Er war einer der innovativsten marxistischen Theoretiker der Nachkriegszeit. Ein neues Buch lädt dazu ein, das vielfältige Werk von Leo Kofler wiederzuentdecken. Von Alexander Schröder
Der Historiker Christoph Jünke hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Werk des Sozialphilosophen Leo Kofler vor dem Vergessen zu retten. Mit seinem neuen Buch will er den marxistischen Denker einem breiteren Publikum vorstellen. »Leo Koflers Philosophie der Praxis« führt in das Marxismusverständnis und die Stalinismuskritik Koflers ein und stellt seine Theorien zur Ästhetik und Anthropologie vor. Dabei geht Jünke auch auf den zeit- und lebensgeschichtlichen Kontext ein.
Im Jahr 1907 als Sohn jüdischer Eltern geboren, wurde Kofler im »Roten Wien« zum Anhänger der Marxismus. Nachdem er den Nazis knapp entkommen war, erhielt er für kurze Zeit eine Professur in der DDR. Wegen seiner Kritik an der Bürokratie musste er jedoch bald nach Köln ausweichen und betätigte sich nun als eine Art sozialistischer Wanderprediger. Für SDS-Gruppen, an Volkshochschulen und bei den Gewerkschaften wurde Kofler zur gern gesehenen Koryphäe eines undogmatischen Marxismus. Erst in den 1970er Jahren konnte er an der Universität Bochum erneut akademisch Fuß fassen, jedoch ohne den Bekanntheitsgrad eines Lukács, Bloch oder Marcuse zu erreichen.
Wie diese Vertreter des »westlichen Marxismus« bewies auch Kofler in Opposition zur Sozialdemokratie und der Bürokratie im Ostblock Originalität. Dies stellt Jünke in einem Kapitel wunderbar dar. Kofler formulierte eine »reformkommunistische« Kritik des Stalinismus als einer bürokratischen Praxis und Herrschaftsideologie, die den Marxismus ebenso wie den Menschen entstelle. Entstanden sei er als Folge der Rückständigkeit und Isoliertheit Sowjetrusslands – und nicht etwa aus der Theorie des Marxismus, wie liberale Kritiker unterstellten.
Kofler nahm die Neue Linke vorweg
Auch Koflers Lehre vom Menschen ist beachtenswert. Trotz aller Rückschläge versteht er die Geschichte als ein Erklimmen immer höherer Stufen von Freiheit. Ohne einen humanistischen Maßstab fehle der Gesellschaftskritik ein fester Boden und sie könne nur schwer gegen ein zynisches Menschenbild argumentieren. Denn wozu Ungerechtigkeiten bekämpfen, wenn Rassismus und Ausbeutung zur Natur des Menschen gehören? Koflers Anthropologie erklärt, warum die »Utopie« kollektiver Selbstverwirklichung im Sozialismus gar nicht so utopisch ist.
Mit seiner Theorie der »progressiven Elite« nahm Kofler bereits in den 1950er Jahren die Entstehung der Neuen Linken vorweg. Ihm zufolge gab es auch im »Katastrophenjahrhundert« immer vereinzelte Intellektuelle, Künstlerinnen und Künstler und Unangepasste, die zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankend der Gesellschaft den Spiegel vorhielten. Darüber hinaus entwickelte Kofler die marxistische Ästhetik von Georg Lukács weiter und problematisierte den Pessimismus bei Sartre oder den Optimismus bei Brecht. Koflers gesamtes Werk zeugt von seinem Glauben an die Menschheit und die historische Mission der Sozialistinnen und Sozialisten.
Jünke ist mit »Leo Koflers Philosophie der Praxis« eine knapp gehaltene Einführung gelungen. Zusammen mit dem Sammelband »Zur Kritik bürgerlicher Freiheit« ist sie eine gute Wahl, um Koflers Marxismus zu entdecken. Angesichts der Dominanz pessimistischer Ideen (auch in der Linken) kommt dieses Buch zur rechten Zeit.
Christoph Jünke: Leo Koflers Philosophie der Praxis, Laika Verlag, Hamburg 2015, 232 Seiten, 18,90 Euro.
Foto: Leo Kofler-Gesellschaft e.V.
Schlagwörter: Bücher, Leo Kofler, Stalinismus, Stalinismuskritik