Am Montagnachmittag gaben die beiden Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Bundestag, Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, eine Pressekonferenz zu den Ereignissen in Köln und der Situation von Flüchtlingen. Hier äußerte Wagenknecht: »Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht eben dann auch verwirkt«, desweiteren erklärte sie: »Es gibt natürlich objektive Kapazitätsgrenzen.« Das widerspricht den Grundsätzen linker Politik, meinen Jules El-Khatib und Daniel Kerekes.
In Deutschland läuft seit Monaten eine Debatte über Obergrenzen und schnelleren Abschiebungen. Bisher hatten sich daran alle Führungen der im Bundestag vertretenen Parteien mehr oder weniger eifrig beteiligt, mit Ausnahme der LINKEN, dies hat sich nun durch die Pressekonferenz geändert. Die Aussage, es gäbe objektive Kapazitätsobergrenzen, lehnte die Partei bisher klar ab. Sie widerspreche dem Grundrecht auf Asyl. So erklärte der Parteivorstand: »Asyl ist ein Grundrecht und darf weder durch Obergrenzen noch durch Kontingente eingeschränkt werden. Diese Forderung, die von Rechts gestellt wurde und inzwischen von CSU/CDU und leider auch von der SPD übernommen wurde, lehnt Die Linke entschieden ab! Die Linke will die Freizügigkeit von Menschen garantieren.« Die Kosten dafür sollten durch eine faire Verteilung geregelt werden: »Gerechtigkeit lässt sich nicht durch Kontingente sondern durch eine faire Verteilung von Kosten in der EU erzielen, die die Zahl der aufgenommen Flüchtlinge sowie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt. Statt die Schwächsten gegeneinander auszuspielen wollen wir Reichtum in Deutschland und Europa besteuern und die Steuerflucht der Reichen unterbinden.« Eine Obergrenze spielt nur denjenigen Populisten in die Hände, die zwischen guten und bösen Flüchtlingen unterscheiden, mit linker Politik hat sie allerdings wenig zu tun.
Beide hätten gut daran getan, sich an den historischen Positionierungen der 2. Internationalen zu orientieren, diese beschloss 1907 in Stuttgart: »Abschaffung aller Beschränkungen, welche bestimmte Nationalitäten oder Rassen vom Aufenthalt in einem Lande und den sozialen politischen und ökonomischen Rechten der Einheimischen ausschließen oder sie ihnen erschweren.« Bereits der damalige SPD-Abgeordnete und spätere KPD-Gründer Karl Liebknecht hatte erkannt, dass das Spiel um Grenzen und Nationalitäten nur dazu führe, dass Erwerbstätige, Arbeitslose und andere Lohnabhängige mit unterschiedlichen Nationalitäten gegeneinander ausgespielt werden. Nicht umsonst schrieb er: »Hinfort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung«. Denn Abschiebungen und Spaltungen innerhalb der Arbeiterschaft sorgen dafür, dass Menschen mit gleichen Interessen gegeneinander kämpfen, anstatt sich gegen Unterdrückung und Ausbeutung zu wehren. Leider steht dann nicht der gemeinsamen Kampf gegen Steuergeschenke für Reiche, Tarifbetrug und andere Gaunereien im Fokus, sondern es geht es lediglich um nationale Themen, die von den wahren Problemen ablenken.
Deutsche und ausländische Kriminelle
Wenn Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch in ihrer Pressekonferenz von »Gastrecht« sprechen, dann bedienen sie sich rechter Sprache, nach der Menschen mit Migrationshintergrund und vor allem Flüchtlinge, Gäste seien und nicht normale Bürgerinnen und Bürger, wie alle anderen. Das Wort »Gast« signalisiert, dass die Person bald wieder geht, wer aber für eine offene und tolerante Gesellschaft kämpft, sollte nicht von Gästen sprechen, sondern allen Menschen die gleichen Rechte zugestehen. Auch ist es nicht nachvollziehbar, wieso deutsche Kriminelle hier in Gefängnissen sitzen sollten, Geflüchtete Kriminelle aber abgeschoben werden, statt ihre Strafe dort abzuleisten, wo sie die Tat begangen haben. Auch bei Kriminalität sollte nicht nach Herkunft unterschieden werden, denn die Schwere eines Verbrechen verändert sich nicht durch die Herkunft der Täter. Zudem: Was passiert, wenn Kriminelle in ihren Heimatländern verfolgt werden oder dort Krieg herrscht? Schließlich gab es ja objektive Gründe, ihnen Asyl zu gewähren. Die Verbüßung der Haftstrafe im »Heimatland« wäre damit faktisch die Verleugnung des Asylgrunds des Betroffenen. Kriminelle gehören gleich behandelt.
Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch spielen durch ihre Äußerungen rechten Kräften in die Hände, die in Flüchtlingen vor allem ein Problem sehen und die Grenzen für diese schließen wollen. Die Lösung liegt aber nicht in Abschiebungen, Grenzschließung und dem Ruf nach dem starken Staat, sondern im gemeinsamen Kampf für eine Gesellschaft ohne Rassismus und sexuelle Gewalt. In der Linkspartei haben die Äußerungen der Fraktionsspitze wohl nur bei wenigen für entspannte Gesichter gesorgt. Alle anderen waren entsetzt. Dies trifft nicht nur auf Mitglieder des Bundestages zu, die sondern auch auf ganze Landesverbände sowie den Jugendverband der Partei. Infolge der Debatte kam es auch zu einem Wechsel bei Wagenknecht und Bartsch, denn eine Erklärung der Fraktion, in der ihre Forderungen abgelehnt wurden, kam ohne Gegenstimme durch.
Wo soll die Obergrenze sein?
Sehen wir uns die objektiven Fakten an: Deutschlands Bruttoinlandsprodukt ist höher als das des gesamten afrikanischen Kontinents: 3636 Milliarden US-Dollar in Deutschland vs. 2390 Milliarden US-Dollar in Afrika. In Deutschland leben 80 Millionen Menschen, in Afrika 1,1 Milliarden. Somit hätte das Land in der Theorie genügen Geld zur Verfügung, man müsste es sich nur bei den Reichen und Superreichen holen mit einer Vermögenssteuer, echten Erbschaftssteuer oder Millionärssteuer. Auch das »Platzargument« wurde bereits vor Monaten vom Bundesrichter Thomas Fischer widerlegt: Selbst wenn alle Flüchtlinge dieser Welt (60 Millionen) nach Deutschland kämen, hätten wir eine geringere Einwohnerdichte als Südkorea, Belgien oder die Niederlande. Zur Anmerkung, dass bereits jetzt in Nordrhein-Westfalen mehr Menschen pro km² als in den Niederlanden und fast doppelt so viele wie in jedem anderen Bundesland leben: Trotzdem ist noch genügend Platz. Es fehlt einzig der politische Wille, eine Millionen Flüchtlinge in die Gesellschaft zu integrieren. In 300.000 leerstehende Wohnungen im Osten Deutschlands, in Schulen, die ansonsten schließen müssten, und inn den Arbeitsmarkt. Die Lösung des Problems ist Reichtum umzuverteilen und nicht stupider Nationalismus oder Patriotismus. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Linksfraktion sich klar hinter diese Erkenntnis gestellt und somit von den falschen Äußerungen Wagenknechts und Bartschs distanziert hat. Als nächsten Schritt sollten Fraktion und Partei ein Bündnis gegen rechte Hetze und den Aufstieg der AfD, jener Partei, die von der Stimmungsmache profitiert, aufbauen.
Die Autoren: Jules El-Khatib ist Mitglied im Landesvorstand der LINKEN in Nordrhein-Westfalen, Daniel Kerekes im Kreisvorstand der Essener LINKEN.
Foto: UweHiksch
Schlagwörter: Asyl, Dietmar Bartsch, Flüchtlingspolitik, Köln, Linke, Linksfraktion