Anfang März 1919 endete ein Generalstreik in Berlin in einem Blutbad. Dietmar Lange über die in Vergessenheit geratenen Geschichte des Streiks, seine Niederschlagung und das folgenschwere Bündnis von rechter SPD-Führung und Freikorps
Dietmar Lange ist Historiker. Er ist Autor von »Massenstreik und Schießbefehl. Generalstreik und Märzkämpfe in Berlin 1919« und Kurator der Ausstellung »Schießbefehl für Lichtenberg« im Museum Lichtenberg.
Im Frühjahr 1919 erschütterten große Streiks und Unruhen Deutschland. Breite Massen über alle Parteigrenzen hinweg beteiligten sich. Berlin wurde damals – trotz des niedergeschlagenen Januaraufstands nur wenige Wochen zuvor – wieder zu einem Epizentrum der Bewegung. Der hier ausbrechende Generalstreik brachte die sozialdemokratische Regierung zeitweise in große Bedrängnis. Er endete allerdings in einem blutigen Massaker, das die Regierungstruppen in den Berliner Arbeitervierteln verübten. Ermöglicht wurde das Blutbad durch einen von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) unterzeichneten Schießbefehl. Die Ereignisse hatten weitreichende Folgen über die Hauptstadt hinaus und stellten gemessen an den Toten sogar noch die Januarkämpfe mit ihren beiden prominentesten Opfern, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, in den Schatten. Dennoch waren sie lange Zeit fast vollständig in Vergessenheit geraten.
Eine falsche Gegenüberstellung
Oft werden die Auseinandersetzungen in der Revolutionszeit ziemlich verkürzt auf die Alternative Ebert/Scheidemann oder Liebknecht/Luxemburg. Die einen stehen für die bürgerliche Demokratie mit sozialem Einschlag und die anderen für die sozialistische Räterepublik. Historisch halte ich diese Gegenüberstellung für falsch. Ein Grund dafür ist, dass der Spartakusbund und die KPD die gesamte Revolutionszeit 1918/19 über eine radikale Minderheit am Rande der revolutionären Bewegung blieben. Wenn überhaupt, dann fand diese ihren politischen Ausdruck in der USPD, die im Verlauf dieser Zeit sprunghaft anwuchs und sich radikalisierte.
Die in der Revolution auftretenden Ziele und Forderungen lassen sich jedoch grundsätzlich nicht ohne weiteres mit nur einer Partei oder Personengruppe identifizieren. Das zeigt sehr deutlich ein Blick auf den Ersten Reichsrätekongress, der vom 16. bis 21. Dezember 1918 in Berlin tagte und das eigentliche Revolutionsparlament darstellte. Meist wird in historischen Darstellungen nur erwähnt, dass der Rätekongress die Entscheidung der SPD-geführten Regierung der Volksbeauftragten für die Einberufung der Nationalversammlung bestätigte und sich damit gegen eine Machtübernahme durch die Räte aussprach. Er habe sich also in obiger Gegenüberstellung für die Version Ebert/Scheidemann entschieden.
Übersehen wird dabei, dass derselbe Kongress auch eine Reihe von Beschlüssen traf, die im Gegensatz zur Regierungspolitik standen und daher von dieser später auch blockiert wurden. Zu diesen Beschlüssen gehörten die »sofortige Einleitung der Sozialisierung, insbesondere des Bergbaus« und die sogenannten »Hamburger Punkte«, die eine Demokratisierung der Armee mit Wahl der Offiziere und Kontrolle durch die Soldatenräte vorsahen. Sozialisierung der Industrie und Zerschlagung des Militarismus können daher als zwei elementare Ziele der revolutionären Bewegung der Arbeiterinnen, Arbeiter und Soldaten beschrieben werden, die nicht identisch mit einem Bekenntnis zu KPD oder auch USPD waren. Wie bereits erwähnt, wurden diese Ziele von der SPD-Regierung ignoriert oder gar in ihr Gegenteil verkehrt, wie im Falle der Militärreform. Sie tauchten jedoch im Frühjahr 1919 wieder auf und bildeten die zentralen Forderungen einer breiten Streikbewegung, die von Februar bis April 1919 die wichtigsten Industriezentren des Landes erfasste. Anfang März 1919 kam die Streikbewegung auch nach Berlin.
Rätebewegung und Restauration
In Berlin hatte sich in der Novemberrevolution 1918 ein Netz aus Arbeiter- und Soldatenräten in den einzelnen Garnisonen und Betrieben gebildet, das die städtische und militärische Verwaltung und die Betriebsleitungen kontrollierte. Repräsentiert wurde es durch die Vollversammlung der Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenräte, die ab Januar mindestens einmal im Monat zusammentrat. An deren Spitze stand der Berliner Vollzugsrat unter Richard Müller, der für die Tagesgeschäfte zuständig war.
Die bewaffnete Macht hatte zunächst in den Händen bewaffneter Einheiten aus revolutionären Soldaten und Arbeitern gelegen, darunter die Republikanische Soldatenwehr, die Sicherheitswehr im Polizeipräsidium und die Volksmarinedivision (VMD) aus Berliner und Cuxhavener Matrosen. Sowohl in Preußen als auch landesweit herrschte eine aus SPD- und USPD-Vertretern zusammengesetzte Regierung, die formal ihre Legitimation durch die Räte erhielt, welche diese eingesetzt hatten.
Allerdings hatte sich diese Ausgangslage nach dem fast kampflosen Umsturz im November bis zum März 1919 dramatisch verschoben. Bereits kurz nach der Revolution begannen vor allem die SPD-Vertreter in den Regierungen, den Einfluss der Räte mithilfe der Gewerkschaften und der Bürokratie zurückzudrängen. In den Verwaltungsstellen geschah dies durch entsprechende Verordnungen des preußischen Innenministers Wolfgang Heine, der deren Zuständigkeiten auf bloße Kontrollinstanzen einschränkte und das ZAG-Abkommen mit der Generalkommission der deutschen Gewerkschaften, das ebenfalls den Räten in den Betrieben jede Kontrollmöglichkeit abstritt.
Erheblich zugenommen hatten diese restaurativen Bestrebungen nach dem Ersten Reichsrätekongress vom 16. bis 21. Dezember in Berlin und dem Einzug des Frontheeres am 10. Dezember. Die SPD-Mitglieder in der Regierung gingen nun im Bündnis mit den militärischen Befehlshabern, darunter der faktische Befehlshaber der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, Hauptmann Waldemar Pabst, zunächst daran, die militärischen Stellungen der Revolutionsverbände zu schleifen, was in den Weihnachtskämpfen 1918 mit der Volksmarinedivision und dem Januaraufstand nach der Absetzung Emil Eichhorns als Polizeipräsident gipfelte. Vor allem die Januarkämpfe endeten in einer blutigen Niederlage für die revolutionäre Arbeiterbewegung in Berlin: Ihre beiden prominentesten Vertreter, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, wurden ermordet. Viele weitere mussten untertauchen.
Freikorps und Radikalisierung der Bewegung
In der Folgezeit wurden neu aufgestellte Freikorpsverbände, die in den Berliner Vororten lagerten, weiter aufgerüstet und ausgebildet. Bis zum März stand eine bestens ausgerüstete Bürgerkriegsarmee bereit, mit über 30.000 Mann, Panzer- und Flammenwerferabteilungen, Fliegerstaffeln und schwerer Artillerie. Außerdem besaßen die Freikorps eine eigene Nachrichtenabteilung und eine technische Einheit zur Streikbekämpfung.
Allerdings setzte gleichzeitig eine Radikalisierung der Bewegung ein. Die Arbeiterinnen, Arbeiter und Soldaten begannen mit dem Verlust ihrer Macht, an den Räten als Organen ihrer Einflussmöglichkeiten umso verbissener festzuhalten. Bereits im November und Dezember hatte es eine Streikwelle in den Berliner Betrieben gegeben, die sich gegen die Reaktion der Unternehmer nach den Verordnungen über das ZAG-Abkommen gerichtet hatte und in der die Streikenden bereits die Sozialisierungsforderung laut erhoben hatten. Im Januar arbeitete der Vollzugsrat zusammen mit den Räten einen Katalog von Richtlinien aus, die in einem deutlichen Widerspruch zur Regierungspolitik standen und von einer Mehrheit (auch der MSPD) in einer Vollversammlung am 17. Januar angenommen wurden. Darin wurden das Kontrollrecht und die Befehlsgewalt der Arbeiterräte in den Betrieben und Gemeinden gefordert, die außerdem die Einleitung der Sozialisierung in der Großindustrie vorbereiten sollten.
Damit standen die Berliner Räte nicht allein. Im Frühjahr 1919 kam es ausgehend von den Bergbauregionen zu einer breiten Streikbewegung im Land, parallel zu den Verfassungsverhandlungen der Nationalversammlung in Weimar. Organisiert wurden die Streiks von den örtlichen Arbeiterräten. Die Forderungen bestanden in einer Einleitung der Sozialisierung, vor allem im Bergbau, und der Anerkennung der Arbeiterräte. Die Streiks breiteten sich bis Ende Februar von Oberschlesien über das Ruhrgebiet bis nach Mitteldeutschland aus (Gebiet Westsachsen – Nordthüringen – Industriedreieck Halle-Merseburg), wo die Nationalversammlung in Weimar faktisch von der Außenwelt abgeriegelt wurde.
Generalstreik und Spaltungsversuche in Berlin
Anfang März erfasste die Streikwelle auch Berlin. Die MSPD-Fraktionsführung im Vollzugsrat konnte das Zusammentreten einer Vollversammlung der Berliner Räte zwar noch um einige Tage hinauszögern. Am 3. März beschloss diese aber schließlich unter dem Druck aus den Großbetrieben und mit den Stimmen eines Teiles der MSPD-Räte die Ausrufung des Generalstreiks für Berlin. Die Forderungen bestanden in der Anerkennung der Räterichtlinien, der Durchführung einer Demokratisierung des Heeres sowie der Auflösung der Freikorps und der Freilassung aller politischen Gefangenen. Als Streikleitung wurde der Vollzugsrat eingesetzt, paritätisch zusammengesetzt aus den Vertretern der MSPD und der USPD. Die KPD hatte ihre Teilnahme unter Verweis auf die Beteiligung der MSPD-Fraktionsführung verweigert und die Bildung einer separaten Streikleitung angekündigt. Der Streik erfasste zuerst die Berliner Großbetriebe und die öffentlichen Nahverkehrsmittel, die noch am selben Abend ihren Betrieb einstellten.
Nach anfänglichem Zögern schlossen sich bis zum 5. März auch der Großteil der Kleinbetriebe und das grafische Gewerbe an, so dass schließlich ebenfalls das Erscheinen der Zeitungen eingestellt werden musste. Als zentrales Streikorgan fungierte die Vollversammlung der Arbeiterräte, deren Tagung am 3. März in Permanenz erklärt worden war und in der sich die Delegierten der Betriebe jeden Vormittag versammelten. Der Streik war jedoch seit dem ersten Tag von heftigen inneren Gegensätzen in der Streikleitung und der Vollversammlung geprägt, die vom äußeren politischen und militärischen Druck verstärkt wurden. Arbeitsminister Otto Bauer hatte bereits am 1. März eine Regierungserklärung der MSPD in der Nationalversammlung verlesen, welche die Sozialisierung des Bergbaus und die Errichtung von Arbeitskammern ankündigte. Die MSPD lancierte daraufhin eine breite Kampagne in Berlin mit Plakaten und Flugblättern in Massenauflage, welche pathetisch verkündeten: »Die Sozialisierung marschiert«.
Die konkreten Bestimmungen hatten zwar, außer der Wortwahl, wenig mit den tatsächlichen Forderungen gemeinsam, dienten jedoch als Vorlage, um vor allem auf die MSPD-Basis beruhigend einzuwirken und den Streik zu spalten. Der »Vorwärts«, das Zentralorgan der MSPD, begann in den folgenden Tagen eine Anti-Streik-Kampagne, welche diesen zur Sache einer radikalen Minderheit erklärte. Gleichzeitig hatte die Berliner Bezirksorganisation ihre Vertrauensleute instruiert, in den Betrieben für die Durchführung von Urabstimmungen einzutreten, in der Hoffnung, eine Mehrheit gegen den Streik zu mobilisieren, und übte Druck auf ihre Vertreter im Arbeiterrat und der Streikleitung aus, den Streik ins Leere laufen zu lassen. Dieses Vorgehen trug zur zögerlichen Ausbreitung des Streiks bei und führte gleichzeitig zu heftigen Auseinandersetzungen in der Vollversammlung, die bereits in den ersten Tagen mehrmals auseinanderzubrechen drohte.
Der Beginn der Märzkämpfe
Eine Verhandlungskommission der Streikleitung, die am 5. März nach Weimar aufgebrochen war, erreichte zwar keine über die Regierungserklärung hinausgehenden Zugeständnisse, dennoch verkündeten der »Vorwärts« und eine Funktionärsversammlung der MSPD die Streikziele für erreicht und erklärte ihre Bereitschaft, diesen abzubrechen.
Noch vor der Rückkehr der Verhandlungskommission hatten sich jedoch die Gegensätze in der Vollversammlung aufgrund der militärischen Eskalation in der Stadt bis zum Bruch gesteigert.
Seit dem ersten Tag stand der Generalstreik in Berlin unter dem Schatten von heftigen Ausschreitungen in der Stadtmitte. Diese hatten noch vor dem Auseinandertreten der Vollversammlung am 3. März im Scheunenviertel angefangen und breiteten sich auf den Alexanderplatz aus. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei und Regierungssoldaten. Bis zum 4. März wurden 32 Polizeireviere in der Nähe des Platzes und in den angrenzenden Bezirken überfallen und die Waffen entwendet. Gleichzeitig setzte eine Plünderungswelle der Geschäfte in der Umgebung ein.
Von wem die Initiative zu den Überfällen ausging, ist unklar. In Stellungnahmen des Generalkommandos wurden »Spartakisten« dafür verantwortlich gemacht, die den Streik für einen Aufstand nutzen wollten, um die Regierung zu stürzen und die Räterepublik in Berlin auszurufen. Als Beweismittel diente ein angeblich bei einer Razzia des Roten Soldatenbundes (RSB) gefundener Aufstandsplan. Dieser erwies sich jedoch bei einer Gerichtsverhandlung im Juli gegen den RSB als gefälscht. Ein großer Teil der Angeklagten, unter anderem der Verfasser des Plans, stellten sich als Spitzel der Militärs heraus. Tatsächlich gibt es einige Indizien für eine gezielte Provokation.
In jedem Falle lieferten die Ausschreitungen den Vorwand für das preußische Staatsministerium, den Belagerungszustand über Berlin zu verhängen. Am 4. März marschierten die Freikorps von ihren Stellungen in den Vororten von Westen und Osten in Berlin ein. Am Alexanderplatz kam es am 5. März schließlich zu Zusammenstößen mit der VMD. Die VMD war an diesem Tag entsandt worden, Plünderer am Alexanderplatz zu verhaften, geriet auf dem Weg dorthin jedoch unter Feuer durch Freikorpsverbände. Bis zum 6. März entwickeln sich heftige Kämpfe am Alexanderplatz zwischen Freikorps sowie bewaffneten Arbeitern und Matrosen. Die Freikorps konnte schließlich durch Angriffe mit Fliegern und Minenwerfern die VMD zerschlagen.
Streikabbruch und Schießbefehl
Diese Ereignisse brachten die Stimmung in der Vollversammlung schließlich zum Siedepunkt. Ebenfalls am 6. März beschloss sie mit knapper Mehrheit, den Streik auch auf die städtischen Versorgungsbetriebe der Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke auszudehnen. Die MSPD-Vertreter verkündeten daraufhin ihren Austritt aus der Streikleitung. Mit dem Bruch setzte nun auch die direkte militärische Repression gegen den Streik ein. Zahlreiche Streikposten wurden verhaftet und Betriebe besetzt. Der Einsatz einer technischen Abteilung der GKSD ermöglichte gleichzeitig die Wiederaufnahme des Betriebs in den Elektrizitätswerken der westlichen Gemeinden. Damit konnte die Stromversorgung in den bürgerlichen Vierteln sichergestellt werden, während die Arbeiterviertel im Osten der Stadt von der Wasser-, Strom- und Gasversorgung abgeschnitten blieben.
Unter diesem Eindruck begannen auch die USPD-Vertreter im Arbeiterrat den Rückzug anzutreten. Eine Vollversammlung am 8. März nahm schließlich mit knapper Mehrheit einen Antrag der USPD-Fraktion zum Abbruch des Streiks an. Die vorher aufgestellten Bedingungen, die den Abzug der Freikorps umfassten, waren jedoch ignoriert worden. Deren Einsatz sollte im Gegenteil erst noch seinen verheerenden Höhepunkt erreichen.
Die Kämpfe im Osten der Stadt dauerten noch bis zum 12. März an. Zunächst hatten sie sich auf die Straßenzüge nördlich und östlich des Alexanderplatzes verlagert, wo Barrikaden errichtet wurden. Die Kämpfenden waren zumeist versprengte Matrosen und Arbeiter aus den angrenzenden Bezirken. Diese waren nicht alle KPD- oder USPD-Mitglieder, sondern auch MSPD-Arbeiter, Syndikalisten und Unpolitische. Ihre Motivation bestand darin, die Viertel gegen die Freikorps zu verteidigen.
Diese setzten schwere Waffen gegen die kämpfenden Arbeiter ein, Panzer, Minen- und Flammenwerfer, Artillerie und sogar Fliegerbomben, die starke Verwüstungen in den umkämpften Gebieten anrichteten. Auf diese Weise konnten die Kämpfenden bis zum 9. März bis nach Lichtenberg zurückgedrängt werden. An diesem Tag verschärften sich die Auseinandersetzungen noch einmal erheblich, nachdem nach einer Falschmeldung über ein Massaker an Lichtenberger Polizeibeamten Noske einen von Pabst bereits vorbereiteten Schießbefehl erließ. Danach sollte jeder, »der mit der Waffe in der Hand kämpfend« angetroffen wurde, erschossen werden. Von Pabst wurde der Befehl noch verschärft: jeder, bei dem Waffen gefunden wurden, sollte erschossen werden.
Niederschlagung und Lehren der Märzkämpfe
Bereits zu Beginn wurden zahlreiche Personen verhaftet, entweder bei Kämpfen oder auf der Straße. Es kamen schwarze Listen zum Einsatz, auf denen neben politischen Aktivisten (Ernst Meyer), Intellektuelle (Emil Julius Gumbel) und sogar Dadaisten (Wieland Herzfelde) genannt waren. Vor allem das Leben der politischen Gefangenen war in höchstem Maße gefährdet. So wurde der KPD-Vorsitzende und enge Vertraute Rosa Luxemburgs, Leo Jogiches, am 10. März verhaftet und im Untersuchungsgefängnis in Moabit erschossen. Gumbel entging diesem Schicksal nur knapp.
Nach dem 10. März wurden jedoch gar keine Gefangenen mehr gemacht; die Menschen wurden gleich hingerichtet. Viele starben bei Hausdurchsuchungen, nachdem Waffenkomponenten gefunden worden waren, oder bei Schießereien der Freikorps in den Straßen. Eines der grausamsten Verbrechen ereignete sich in der Französischen Straße, wo am 11. März 30 Matrosen ermordet wurden.
Am 12. März wurde schließlich Lichtenberg erobert, mit anschließenden Massenexekutionen. Am Lichtenberger Bahnhof wurden die Menschen von der Brücke auf die Gleise geworfen und in der Köpenicker Straße 34 Menschen erschossen. Erst am 16. März wurde der Schießbefehl schließlich aufgehoben. Noske verkündete unter tosendem Beifall in der Nationalversammlung 1200 Tote, davon 78 auf Regierungsseite. So viele haben vermutlich gar nicht an den Kämpfen teilgenommen.
Der Streik in Berlin zeigt trotz seines dramatischen Endes, vor allem im Zusammenhang mit den Streiks im übrigen Land, dass die Forderung nach einer Sozialisierung der Industrie nach der Novemberrevolution weit verbreitet war. Allerdings ging dies zunächst mit der Illusion einher, es wäre ausreichend, dass die alte Arbeiterpartei SPD den Staat regiere. Erst nachdem diese Illusionen zerstört wurden, gewannen die Räte als Organe der Massenmobilisierung außerhalb der bürgerlichen Institutionen und Parteiapparate an Bedeutung. Ein großes Manko der Streikbewegung war ihre regionale Zersplitterung, die es es der SPD erlaubte, mit Hilfe der Freikorps die Streikzentren nacheinander niederzuschlagen. Der Schießbefehl für die Freikorps ist außerdem ein Vorläufer des so genannten »Kommissarbefehls« und des »Kriegsgerichtsbarkeitserlass« im Feldzug der Nazis gegen die Sowjetunion, die Hinrichtungen ohne vorherige Verhandlung vorsahen.
Das Buch:
Dietmar Lange
Massenstreik und Schießbefehl, Generalstreik und Märzkämpfe in Berlin 1919
Edition Assemblage
Münster 2012
176 Seiten
19,80 Euro
Foto: Deutsches Historisches Museum
Schlagwörter: 1918, Karl Liebknecht, Liebknecht, Luxemburg, Novemberrevolution, Revolution, Rosa Luxemburg, SPD