschäftigten verbindliche Verkürzung des Arbeitstages, Einführung von Mindestlöhnen, strenge Aufsicht über die Wohnverhältnisse und die »weitestgehende Erleichterung der Naturalisation« (Einbürgerung) vor. Außerdem sollten die »Gewerkschaften aller Länder« den einwandernden Arbeitern den Eintritt erleichtern.
»Zünftlerischer« Nationalismus ersetzt Internationalismus
Mit dem endgültigen Sieg des rechten Flügels in der SPD 1914 verschwanden die Beschlüsse von 1907 rasch in der Versenkung. In einem Aufsatz »Die Einwanderung Ausländischer Arbeiter und die Gewerkschaften« schrieb August Ellinger in den »Sozialistischen Monatsheften« 1917: »Die deutschen Gewerkschaften müssen (…) die Einschränkung der Arbeitereinwanderung auf Grund der vorhandenen Bedürfnisse verlangen.« Das entspräche zwar nicht der Stuttgarter Resolution, aber es entspräche »dem was nach Lage der Verhältnisse notwendig ist«. Durch die »schrankenlose Einfuhr ausländischer Arbeitskräfte« werde die Arbeitslosigkeit im Land vermehrt. An die Stelle des Kampfs um die gesetzliche Arbeitszeitverkürzung tritt die Forderung nach kontrollierter Migration nach »Bedarf«, an die Stelle der Internationalismus tritt ein engstirniger, »zünftlerischer« Nationalismus.
Dies zeigte sich überdeutlich auf dem ersten großen »Weltwanderungskongress« in London 1926, zu dem sowohl der Internationale Gewerkschaftsbund wie auch die 1923 wieder gegründete Sozialistische Arbeiterinternationale (SAI) aufgerufen hatten. In einem Bericht heißt es: »In der Frage der Freizügigkeit war eine einheitliche Auffassung nicht zu erzielen.« Die nordamerikanischen Gewerkschaften hätten erst gar keine Vertreter geschickt. Die Arbeiterschaft von Ländern mit einem höheren Lebensstandard fühle sich bedroht durch den »Zustrom kulturell tiefer stehender Rassen und Massen.« Insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Kongress sich darauf beschränkte, »das zur Verhandlung stehende Problem nach allen Seiten hin zu beleuchten.«
Lafontaine und der »Arbeiterprotektionismus«
Oskar Lafontaine steht heute in der Frage Migration und Rassismus in der Tradition der sogenannten Arbeiterprotektionisten. Und er steht auch für die doppelte Schwäche dieser Tendenz. Einmal hat er eine falsche Antwort darauf, wie die Arbeiterbewegung es verhindern kann, dass ausländische Proletarier als Prellbock und Streikbrecher gegen die einheimische Arbeiterklasse eingesetzt werden können. Zweitens macht er selbst immer wieder Zugeständnisse an den Rassismus. 1990 trat er als SPD-Kanzlerkandidat auf einer Wahlkampfkundgebung in Lebach (Saarland) für eine Aufhebung des Grundrechts auf Asyl auf. Nachdem seine Umfragewerte im Juli 1990 gegen den Konkurrenten Helmut Kohl (CDU) in den Keller gerutscht waren, entdeckte Lafontaine die Asylantenfrage. Der damalige Sprecher von »Pro Asyl« Pfarrer Leuninger kritisierte den Wahlkampfauftritt Lafontaines damals mit den Worten: »Nicht zufällig fand Lafontaines Kehrtwende in der Asylpolitik vor der Kulisse des überfüllten Aufnahmelagers im saarländischen Lebach statt, wo sich die einheimische Bevölkerung gegen das »Zigeunerlager« auf die Barrikaden stellt.« Die NPD hatte zuvor in Lebach demonstriert und alte rassistische Vorurteile gegen »Zigeuner« geschürt. Oskar Lafontaine hätte damals in seiner Funktion als Ministerpräsident des Saarlandes die völlige Überbelegung es zentralen Aufnahmelagers (4000 statt 1000) verhindern können.
Der Spiegel schrieb am 3.9.1990: »Als erster Spitzenpolitiker hat wieder der saarländische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine die schwelende Fremdenfurcht aufgegriffen. Um den Asylantenstrom aufzuhalten, plädierte er … für eine Änderung des Grundrechts auf Asyl.« 1992 sagte Lafontaine: »Das Recht eines jeden Bürgers der Erde (!) bei uns ins Verfahren zu kommen, können wir praktisch nicht mehr garantieren.« In der SPD löste der Vorstoß Lafontaines zunächst große Empörung aus. Mit dem damaligen CDU-Innenminister Schäuble handelte Lafontaine in den beiden folgenden Jahren den sogenannten Asylkompromiss (1992) aus. Etwa 30.000 SPD-Mitglieder verließen nach seiner Verabschiedung (Mai 1993) die Partei.
Eine unrühmliche Geschichte
Die von der CDU/CSU angefachte Asylflutkampagne von 1990-93 richtete sich damals gegen Roma und Sinti und Balkanflüchtlinge, die vor dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien flohen. Drei Jahre später führte Lafontaine eine Kampagne gegen den Zuzug von Spätaussiedlern aus Russland und Kasachstan. Damals spielte er Russlanddeutsche gegen Inländer aus. Mit fortschrittlichen Argumenten gegen das völkische deutsche Staatsbürgerschaftsrecht bediente er ausländerfeindliche Stimmungen. Im Jahr 2004 bejubelte Lafontaine in seiner BILD-Kolumne einen Vorschlag des damaligen SPD-Innenministers Otto Schily zur Errichtung von Internierungslagern für Flüchtlinge in Nordafrika. Ein Jahr später sagte er auf einer Kundgebung in Chemnitz: »Der Staat ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen.«
Es gab damals – zu Recht – scharfe Kritik an Lafontaines Benutzung des Begriffs »Fremdarbeiter«, der Migranten als Fremde bezeichnet, die nicht zur nationalen Arbeiterklasse gehörten und sie so der Ausgrenzung preisgibt. Viel diskriminierender ist die Satzaussage selbst, dass es die fremden Zuwanderer seien, die ihnen, den Einheimischen mit Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnähmen. Nach heftigen Protesten in der sich neu formierenden Linken, sah sich Lafontaine gezwungen, sich zu korrigieren: »Lohndrücker sind nicht die Leute, die hier reinkommen, sondern die Leute hier, die davon profitieren.« Er habe etwas gegen die Ausbeuter hier sagen wollen, die diese Menschen zu Hungerlöhnen beschäftigen.
Gegen den damals erhobenen Vorwurf, er spiele mit der Verwendung des Begriffs »Fremdarbeiter« absichtlich auf die vom Nationalsozialismus damit verbundene Ausländerfeindlichkeit an, antwortete Oskar Lafontaine mit dem haarspalterischen Argument, die Nationalsozialisten seien nicht fremdenfeindlich, sondern rassistisch gewesen. Der Historiker Ulrich Herbert antwortete darauf, dass »der Rassismus nichts anderes (war) als eine biologistische Überformung der Fremdenfeindlichkeit.« »Deutschland den Deutschen« — das sei die Naziparole gewesen.
Lafontaines falsche Vorstellung von Rassismus
Oskar Lafontaine sieht im Rassismus eine Art natürlicher Reaktion der sozialen Unterschichten auf den Zustrom vieler Migranten. Und er sieht deshalb seine Forderung der Begrenzung des Zustroms von Migranten eine antirassistische Maßnahme. Es gibt von ihm auch keine Äußerungen mit diskriminierenden Qualifikationen gegen Muslime, »Zigeuner« oder Nordafrikaner. Nach dem Wahlbündnis von WASG und PDS 2005 nahm Oskar Lafontaine noch einmal grundsätzlich Stellung zu Migrationsfragen: »Die forcierte Zuwanderung wird in Deutschland einzig von den oberen Zehntausend gefordert, die von deren Folgen gar nicht oder nur am Rande betroffen« seien. Sie konkurrierten nicht um Arbeitsplätze, eine bezahlbare Wohnung oder Bildungschancen mit den Migranten.
Lothar Bisky erwiderte damals noch für die PDS, dass die Massenarbeitslosigkeit »nichts mit der Tätigkeit ausländischer Arbeitskräfte zu tun« habe, er teile nicht Lafontaines Auffassung. Ulla Jelpke erinnerte daran, dass Lafontaine sich »die Frage nach der Mitschuld an der heutigen rigiden Ausländerpolitik gefallen lassen« müsse.
Die politische Traditionslinie, die Oskar Lafontaine in der Frage Migration und offene Grenzen vertritt, ist die der rechten Sozialdemokratie von 1907. Wir erleben heute, wie sich die SPD in der Asylfrage wieder von der konservativen Rechten und der AfD treiben lässt. Wir sollten Oskar Lafontaine und seine Anhängerinnen und Anhänger davon überzeugen, dass dies ein Weg der Niederlage der Linken ist und wir den Aufstieg der Rechten so gewiss nicht stoppen werden.
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht im August 2018.
Foto: dielinke_nrw
Schlagwörter: Abschiebung, Arbeiterklasse, Einwanderung, Grenzen, Lafontaine, Migration, Protektionismus, Rassismus, Wagenknecht