Mit NATO-Bomben in Libyen zur Demokratie? Warum der Einsatz des Militärbündnisses der Oppositionsbewegung in Libyen einen Bärendienst erweisen könnte. Von Stefan Ziefle
»Warum fällt es uns in Deutschland so schwer einzusehen, dass man den Revolutionären in Libyen helfen musste, weil insbesondere in Bengasi ein Blutbad drohte?«, fragt der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit. Und fügt gleich noch einen Vergleich mit der Niederschlagung des jüdischen Aufstands im Warschauer Ghetto durch die deutsche Wehrmacht im Jahr 1943 an. Das scheinbar linke Argument lautet, nur ein Militärschlag der NATO könne ein Massaker verhindern. Kriegsgegner werden als Kollaborateure oder »nützliche Idioten« dargestellt. Wenn der französische Intellektuelle Bernard-Henri Lévy, der sich brüstet, Frankreichs Präsident Sarkozy von der Notwendigkeit der Intervention überzeugt zu haben, Deutschland im Welt-Interview »Neopazifismus« vorwirft, klingt das in dem Zusammenhang fast wie »Neofaschismus«.
Libyen: Revolte einfacher Leute
In Libyen hat eine Revolte stattgefunden, die von einfachen Leuten getragen wurde. Die Bewegung richtete sich gegen die Diktatur Gaddafis und seiner Clique. Anders als in Tunesien und Ägypten ist es der Bewegung bisher jedoch nicht gelungen, flächendeckend die Mehrheit der Bevölkerung zu gewinnen. Besonders die Schwäche der Bewegung in der Hauptstadt Tripolis und das Ausbleiben eines Generalstreiks lassen dem Staatsapparat Spielraum zur Unterdrückung. Weil aber gleichzeitig Flügel des Establishments und des Militärs sich auf die Seite der Revolution gestellt haben, nimmt diese den Charakter eines Bürgerkriegs an. Das macht die Revolte nicht weniger legitim. In diesem Krieg gibt es zivile Opfer – aber für ein Blutbad, Massaker oder gar einen rassistisch motivierten Massenmord wie in Warschau 1943 gibt es keine Hinweise. Und es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Bomben der NATO die Anzahl der Toten verringern könnten.
Reine Propaganda
Dass nur eine Armee den Kriegs beenden könnte, ist reine Propaganda. Ausnahmsweise hat Außenminister Guido Westerwelle recht, wenn er sagt, dass nicht alle diplomatischen und politischen Mittel ausgenutzt worden sind, um eine militärische Eskalation zu vermeiden. Beispielsweise wäre es möglich gewesen, durch Wirtschaftssanktionen Druck auf Gaddafi auszuüben. Doch Italien hat selbst Tage nach Beginn der Bombardierung noch Öl von der libyschen Regierung bezogen. Am 24. März berichtete eine türkische Tageszeitung, dass die türkische Regierung kurz vor Abschluss eines Waffenstillstandsabkommens zwischen Gaddafi und den Rebellen gestanden habe. Dann begann der militärische Eingriff.
Kein Freund der Revolution
Die NATO ist kein Freund der Revolution. Der italienische Außenminister Franco Frattini warnte angesichts der Bewegung in Libyen vor Islamisten. Gerüchte kursierten und kursieren immer noch über angebliche Al-Qaida- und Hisbollah-Aktivisten, die dort aktiv sein sollen. Vor allem die Basisaktivisten aus der Ölregion um Bengasi waren dem Westen suspekt. Der britische Geheimdienst entsandte im Februar Agenten in die Region, wie die britische Regierung nach Angaben der Tageszeitung Sun zugab, um die Bewegung auszuspionieren und Kontakte zu »gemäßigten« Flügeln zu knüpfen.
Bis heute weigert sich der Westen, die wesentliche Forderung der Aufständischen nach Waffenlieferungen zu erfüllen
Die NATO-Staaten versuchen, die Rebellen für ihre eigenen Ziele einzuspannen. Das Militärbündnis ist eben nicht die Luftwaffe der Revolution. Im Gegenteil wird versucht, die Rebellen zu den Bodentruppen der NATO zu machen. Dabei geht es nicht um den Sieg der Revolution. Denn trotz aller Differenzen in den Kriegszielen sind sich alle NATO-Staaten in einem Punkt einig: Der revolutionäre Prozess in der arabischen Welt soll gestoppt beziehungsweise in sichere Bahnen gelenkt werden. Garant dafür muss aus ihrer Sicht die NATO sein, am besten mit direktem Truppeneinsatz.
Libyen: Gleichgewicht der Kräfte
Deswegen erhält das Militärbündnis ein Gleichgewicht der Kräfte aufrecht. Bis heute weigert sich der Westen, die wesentliche Forderung der Aufständischen nach Waffenlieferungen zu erfüllen. Unmittelbar nach Beginn des NATO-Angriffs kamen die Rebellen in die Offensive. Daraufhin schränkte die »Koalition der Willigen« ihre Luftangriffe wieder ein und ermöglichte der libyschen Armee eine Gegenoffensive. Deswegen hat das Militärbündnis auch kein Problem damit, im Fall Libyen gemeinsame Sache mit Saudi-Arabien, Jordanien und Katar zu machen – allesamt Staaten, die derweil damit beschäftigt sind, ihre eigene Bevölkerung zu unterdrücken. Saudi-Arabien hat zudem gerade Truppen nach Bahrein geschickt, um dort die Demokratiebewegung niederzuschießen.
Libyen und der Vorwand »humanitäre Katastrophe«
Wieder einmal wurde eine drohende »humanitäre Katastrophe« als Vorwand gebraucht, um einen Krieg zu rechtfertigen. Nach den Erfahrungen mit dem Kosovo, dem Irak und mit Afghanistan ist das politisch ein weiterer Durchbruch der Kriegsbefürworter, ein Präzedenzfall für zukünftige koloniale Kriege. Das betonte auch bereits erwähnter Lévy im Gespräch mit der britischen Tageszeitung Guardian: »Das Wichtige an der ganzen Sache ist, dass die Pflicht zur Einmischung (in die Angelegenheit souveräner Staaten, Anm. d. Red.) anerkannt wurde. Zum ersten Mal wurde dieses Konzept von der Arabischen Liga, der Afrikanischen Union und dem UN-Sicherheitsrat unterstützt. Das ist eine echt große Sache.« Für die Bewegung in Libyen ist die Militärintervention hingegen katastrophal. Journalisten der Nachrichtenagentur dpa berichteten Ende März aus der Region: »Bewohner der Hauptstadt Tripolis beobachteten, dass sich einige Bürger nach den Luftangriffen der vergangenen Nächte stärker als vorher mit dem Regime solidarisieren.«
Abhängig vom Westen
Die Kooperation mit der NATO schwächt die Bewegung und wird sie noch abhängiger vom Westen machen. Das stärkt wiederum jene Kräfte, die nur einen Austausch der Regierung, nicht aber echte politische und soziale Veränderung wollen. Als Ergebnis des NATO-Angriffs besteht die Gefahr einer Teilung Libyens. Dann würde es zwei westlich-orientierte Diktaturen geben, eine mit Gaddafi im Westen und eine mit NATO-Truppen (und den wesentlichen Ölvorkommen) im Osten. Weil die Bewegung in Libyen zu schwach war, Gaddafi zu stürzen, ist sie in eine bedauerliche Lage geraten. Die staatliche Unterdrückung hat sie trotz ihrer politischen Schwäche zum bewaffneten Aufstand getrieben.
Libysche Karsais
Angesichts der militärischen Niederlage hat sich ein Flügel der Bewegung der NATO zugewandt und hofft auf echte Unterstützung. Selbst wenn diese Rechnung aufgeht, werden nur eine Handvoll Vertreter der Bewegung davon als libysche Karsais profitieren, als neue, vom Westen abhängige Diktatoren. Wenn Revolutionen scheitern, dann mit allen blutigen Folgen, die das hat. Trotzdem sind sie der einzige Weg zur Befreiung. Es gibt keine Abkürzung über die NATO. Und nur die Libyer selbst können die Revolution machen. Aber es gibt Möglichkeiten für uns, ihnen dabei zu helfen: Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Regierungen den revolutionären Prozess nicht mit Waffengewalt ersticken. Vor allem dürfen wir uns nicht zu Handlangern der westlichen Regierungen machen, die alles daran setzen werden, eine wahre Befreiung zu verhindern.
Zum Autor: Stefan Ziefle ist Mitglied im Sprecherrat der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik der LINKEN.
Foto: NATO
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