DIE LINKE in Berlin-Neukölln führte zum ersten Mal einen Wahlkampf um Erststimmen – nur wenige Stimmen fehlten zur Sensation. Trotzdem hat der Bezirk Modellcharakter. Von Georg Frankl
Nur knapp sind wir in Neukölln an einer Sensation vorbeigeschrammt: Bei der Abgeordnetenhauswahl holte mit 30,1 Prozent Jorinde Schulz, unsere Kandidatin im Wahlkreis Neukölln 2, das beste Erststimmenergebnis der LINKEN in ganz Berlin. Leider hatte die grüne Konkurrentin am Ende die Nase knapp vorne. Es wäre das erste Direktmandat der LINKEN in einem West-Wahlkreis jemals.
Neukölln ist der ärmste Bezirk Berlins. Fast ein Viertel der Menschen beziehen Grundsicherung. Kinder- und Altersarmut sind Normalität. Gleichzeitig wird der Bezirk gentrifiziert: Die Mieten in Nord-Neukölln wurden in den vergangenen zehn Jahren um etwa 150 Prozent erhöht. Ein Großteil der Bevölkerung leidet dazu noch unter dem grassierenden Rassismus. Der Norden Neuköllns ist innerstädtisch geprägt und sehr dicht besiedelt. DIE LINKE ist hier im Norden fest verankert und hat bereits bei vergangenen Wahlen bemerkenswerte Erfolge erzielt. Zum ersten Mal führten wir deswegen auch einen Wahlkampf um Erststimmen.
Aber auch in den südlichen Stadtteilen, die über größere Ein-/Zweifamilienhaus-Siedlungen und eher über Stadtrand-Charme verfügen, haben wir mit einer neuen Basisorganisation erstmals einen eigenständigen Wahlkampf geführt.
Engagierter Wahlkampf in Neukölln
DIE LINKE. Neukölln hat einen sehr engagierten Wahlkampf geführt. Über 150 der etwa 500 Mitglieder des Bezirksverbandes beteiligten sich. Seit Mitte August war jeder Samstag ein zentraler Aktionstag: Morgens gab es ein gemeinsames Frühstück, dann ging es los in die Viertel und Kieze. Die Geschäftsstelle war den ganzen Tag über geöffnet und Anlaufpunkt. Bereits am ersten Wochenende wurden über 4.000 Plakate an Laternen und Zäune gehängt – so viele wie nie zuvor.
Neben Infoständen an frequentierten Orten wurden Zigtausende Flyer in die Hauseingänge geklebt, Gespräche an Wohnungstüren geführt, Straßenfeste und eine Party mit Konzert organisiert. Seit 2005 gehören »Lauti-Fahrten« fest in unser Wahlkampf-Repertoire: Ein Golf mit zwei großen Boxen auf dem Dach, geschmückt mit Fahnen und Plakaten, eskortiert von Fahrradfahrer:innen in LINKE-Westen, der die Straßen und Plätze des Bezirks mit Musik und Durchsagen beschallt.
Als LINKE erkenntlich
Auch im Internet haben wir aufgedreht: Die Präsenz in den sozialen Netzwerken und auf Video-Plattformen wurde deutlich verstärkt und professionalisiert. Ein Podcast und eine Website für die Kandidat:innen ging an den Start. Neben unmittelbaren Wahlkampfaktivitäten beteiligten sich viele Mitglieder an Aktionen des Volksbegehrens »Deutsche Wohnen & Co enteignen!« und der Berliner Krankenhausbewegung. Dabei achteten wir stets darauf, als LINKE erkenntlich zu sein.
Wir haben aber auch selbst im Wahlkampf Kundgebungen durchgeführt – zum Beispiel gegen Rassismus, für die Verkehrswende oder für die Pflege. Auch wenn nur 20 Teilnehmer:innen da sind, kann man dabei viel mehr Aufmerksamkeit bei Passant:innen generieren als mit einem bloßen Infotisch.
Unsere 16-seitige Bezirkszeitung »Neuköllnisch« haben wir in einer Auflage von 10.000 gedruckt und verteilt. Wir haben massenhaft Aufkleber mit vielen verschiedenen, inhaltlich zugespitzten Slogans an Laternenpfahle, Stromkästen und Regenrinnen geklebt. Im selben schlichten Stil haben wir zusätzlich vier verschiedene Papier-Themenplakate gekleistert. Das hat unsere Präsenz über die normalen Wahlkplakate hinaus sichtbar erhöht. Unser Ziel: Maximale Dominanz.
Neukölln gewinnt auf Landes- und Bezirksebene dazu
Unter allen Berliner Bezirksverbänden konnten wir bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus als einziger relevante Zugewinne verzeichnen. Bei den gleichzeitig stattfindenden Bezirkswahlen haben wir sogar deutlich zugelegt und die Linksfraktion im Neuköllner Rathaus um zwei Mandate auf nunmehr neun gestärkt. Zum ersten Mal haben wir Anspruch auf einen Stadtrat, ein führendes Mitglied der Kommunalverwaltung. Stadtratsposten werden in Berlin merkwürdigerweise nach Proporz vergeben.
Der Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co enteignen!« erzielte in den innerstädtischen Wahlkreisen mit teilweise über 80 Prozent die höchsten Zustimmungsraten der ganzen Stadt. Bei der Bundestagswahl vermochten allerdings auch wir Neuköllner:innen nicht, uns gegen den Trend zu stemmen und müssen einen harten Absturz verschmerzen.
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