Soziale Bewegungen und Hoffnungen auf R2G prägten den Parteitag der LINKEN. Bewegungslinke und Reformerlager bilden den neuen Vorstand. Eine Auswertung von Michael Ferschke
Der starke Mitgliederzuwachs im Westen von 2017/2018 hat sich am Wochenende erstmals auf einem Bundesparteitag der LINKEN auch in Delegiertenzahlen niedergeschlagen. Das heißt zum einen, dass die Ostverbände nicht mehr die Mehrheit der Delegierten stellen. Zum anderen, dass sich die Delegationen in Ost und West eher verjüngt haben.
Der Mitgliederzuwachs der letzten Jahre war politisch verbunden mit dem Aufschwung von Bewegungen. Dazu zählen etwa die Antirassismus-, die Klima- und die internationale Frauenbewegung. Letztere hat insbesondere die körperliche Selbstbestimmung und reproduktive Rechte wieder vermehrt auf die Tagesordnung gesetzt.
Diese Erfahrungen spiegelten sich in den Bewerbungsschreiben vieler Kandidaturen für den Parteivorstand wider. So auch in der Rede von Janine Wissler.
Antikriegsposition betont
Neben diesen Themen wurde in mehreren Beiträgen in der Generaldebatte die Bedeutung der Antikriegsposition der Partei betont. Das steht im Widerspruch zur vorgeschlagenen Aufweichung ebendieser durch Matthias Höhn.
Dass die Partei in dieser Richtungsfrage mehrheitlich gegen eine Aufweichung steht, zeigte sich in der Stichwahl für einen Platz als stellvertretender Parteivorsitzender. Dort konnte sich Tobias Pflüger von der BAG Bewegungslinke gegen Matthias Höhn durchsetzen.
Reformerlager wirbt für sich
Aber das Reformerlager ist nicht in der Defensive. Es wirbt mit Beispielen des Berliner R2G-Senats, insbesondere mit dem Mietendeckel, für die Vorzüge linker Regierungsbeteiligung. Die Unterstützung der Kampagne zur Enteignung großer Immobilienkonzerne durch die Berliner LINKE wird dabei als Beispiel für »rebellisches Regieren« im Schulterschluss mit sozialen Bewegungen verstanden.
Die Widersprüche einer solchen Orientierung bleiben dabei unterbelichtet. So hat sich das Reformerlager in den letzten Jahren verjüngen und seinen Anteil im Parteivorstand sogar leicht ausbauen können.
Flügel um Wagenknecht abgestraft
Anders das Lager, das man am ehesten als Umfeld von Sahra Wagenknecht beschreiben kann. Mit seinem sehr eigenen ökonomistischen Politikansatz (Harri Grünberg: »zuerst die soziale Verbesserung, dann Antirassismus oder Klimafragen«) hat es sich von den großen politischen Bewegungen der letzten Jahre abgeschnitten.
Einige Vertreterinnen und Vertreter haben sich innerparteilich durch ihre polemische Gegenüberstellung der sozialen Interessen der arbeitenden Klasse zu den politischen Fragen ins Abseits manövriert. Sie haben nicht nur der neu politisierten Generation junger Parteimitglieder nichts anzubieten. Entsprechend wurde dieser Flügel bei den Wahlen zum Parteivorstand regelrecht abgestraft.
Bewegungslinke gestärkt
Die Kandidatinnen und Kandidaten der BAG Bewegungslinke hingegen traten mit einem deutlich anderem Profil an. Die Orientierung auf die neuen Bewegungen, insbesondere Antirassismus und Klima, und ihre Fragen standen im Zentrum. Sie wurden als Klassenfragen im Sinne einer »verbindenden Klassenpolitik« formuliert.
Die Wahlerfolge der Kandidierenden aus der Bewegungslinken für den Parteivorstand sind insofern Ausdruck davon, dass der frische Wind der Bewegungen der letzten Jahre nicht an der Partei DIE LINKE vorbeigezogen ist.
Gewerkschaftsarbeit ausbauen
Um die »verbindende Klassenpolitik« auch stärker durch die Partei zu untersetzen, wird es wichtig, die gewerkschaftliche Arbeit der LINKEN weiter auszubauen. Die Wahl von Jana Seppelt zur stellvertretenden Parteivorsitzenden ist hierfür ein richtiges Signal.
Im erweiterten Parteivorstand ist der Anteil der aktiven Gewerkschafter/innen noch ausbaufähig. Gute Ausgangspunkte sind die Wahl von Jan Richter von der AG Betrieb und Gewerkschaft sowie der Betriebsrätin Sabine Skubsch und der Gewerkschaftssekretärin Birgül Tut.
Was ist zu erwarten?
Derzeit sieht es nicht danach aus, dass eine Regierungsbeteiligung der LINKEN auf Bundesebene eine mögliche Option ist. Zugleich wird es von Seiten des Reformerspektrums weiter Druck für eine Orientierung auf R2G geben. Bereits im Hinblick auf die Bundestagswahl gab es von den beiden neugewählten Parteivorsitzenden unterschiedliche Signale.
Janine Wissler kritisierte nicht nur die Unionsparteien, sondern auch die politische Ausrichtung von SPD und Grünen. Sie erklärte, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr mit einer Regierung unter Beteiligung der LINKEN nicht zu machen seien.
Susanne Hennig-Wellsow hingegen erklärte es zum wichtigsten Ziel, »dass wir die CDU aus der Bundesregierung vertreiben«. Ob ein rot-rot-grünes Bündnis zustande käme, hänge von der Bereitschaft der LINKEN ab. Sie benannte bei der Aufzählung von Kriterien für einen Politikwechsel aber nicht die Roten Haltelinien, sondern deutlich abgeschwächte Eckpunkte für ein Reformprogramm.
Bedingungen für einen Politikwechsel
Die Diskussion darüber, wie sich DIE LINKE im Bundestagswahlkampf politisch gegenüber den anderen Parteien aufstellt, wird den kommenden Parteitag im Juni prägen. Ebenso die Frage, welche Bedingungen sie für einen Politikwechsel formuliert.
Im Leitantrag des gerade stattgefundenen Parteitags wurden deutlich Positionen genannt, auf die sich der linke Flügel in den Debatten beziehen sollte. Neben den Roten Haltelinien des Erfurter Programms (kein Sozialabbau, keine Privatisierung, keine Kriegseinsätze) werden dort die Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr, der Schuldenbremse und das Nein zu Abschiebungen benannt.
DIE LINKE muss ihre eigenständigen Positionen ins Zentrum des Wahlkampfes rücken. In diesem Sinne ist der Entwurf des Bundestagswahlprogramms noch zu schärfen und zu konkretisieren.
Regierungsbeteiligung auf Länderebene
Die Diskussion um Regierungsbeteiligung wird auch auf Länderebene im Umfeld der anstehenden Wahlen in Thüringen und Berlin eine wichtige Debatte sein.
Der linke Flügel ist gefragt, eine kritische Bilanz der laufenden Regierungsbeteiligungen voran zu bringen. Anforderungen an einen Politikwechsel sind auch auf Landesebene in Form von Haltelinien und Mindestbedingungen zu formulieren.
»Sprachrohr und Motor von Bewegungen«
Der linke Flügel ist in einer guten Position, um gemeinsam mit dem Parteivorstand die Partei zu prägen. Er kann an die Vorarbeit von Bernd Riexinger anknüpfen, um den Aufbau der Partei als »Sprachrohr und Motor von Bewegungen« weiter ins Zentrum zu stellen. Die Kampagnen- und Interventionsfähigkeit der Parteigliederungen zu befördern ist dabei eine Kernaufgabe.
Ansatzpunkte, wie etwa das Volksbegehren zur Enteignung der Immobilienkonzerne in Berlin, oder die anstehenden Kämpfe um bessere Arbeitsbedingungen in den dortigen landeseigenen Krankenhäusern gilt es zu nutzen, um die Partei in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen aufzubauen und die gesellschaftlichen Verhältnisse zugunsten der arbeitenden Klasse zu verbessern.
Als Partei der »verbindenden Klassenpolitik« ist es Aufgabe der LINKEN, die größtmögliche Durchsetzungsmacht der Bewegungen durch die Mobilisierung der Arbeiterklasse zu befördern. Vorbild ist dabei der Schulterschluss von Fridays for Future mit den Gewerkschaften, wo der Klimaschutz als gemeinsamer Kampf, auch um bessere Jobs im öffentlichen Nahverkehr und in der Metallindustrie artikuliert wird.
Konkrete Schritte
Konkrete Schritte in der solidarischen Pandemiebekämpfung sind eine weitere Aufgabe, die mit politischer Debatte und konkreten Aktionen vor Ort umgesetzt werden müssen.
Auch der Kampf gegen Rechts kennt keinen Lockdown. Die Mobilisierung gegen Wahlkampfaktionen und Versammlungen der AfD bleibt genauso Aufgabe der LINKEN wie der Aufbau von antirassistischem Protest.
Die Bewegungslinke kann hier als Raum des Erfahrungsaustausches, der Positionsfindung und Impulsgeber für kämpferischen Parteiaufbau eine zentrale Rolle spielen.
Foto: DIE LINKE/Martin Heinlein (CC BY 2.0)
Schlagwörter: Bewegung, Bewegungslinke, DIE LINKE, Regierungsbeteiligung