Angesichts dramatischer Inflationsraten stehen die Gewerkschaften vor der Aufgabe, höhere Löhne durchzusetzen. Doch die Kapitalseite will sie davon abhalten und warnt vor einer »Lohn-Preis-Spirale«. Doch das ist Bluff, meint Thomas Walter
Ökonom:innen erwarten bis auf weiteres hohe Inflationsraten. Aber woher kommt plötzlich die weltweite hohe Inflation, nachdem jahrzehntelang eher das Gegenteil, eine Deflation, drohte?
Die Inflationsrate steigt seit der Corona-Pandemie. Aufgrund der Pandemie wurden weltweite Lieferketten und damit die Produktion unterbrochen. Wichtige Importgüter, wie Computerchips, die für zahlreiche weitere Produkte wie Autos benötigt werden, wurden knapp. Die Preise stiegen.
Die Inflation steigt noch einmal infolge des Kriegs in der Ukraine. Weizen, der in der Ukraine festsitzt, treibt die Getreidepreise in die Höhe. Die Öl- und Gassanktionen gegen Russland verknappen das internationale Angebot und lassen die Preise auch an den deutschen Zapfsäulen der Tankstellen rasant wachsen.
Die Ökonom:innen der Kapitalseite warnen nun vor einer »Lohn-Preis-Spirale«. Damit wollen sie die Gewerkschaften davon abhalten, als Ausgleich für die höheren Preise höhere Löhne zu fordern. Sie erklären einfach, dass die höheren Löhne zu noch höheren Preisen führen. Die Arbeiter:innen hätten also gar nichts gewonnen. Lediglich die Inflation nehme noch stärker zu. Das nütze niemand. Aber stimmt dieses Argument der Kapitalseite?
Marx und die Lohn-Preis-Spirale
Das Argument ist schon alt. Karl Marx hat in seinem Redemanuskript »Lohn, Preis und Profit« von 1865 darauf reagiert und diese Behauptung widerlegt.
Doch wie bestimmen sich nach Marx die Preise? Können die Unternehmen sie einfach festlegen, wie es die These von der »Lohn-Preis-Spirale« behauptet?
Nach Marx bestimmen sich die Preise der Waren letztlich durch die Arbeitswertlehre. Je mehr Arbeit für die Produktion einer bestimmten Ware aufgewandt werden muss, desto höher der Preis dieser Ware im Vergleich zu den Preisen anderer Waren. Dies ist das sogenannte Wertgesetz. Wenn Lieferketten und Produktion unterbrochen werden, wenn das Angebot von Gas und Öl verknappt wird, dann kommt nur noch Produktion auf den Markt, für deren Herstellung mehr Arbeit erforderlich war. Beispielsweise muss mehr Arbeitszeit für umständliche Transportwege und für die Reparatur der kaputten Lieferketten geleistet werden. So werden die Produkte auf dem Markt teurer. Für die Unternehmen, die diese Waren als Vorprodukte benötigen, steigen die Produktionskosten. Wenn aber in den Vorprodukten mehr Arbeitszeit steckt, dann steckt auch in den Endprodukten mehr Arbeitszeit. Insoweit steigt auch der Preis für die Endprodukte.
Die Endprodukte werden aber nicht deshalb teurer, weil die Unternehmen die höheren Kosten einfach, gewissermaßen beliebig, in höheren Preisen weitergeben, sondern weil jetzt tatsächlich insgesamt, vor allem für die Vorprodukte, mehr Arbeit für die Produktion aufgewandt werden muss. Die Möglichkeiten der Unternehmen, höhere Kosten in Preisen weiterzugeben, sind also keineswegs beliebig, sondern folgen immer noch dem Wertgesetz.
Wenn zum Beispiel nur noch Computerchips importiert werden können, deren Herstellung arbeitsaufwändiger war, dann wird auch die Herstellung deutscher Autos, in die diese Chips eingehen, arbeitsaufwändiger. Ihr Arbeitswert steigt. Insofern kann die deutsche Autoindustrie auf den Weltmärkten höhere Preise durchsetzen, aber nicht darüber hinaus.
Das Wertgesetz von Marx
Grundsätzlich wirkt das Wertgesetz auch bei der Ware, welche die Arbeiter:innen an die kapitalistischen Unternehmen verkaufen, die Arbeitskraft. Deren Wert bestimmt sich durch den Wert jener Waren, welche die Arbeiter:innen für ihren Lebensunterhalt kaufen müssen, um so sich, und damit ihre Arbeitskraft, zu erhalten. Wenn nun, wie jetzt, diese Waren teurer werden, dann steigt auch der Wert der Arbeitskraft.
Wie Marx ausführte, können die Unternehmen ihre Waren nur zu derem Wert verkaufen. Der Wert einer Ware setzt sich nun zusammen aus dem Wert der Vorprodukte und dem Wert, welchen die Arbeiter:innen dieser Ware zugesetzt haben. Ein Teil davon bekommen die Arbeiter:innen als Wert ihrer Arbeitskraft erstattet. Der andere Teil beruht auf der Arbeit, welche die Arbeiter:innen gratis für die Unternehmen leisten. Sie schaffen so den Mehrwert, den Profit für die Unternehmen. Wenn nun die Waren, welche die Arbeiter:innen brauchen, sozusagen »wertvoller« werden, weil mehr Arbeitsaufwand für sie erforderlich ist, steigt auch der Wert der Arbeitskraft. Dagegen wird der Wertteil, der als Mehrwert den Unternehmen verbleibt, geringer.
Klassenkampf
Allerdings setzt sich dieses Wertgesetz nicht automatisch durch. Marx führt aus, dass die Kapitalist:innen ständig versuchen, die Arbeitskraft unter ihrem Wert zu bezahlen. Sind ihre Profite, wie jetzt, durch teure Importwaren bedroht, werden sie erst recht versuchen, die Löhne unter den Wert der Arbeitskraft zu drücken. Dies hat zwar Auswirkungen auf die »Qualität« der Arbeitskraft, und längerfristig können die Arbeiter:innen ihre Arbeitskraft nicht erhalten. Dies wirkt sich aber womöglich erst verzögert aus. Es bedarf also eines ständigen Klassenkampfes durch die Arbeiter:innen, damit sie wenigstens den Wert ihrer Arbeitskraft erhalten können. Doch der Kampf lohnt sich nicht nur, er ist für die Arbeiter:innen lebensnotwendig.
Richtig ist, dass wenn Importe teurer werden, dies zu Lasten »der deutschen Wirtschaft« geht. Die Frage ist, ob zu Lasten der Löhne oder zu Lasten der Profite. Während die Ideologie der »Lohn-Preis-Spirale« behauptet, so oder so müssten die Arbeiter:innen die höheren Kosten für Importe tragen, zeigt Marx, dass Kämpfe für höhere Löhne zur Verteidigung des Lebensunterhaltes möglich und notwendig sind. Höhere Importkosten landen dort, wo sie hingehören, bei den Profiten.
Bildquelle: Wikipedia, User:Khaled.Boukharouba
Schlagwörter: Gewerkschaften, Inflation, Löhne, Profit