Eine absurde Situation: Großbauern und Familienbetriebe kämpfen Trecker an Trecker gegen die Streichung von Dieselsubventionen in der Landwirtschaft – Konkurrenten, die noch am Vortag um Marktanteile gegeneinander gekämpft haben und das nach der Demonstration wieder tun werden. Das Säurebad der kapitalistischen Konkurrenz wird mit diesem Schulterschluss aber nicht neutralisiert, meint Jürgen Ehlers
Nicht erst die Bauernproteste der letzten Monate haben gezeigt, dass die meisten Bäuerinnen und Bauern traditionell CDU-Parteigänger sind. Deutlich geworden ist diesmal aber, dass es unter den Landwirt:innen auch eine größere Zahl von AfD-Anhänger:innen gibt. Diese konnten ihren Einfluss ausbauen und zu militanten Aktionen auf der Straße ermutigen. Einige zeigen ungeniert ihre Sympathie für die Landvolkbewegung. Diese war in den späten 1920er Jahren in Schleswig-Holstein entstanden, nachdem sich die wirtschaftliche Lage vieler Höfe dramatisch zugespitzt hatte. Völkischer Nationalismus, Republikfeindlichkeit und Antisemitismus waren die politische Basis dieser Bewegung. Ihr Logo war das Schwert und die Pflugschar, so wie auf dem Protestschild (s.u., vom Autor in der Frankfurter Innenstadt aufgenommen) zu sehen. Als die Landvolkbewegung zu schwächeln begann, gingen die meisten ihrer Anhänger:innen zur NSDAP.
Wie die Proteste zum Jahresbeginn gezeigt haben, wächst heute die Gefahr, dass sich diese Entwicklung wiederholt. Deswegen sind die gesellschaftlichen Bedingungen, die die Entwicklung der Landwirtschaft bestimmen, was das für die Bäuerinnen und Bauern bedeutet und wie die Lösung der Probleme aussehen könnte, von großer Bedeutung.
Gewollter Konzentrationsprozess
Karl Marx ist davon ausgegangen, dass im Kapitalismus die Landwirtschaft dem gleichen Konzentrationsprozess unterworfen wird wie die Industrie. Er verband damit die Erwartung, dass in der Folge einer Minderheit von reichen Bauern, einer wachsenden Mehrheit von besitzlosen Landarbeiter:innen gegenüberstehen würde, die dann potentielle Verbündete der übrigen Arbeiterklasse wären. Diese Entwicklung ist so nicht eingetreten. Während in der Industrie bereits im 19. Jahrhundert infolge der Weiterentwicklung der Produktivkräfte und dem damit verbundenen steigenden Kapitalbedarf ein stetiger Konzentrationsprozess einsetze, blieb die Landwirtschaft davon fast völlig unberührt. Der Grund für diese ungleiche Entwicklung war, dass Investitionen in andere Wirtschaftsbereiche größere und schneller Profite versprachen.
Der von Marx erwartete Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft hat erst nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt. Dem ging eine nach Kriegsende – noch vor Gründung der beiden deutschen Staaten – durch die Großgrundbesitzer verhinderte Bodenreform voraus. Diese war ursprünglich von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges geplant worden, um die ökonomische und politische Macht der Großgrundbesitzer zu brechen, die mehrheitlich Parteigänger der Nazis gewesen waren. Von der Umverteilung des Landbesitzes sollten die kleineren bäuerlichen Betriebe profitieren. Die vom ehemaligen ostelbischen Junker Hans Schlange-Schöningen, einem Gegner der Bodenreform und späterem Mitbegründer der CDU, 1946 gegen die Bodenreform bezogene Position, nahm den zukünftigen Kurs der Landwirtschaftspolitik in Westdeutschland vorweg: »Die Könner werden verdienen – das sollen sie auch, und der Boden wird zu den besten Produzenten gehen – das soll er auch.«
Staatliche Eingriffe und Modernisierung
Die Steigerung der Produktivität in der landwirtschaftlichen Produktion wurde vom westdeutschen Staat nach 1949 mit erheblichen direkten Subventionen und Infrastrukturprojekten gefördert. In Ostdeutschland erfolgte die Zwangskollektivierung und Gründung von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG). In beiden Fällen waren es also sehr weitgehende staatliche Eingriffe, die die Modernisierung einleiteten. Die staatliche Initialzündung basierte auf Zuschüssen für den Maschinenkauf für die Landwirte und Infrastrukturmaßnahmen im ländlichen Raum. Flurbereinigungen wurden durchführt, um die Bewirtschaftung der Nutzflächen durch das Zusammenlegen zu erleichtern, Feldwege wurden befestigt und Straßen ausgebaut, um den Zugang zu den Äckern und Wiesen mit Maschinen zu ermöglichen.
Mit dieser Agrarpolitik waren übergeordnete wirtschaftspolitische Ziele verbunden. Dazu gehörte, die internationale Konkurrenzfähigkeit der landwirtschaftlichen Großbetriebe zu sichern und gleichzeitig den Export und Import von Lebensmitteln so zu steuern, dass die Außenhandelsinteressen der Industrie nicht gefährdet werden konnten. Mit Beginn des Nachkriegsbooms und der damit verbundenen steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften spielte außerdem die Freisetzung von Arbeitskräften in der Landwirtschaft eine bedeutende Rolle. Außerdem bot sich die Chance, mit der Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft, die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft zu senken, um den Kapitalist:innen größere Spielräume nach unten bei Lohnkämpfen zu sichern. So mussten 1950 mit 46 Prozent fast die Hälfte des Haushaltseinkommens für Nahrungsmittel aufgewendet werden, 1970 waren es nur noch 25 Prozent, stellte Onno Poppinga bereits 1975 fest und heute sind es gerade einmal noch 11,5 Prozent.
Mechanisierung der Landwirtschaft
Die deutliche Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft führte ab den 1960er Jahren rasch zu einer Überproduktion von allen wichtigen Lebensmitteln. Mitte der 1950er Jahre sah das noch ganz anders aus, der Selbstversorgungsgrad in Westdeutschland war mit 66 Prozent schlechter als vor dem Krieg, als er noch bei 80 Prozent gelegen hatte. Der Grund dafür war vor allem, dass die Großbetriebe in Pommern, Schlesien und Ostpreußen verloren waren. Im Jahr 2019 sah der Selbstversorgungsgrad mit Lebensmitteln dagegen so aus: Zuckerrüben 153 Prozent, Kartoffeln 142 Prozent, Käse 126 Prozent, Brotgetreide 113 Prozent und Schweinefleisch 119 Prozent. Hinter den USA und den Niederlanden ist Deutschland mittlerweile der drittgrößte Exporteur von Lebensmitteln weltweit. Das hat beispielsweise für die Bäuerinnen und Bauern in Afrika verheerende Konsequenzen, weil die mit massiven Subventionen erzeugten und deswegen billigeren Lebensmittel aus der EU, den einheimischen Produkten erfolgreich Konkurrenz machen.
Aus der Überproduktion resultiert gleichzeitig ein massiver Preisdruck auf die Produzent:innen in Deutschland. Dies verschärft zudem den politisch gewollten Konzentrationsprozess hin zu immer größeren Betriebseinheiten. Gleichzeitig wurden die an die kleinteilige Landwirtschaft angepassten Molkereien und Schlachthöfe ebenfalls einem gezielten Konzentrationsprozess unterworfen, um die immer größeren Mengen an Lebensmitteln zu verarbeiten und um rationeller und damit billiger produzieren zu können. Aus den ursprünglich genossenschaftlich organisierten Strukturen dieser weiterverarbeitenden Betriebe, wurden mit staatlicher Hilfe Unternehmen, die sich schon lange nicht mehr in der Hand einer bäuerlichen Gemeinschaft befinden.
Macht der Handelsriesen
Parallel dazu fand auch im Lebensmittelhandel, begünstigt durch die Überproduktion, ein Konzentrationsprozess statt, der bis heute anhält. Die großen Handelskonzerne beherrschen den Markt in Deutschland. Die Wirtschaftswoche musste 2016 zugeben: »Im deutschen Lebensmitteleinzelhandel sind gerade einmal fünf Namen relevant, die wir aber alle kennen: Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe, zu der Kaufland und Lidl gehören, Aldi und die Metro-Gruppe. Seit Jahren teilen sie 90 Prozent des Geschäfts unter sich auf. Branchenprimus ist dabei die Edeka-Gruppe. Die Konzentration führt dazu, dass diese wenigen mächtigen Ketten ihre Bedingungen den Lieferanten einfach aufdrücken können. Den Lieferanten bleibt oft keine andere Wahl als das zu akzeptieren, weil ihnen eben die Ausweichmöglichkeiten fehlen.«
Diese marktbeherrschende Rolle der Handelsriesen führte zu einer Position, die es ihnen ermöglicht, gegenüber den Produzent:innen niedrigere und gegenüber den Konsument:innen höhere Preise durchzusetzen. Die hohe Eigenkapitalrendite der größten Handelskonzerne, die sich 2019 zwischen 17,3 und 19,7 Prozent bewegt hat, spiegelt das wieder. Um die Bedeutung dieser Größenordnung deutlich zu machen, zum Vergleich: 2022 lag die Eigenkapitalrendite für den VW-Konzern bei 9 und für den Energiekonzern RWE bei 19,9 Prozent. Die Eigenkapitalrendite der landwirtschaftlichen Betriebe in Westdeutschland liegt dagegen nur bei durchschnittlich 1 bis 3 Prozent. Entscheidend ist hier aber die Betriebsgröße, bei Großbetrieben fällt diese Rendite zweistellig aus, aber bei kleinen Familienbetrieben kann sie sogar negativ sein. Diese Betriebe haben bisher nur überlebt, weil die Selbstausbeutung der Familienmitglieder sehr hoch ist und Maschinen so wie Wirtschaftsgebäude nicht ersetzt oder nur notdürftig instandgesetzt werden.
Preistreiberei und Hungerlöhne
»Lange Zeit galt der intensive Wettbewerb zwischen den Einzelhandelsketten als Garant für sehr niedrige Lebensmittelpreise in Deutschland. Doch das Narrativ des ›weißen Ritters‹, der zum Wohl der Konsument:innen wirkt, kann nach Einschätzung von Lademann und Kleczka [Ökonomen] nicht länger aufrechterhalten werden. Eine ökonometrische Analyse zeige, dass die Lebensmittelpreise in Deutschland gerade zu einem Zeitpunkt zu steigen begannen, als sich die Konzentration im Lebensmittelhandel beschleunigte. Um 2003 herum zeige die Datenlage eine signifikanten Strukturbruch. Rechnerisch hätten die führenden Händler die Inflation nicht gedämpft, sondern jährlich um etwa 0,5 Prozentpunkte erhöht.« Das stellte der ZDF-Journalist Norbert Lehmann 2023 fest. Von den steigenden Preisen für Lebensmittel ist aber nur ein Teil bei den Erzeuger:innen angekommen. Deren Anteil am Verkaufserlös ist im Laufe der Jahre immer kleiner geworden ist. 1950 konnten die landwirtschaftlichen Betriebe noch zwei Drittel der Verbraucherausgaben an der Ladenkasse abschöpfen, von 1965-1975 war es noch die Hälfte und heute ist es nur noch ein Viertel.
Ein differenzierter Blick auf die Einkommen in Abhängigkeit von der Betriebsgröße zeigt, dass in den kleineren Höfen bis zu einer Betriebsgröße von 100 Hektar das Bruttojahreseinkommen 2021/22 je Arbeitskraft bei nur 27.050,- Euro lag, das entspricht gerade einmal dem gesetzlichen Mindestlohnniveau. Davon betroffen sind etwa ein Fünftel aller Betriebe, die am Existenzminimum wirtschaften, so die amtliche Statistik des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft für das Wirtschaftsjahr 2021/22. Bei den mittleren Betrieben bis zu einer Größe von 250 Hektar lag das Bruttoeinkommen bei 38.153,- Euro und bei den ganz großen ab 250 Hektar, die inzwischen fast 40 Prozent aller Betriebe ausmachen, lag das Einkommen bei 55.439,- Euro je Arbeitskraft. Das Einkommen pro Arbeitskraft ist eine statistische Größe die den Jahresgewinn des Betriebes im Verhältnis zu der Personenzahl, die in irgendeiner Form mit dem Betrieb als Arbeitskraft verbunden ist, ausdrückt. Das können Familienangehörige sein, Auszubildende, Landarbeiter:innen oder Saisonarbeitskräfte.
Da die Entlohnung der angestellten Arbeitskräfte und der Auszubildenden – von den Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft ganz zu schweigen – deutlich niedriger ausfällt, als das statistische Mittel zeigt, sind diese Zahlen vor allem ein Hinweis darauf, dass die großen Betriebe mit der Ausbeutung der angestellten Arbeitskräfte hohe Gewinn machen. Knapp ein Drittel aller Beschäftigten in der Landwirtschaft sind Saisonarbeitskräfte, die Entlohnung dieser 275.000 Menschen liegt nach Auskunft der zuständigen Gewerkschaft IG BAU deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn.
Konkurrenz und Klassenbewusstsein
Karl Kautsky, einer der wichtigsten Theoretiker der SPD bis zum Ersten Weltkrieg, hat als erster zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Agrarfrage im Kapitalismus ausführlich untersucht. Er hat dabei nicht nur die ökonomischen Rahmenbedingungen analysiert, sondern auch auf einen bedeutenden psychologischen Aspekt hingewiesen. Dieser spielt bei kleinen Bäuerinnen und Bauern eine große Rolle, wenn sie versuchen, sich dem kapitalistischen Konkurrenzdruck entgegenzustemmen. Das ist die hohe Leidensbereitschaft bei geringem Einkommen sehr viel und besonders sorgfältig zu arbeiten, um den eigenen kleinen Familienbetrieb über Wasser zu halten. Bernard Lambert, ursprünglich selbst Bauer und Gründungsmitglied einer Bauerngewerkschaft in Frankreich, die – inspiriert vom Mai 1968 – versuchte eine linke Alternative zum reaktionären Bauernverband aufzubauen, beschrieb die damit verbundenen Schwierigkeiten:
»Viele Bauern betrachten sich in erster Linie als Eigentümer des Bodens und des Betriebskapitals und weigern sich zu zugeben, daß ihre Kreditlasten ihr schwaches Einkommensniveau, ihre wirtschaftliche Abhängigkeit sie zu Ausgebeuteten macht. Sie haben die Geisteshaltung des Kleinunternehmers angenommen, der groß werden möchte und wählen zu ihren Vertretern Führer, die ihnen versichern, daß so etwas möglich sei.« Das Festhalten an der eigenen Scholle und die Vorstellung damit sein eigener Herr sein zu können, spielt auch heute eine entscheidende Rolle im Bewusstsein aller Landwirt:innen. Der drohende Ruin wird als Folge von zu geringen Beihilfen oder zu hohen Auflagen für die Umwelt und das Tierwohl gesehen und nicht in der kapitalistischen Konkurrenz.
Engels: Bauern und Sozialisten
Friedrich Engels hat Endes des 19. Jahrhunderts die Sozialdemokratie davor gewarnt, die Probleme der Bauern zu ignorieren, obwohl auch er um die großen Schwierigkeiten wusste, mit ihnen als Sozialist ins Gespräch zu kommen. Aus Anlass einer Krise, ausgelöst durch Lebensmittelimporte, veröffentlichte er 1894 eine Schrift unter dem Titel ›Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland‹. Er leitet seine Überlegungen mit der Frage ein » … darf sie [die sozialistische Partei] den dem Untergang geweihten Bauern ruhig in den Händen seiner falschen Beschützer lassen, bis er aus einem passiven in einen aktiven Gegner der industriellen Arbeiter verwandelt wird?« Diese falschen »Beschützer« waren damals und sind heute die Großgrundbesitzer:innen, die zu Engels Lebzeiten das reaktionäre Kaiserreich unterstützten, später die Nazis und bis heute im reaktionären Bauernverband den Ton angeben, der vorgibt im Interesse aller Bäuerinnen und Bauern zu handeln.
Engels hat vorgeschlagen, gegenüber den kleineren Bauern für eine Landwirtschaft in Produktionsgenossenschaften auf freiwilliger Basis zu werben. »Unsre Aufgabe gegenüber dem Kleinbauer besteht zunächst darin, seinen Privatbetrieb und Privatbesitz in einen genossenschaftlichen überzuleiten, nicht mit Gewalt, sondern durch Beispiel und Darbietung von gesellschaftlicher Hilfe zu diesem Zweck. Und da haben wir allerdings Mittel genug, um dem Kleinbauer Vorteile in Aussicht zu stellen, die ihm schon jetzt einleuchten müssen.« Dabei betont er ausdrücklich, dass »[d]ie Hauptsache alledem ist und bleibt die, den Bauern begreiflich zu machen, daß wir ihnen ihren Haus- und Feldbesitz nur retten, nur erhalten können durch Verwandlung in genossenschaftlichen Besitz und Betrieb. Es ist ja gerade die durch den Einzelbesitz bedingte Einzelwirtschaft, die die Bauern dem Untergang zutreibt. (…) da kommen wir und bieten den Bauern die Möglichkeit, den Großbetrieb selbst einzuführen, nicht für kapitalistische, sondern für ihre eigne gemeinsame Rechnung.«
»Kleine« und »Große« in der Landwirtschaft
Die kleinen und Teile der mittleren landwirtschaftlichen Betriebe haben sich schon immer in einer tendenziell existenzgefährdenden Situation befunden. Der stetige Konzentrationsprozess zwingt zu immer größeren Betriebseinheiten. Was früher noch als mittelgroßer Betrieb galt, wird dadurch morgen zum Kleinbetrieb, wenn er nicht auf Kosten seines Nachbarn wächst. Das führt zu der paradoxen Situation, dass heute Bäuerinnen und Bauern zusammen demonstrieren, die sich vor und nach der Demonstration als Konkurrent:innen gegenüberstehen und sich belauern.
Die 1885 gegründete Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), die nach eigenen Angaben heute über 30.000 Mitglieder verfügt, bietet scheinbar eine Alternative zum weiteren Höfesterben. Sie wirbt erfolglos mit der Idee von Engels für die Gründung von Landkooperativen. Auf den ersten Blick sind ihre wichtigsten Argumente identisch mit seinen, sowohl bei den betriebswirtschaftlichen als auch sozialen Aspekten. Der zweite Blick zeigt aber, dass es den Initiator:innen um eine völlig andere politische Intention geht. Die Konkurrenzfähigkeit der kleineren Betriebe soll durch Gründung einer Genossenschaft erhöht werden. Das politische Ziel ist aber – anders als bei Engels – eine Aussöhnung mit dem Kapitalismus auf der Grundlage wirtschaftsliberaler Ideen, die einen Subventionsabbau einschließen. Edeka und McDonald’s sind bei ihnen Partner und nicht Teil des Problems, obwohl sie von den monopolartigen Strukturen im Handel gegenüber den Erzeuger:innen und Konsument:innen profitieren.
Solidarische Landwirtschaft und Subventionen
Es gibt eine Vielzahl von weiteren Reformideen – getragen von NGOs und Initiativen wie beispielsweise ›Solidarische Landwirtschaft‹ und der ›Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft‹ (AbL), die für eine Landwirtschaft kämpfen, die von Tierwohl so wie ökologischen und sozialen Aspekten bestimmt ist. Die Eigentumsfrage, so wie sie Engels in das Zentrum seiner Überlegungen stellt, wird aber von keinem der Genannten aufgeworfen. Stattdessen wird von der AbL beispielsweise der Schutz von kleinen und mittleren Familienbetrieben durch eine veränderte Subventionspolitik der EU gefordert. Die soll sich nicht länger nach der Betriebsgröße richten und die Politik wird aufgefordert, die Verhandlungsmacht der Erzeuger:innen gegenüber der Lebensmittelindustrie und dem Handel zu stärken.
Eine Umsetzungen dieser Forderungen der AbL hebt die kapitalistische Konkurrenzwirtschaft nicht auf – so wenig wie die Vorschläge von Engels. Ihm geht es um einen Brückenschlag vor allem zu den Kleinbauern, vermittels des Genossenschaftsgedanken für eine politische Perspektive jenseits des Kapitalismus zu kämpfen. Der AbL geht es in ihrem agrarpolitischen 6-Punkteplan unter dem Leitsatz »Jeder Hof zählt!« nur um Reformen, die den Bestand an kleinen und mittleren Betrieben für die Zukunft sichern sollen. Aber eine Fortsetzung der Konkurrenzwirtschaft reproduziert die alten Probleme immer wieder aufs Neue und ist damit Nährboden für Existenzängste und Bauernfängerei.
Die Forderung nach einer Umstellung der Subventionspolitik, die nachhaltiges Wirtschaften, das Tierwohl und ökologische Gesichtspunkte wie die Verringerung der Anbauflächen und des Tierbestandes in den Mittelpunkt rückt, stellt die bestehenden Einkommensverhältnisse auf den Kopf. Die Großbetriebe wären die Verlierer. Ihre wirtschaftliche Basis ist eine Subventionierung, die sich vor allem an dem Umfang der bewirtschafteten Fläche orientiert. Einmal davon abgesehen, dass deswegen mit gewaltigem Widerstand der Großbauern zu rechnen wäre, ist damit die kapitalistische Konkurrenzwirtschaft nicht aufgehoben. Damit ist das eigentliche Problem nicht gelöst und der Konzentrationsprozess würde von neuem beginnen. Das zu verhindern, wäre möglich, indem die Landwirt:innen zu staatlichen Angestellten werden, die planvoll im Interesse der Verbraucher:innen unter Berücksichtigung aller ökologischen Belange frei von Existenzängsten arbeiten. Da ihre Einkommen zu einem großen Teil ohnehin von Agrarsubventionen abhängen – ohne die sie gar nicht existenzfähig sind –, wäre das nur noch ein kleiner aber konsequenter Schritt.
Genossenschaftsgedanke
Engels ist sich nicht sicher gewesen, ob es der Arbeiterbewegung gelingen würde, Teile der Bauernschaft für ihre Ideen zu gewinnen. Er hat sich aber vehement dagegen ausgesprochen, ihnen gegenüber Illusionen über einen möglichen anderen Weg zu verbreiten:
»Wir haben die ökonomische Gewißheit, daß auch der Groß- und Mittelbauer vor der Konkurrenz des kapitalistischen Betriebs und der wohlfeilen überseeischen Kornproduktion unfehlbar erliegen muß, wie die wachsende Verschuldung und der überall sichtbare Verfall auch dieser Bauern beweist. Wir können gegen diesen Verfall nichts tun, als auch hier die Zusammenlegung der Güter zu genossenschaftlichen Betrieben empfehlen, bei denen die Ausbeutung der Lohnarbeit mehr und mehr beseitigt und die allmähliche Verwandlung in gleichberechtigte und gleichverpflichtete Zweige der großen nationalen Produktionsgenossenschaft eingeleitet werden kann. Sehen diese Bauern die Unvermeidlichkeit des Untergangs ihrer jetzigen Produktionsweise ein, ziehen sie die notwendigen Konsequenzen daraus, so kommen sie zu uns, und es wird unsres Amtes sein, auch ihnen den Übergang in die veränderte Produktionsweise nach Kräften zu erleichtern. Andernfalls müssen wir sie ihrem Schicksal überlassen und uns an ihre Lohnarbeiter wenden, bei denen wir schon Anklang finden werden.«
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Schlagwörter: Agrarkapitalismus, Inland, Landwirtschaft