Im Programm der Linkspartei finden sich viele Forderung, die eine Regierungsbeteiligung schwierig machen dürften. Die Bündnispartner:innen für den Politikwechsel sind auch nicht die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen. Ein Kommentar zum LINKE Bundesparteitag von Michael Ferschke
Auf dem LINKE Bundesparteitag wurde mit 87 prozentiger Zustimmung das Programm zur Bundestagswahl beschlossen. Das 150 Seiten dicke Programm positioniert die Partei klar in Opposition zu den herrschenden Verhältnissen und zeichnet einen detaillierten Gegenentwurf. Die Forderungen sind kaum vereinbar mit einer Orientierung auf ein Regierungsbündnis mit SPD und Grünen. Das ist kein Manko, sondern eine Stärke der Linkspartei. Denn ein Regierungswechsel bedeutet noch lange keinen Politikwechsel. Doch die Frage der Durchsetzungsperspektive jenseits von Regierungsbeteiligung wurde noch nicht überzeugend beantwortet.
LINKE Bundesparteitag: Über 1.000 Änderungsanträge
Zum Programmentwurf des Parteivorstands wurden über 1.000 Änderungsanträge zum LINKE Bundesparteitag eingereicht. Das ist ein gutes Zeichen, zeigt es doch, dass die Parteigliederungen agil und politisch ambitioniert sind. Der Parteivorstand hat im Vorfeld des Parteitages viele Änderungsanträge übernommen oder sich in Absprache mit Antragstellenden auf Kompromisse verständigt. Der linke Flügel konnte den Entwurf an entscheidenden Stellen schärfen. So wurden in die Einleitung die Roten Haltelinien für die Frage der Regierungsbeteiligung eingefügt (»Wir gehen keinen Schritt in Richtung Aufrüstung, Privatisierung, Sozialabbau oder Auslandseinsätze der Bundeswehr«).
Ins Schlusskapitel wurden darauf aufbauend Mindestbedingungen für den Politikwechsel formuliert, an denen das Handeln der LINKEN in einer potentiellen Regierung gemessen werden soll (u.a. Reichensteuer, Abrüstung, Mietendeckel, Abschaffung der Fallpauschalen und mehr Personal in Gesundheit und Pflege). Auch zum Kampf gegen die AfD findet sich erstmals eine Passage, die den Antifaschismus und Antirassismus dabei explizit macht, statt lediglich die soziale Alternative in den Raum zu stellen: »Der Aufstieg und die Radikalisierung der AfD sind Ergebnis dieser verfehlten Politik, sowie der erfolgreichen rassistischen Umdeutung der Ursachen der sozialen Spaltung. Mit dem Erstarken der AfD besteht die Gefahr des Wiederentstehens einer faschistischen Partei mit bundesweitem Masseneinfluss. Es ist deshalb notwendig, die AfD auf der Straße und in den Parlamenten zu stoppen.«
Radikal und realistisch?
Auf der anderen Seite konnten weder Reformer:innen noch Anhänger des Kurs von Sahra Wagenknecht sich an neuralgischen Punkten durchsetzen. Im Vorfeld des Parteitages scheiterte Matthias Höhn bereits in der Sitzung des Parteivorstands kläglich mit seinem auch über die Medien kolportierten Vorstoß, das antimilitaristische Profil zu schleifen. Ebenso fanden sich für solche Anträge der Strömung »Sozialistische Linke« keine Mehrheiten, die sich gegen die Position zu offenen Grenzen oder Bleiberecht für alle Flüchtlinge richteten. Das ist erfreulich. Alles in allem beschloss der Parteitag mit übergroßer Mehrheit ein Programm, das sich angesichts der politischen Rahmenbedingungen durchaus als radikal bezeichnen lässt. In der Kommunikation wird stets betont, dass es sich auch um ein »realistisches« Programm handelt. Und ja, es ist nicht utopisch, im Sinne davon, dass es die materiellen gesellschaftlichen Möglichkeiten überstiege. Doch ist zugleich klar, dass die geforderte massive Umverteilung von Reichtum, Macht und Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel auf erhebliche Gegenwehr in Politik und Wirtschaft stößt. »Wir finden uns nicht mit diesen Verhältnissen ab und sind bereit, uns mit den Profiteuren anzulegen«, steht bereits in der Einleitung des Programms. Wie diese Auseinandersetzung erfolgreich geführt werden kann wird allerdings offen gehalten.
Der Reformerflügel
Der Reformerflügel, repräsentiert durch die Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow oder den Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch steht für eine Orientierung auf Regierungsbeteiligung im Bund. Das wurde auch auf dem LINKE Bundesparteitag deutlich. Beide erheben das Ende der CDU-Kanzlerschaft zum obersten Ziel. Bezeichnenderweise ist Dietmar Bartsch in seiner leidenschaftlichen Parteitagsrede hart mit der Union ins Gericht gegangen, hat jedoch SPD und Grüne mit Kritik geschont. Die harte Kritik an der Unionspolitik ist völlig richtig, aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Wahlprogramm der LINKEN nicht kompatibel ist mit dem Kurs von SPD und Grünen. Eine Regierungsbeteiligung wäre nur zum Preis der Aufgabe wesentlicher Positionen der LINKEN zu haben und ist unter diesen Vorzeichen nicht erstrebenswert (Lies hier den marx21-Artikel: »Sachsen-Anhalt: Wie kann der Niedergang der LINKEN gestoppt werden?«).
Partei- und Bewegungsaufbau nach dem LINKE Bundesparteitag
Deshalb ist die Debatte darüber, wie die LINKE angesichts dieser Konstellation ihre Forderungen durchsetzen kann umso dringender. Das im Abschlusskapitel formulierte Postulat »Wir wollen regieren, um zu verändern«, läuft ins Leere. Die alleinige Orientierung darauf »Wahlen zu gewinnen« hilft auch nicht weiter. Die Bündnispartner für die Durchsetzung der Forderungen der LINKEN finden sich nicht in erster Linie bei den Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen. Für die Durchsetzung der Forderungen müssen die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verschoben werden durch Mobilisierung von unten – in Kampagnen, Betrieben und sozialen Bewegungen.
Die dafür nötige Art von Parteiaufbau erschöpft sich nicht im Wahlkampf. Gradmesser für Erfolg sind nicht alleine gute Wahlergebnisse. Es geht zuvorderst um reale Verankerung der Partei in den Kiezen, Betrieben, Schulen und Unis – ob auf dem Land oder in der Stadt. Es geht nicht darum, möglichst schnell irgendwo zu regieren, sondern mit Bewegungen und betrieblichen Kämpfen, Menschen dazu zu ermutigen sich zu wehren und dort wo sie es schon beginnen, zu unterstützen, zu verstärken – ob gegen Massenentlassungen und schlechte Löhne, zu hohe Mieten, Autowahn, Klimawandel, oder Rassismus. Als sozialistische Kraft ist es Aufgabe der LINKEN, in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auf einen Klassenstandpunkt zu orientieren und die sozialen und politischen Kämpfe miteinander zu verbinden.
Jenseits von Rot-Rot-Grün
Das ist keine abstrakte Perspektive, denn die Auseinandersetzungen um soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und gegen Diskriminierung erleben mit dem Ende des Lockdowns eine neue Renaissance, z.B. die Kampagne zur Enteignung der Immobilienkonzerne in Berlin, gewerkschaftliche Kämpfe für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege, angedrohte Streiks der Lokführer:innen und bundesweite Aktionen der Klimabewegung. Anknüpfend an diese Auseinandersetzungen kann die LINKE bereits im Wahlkampf eine Durchsetzungsperspektive für Veränderung jenseits von Rot-Rot-Grün greifbar machen.
Bild: die-linke-neukoelln.de